Andreas Walker

«Alleinsein fördert die Hoffnungslosigkeit»

Das Thema Hoffnung wird von der Forschung und auch von den Kirchen unterschätzt, meint der Basler Zukunftsforscher Andreas Walker. Darum hat er eine grosse Umfrage dazu durchgeführt. In einem Interview erläutert er Hintergründe.
Hoffnungsvoller Typ: Andreas Walker, Leiter der neuen Studie. (Foto: ideaSpektrum Schweiz)

Andrea Vonlanthen: Wer macht Ihnen mehr Hoffnung: Bundesrätin Simonetta Sommaruga oder Papst Benedikt?
Andreas Walker:
Wenn ich die Originaltexte des Papstes lese, kommen mir viele wertvolle Aussagen entgegen. Natürlich ist mir der Machtanspruch des Vatikan sehr fremd. Mit der «Spe salvi» hat Papst Benedikt aber eine theologische Enzyklika über Hoffnung geschrieben, mit der er auch uns Evangelische positiv herausfordert.

Im Ringen um das Christentum, die abendländischen Werte oder die Familie spielt der Papst eine wichtige Rolle. Doch in unserer Umfrage hat nur gerade ein Prozent den Papst als Hoffnungsträger genannt, 13 Prozent hingegen Frau Sommaruga. Von ihr kenne ich aber noch keine Rede zum Thema Hoffnung.

Wie kommen Sie dazu, eine Studie zu Hoffnungen und Hoffnungsträgern in der Schweiz durchzuführen?
Ich beschäftige mich als Forscher schon zwanzig Jahre mit dem Thema Zukunft. Dabei ist mir aufgefallen, dass «Hoffnung» in Mitteleuropa ein stark vernachlässigtes Thema ist. Die Zukunft verbinden wir vielmehr mit Angst – Angst vor einem Besitzstandsverlust, vor einer Energiekrise, vor der Islamisierung.

Das ist in christlichen Kreisen nicht anders. Doch die Bibel verbindet die Zukunft mit Hoffnung und nicht mit Angst. Mein Blick als Fachmann und mein Blick als Christ haben sich nun verdichtet auf das Thema Hoffnung. Gerade in der Fachwelt stelle ich fest, dass sich fast niemand mit Hoffnung beschäftigt. Zusammen mit befreundeten Fachleuten bin ich zum Schluss gekommen, dass wir ein Gegenzeichen setzen wollen zu all den Angst- und Sorgenbarometern.

Warum braucht der Mensch Hoffnung?
Die Definitionen und das Verständnis von Hoffnung sind nicht eindeutig. Hoffnung ist in der Fachwelt ein vergessener Begriff. Oft gilt Hoffnung nur als diffuses Gefühl. Ihre Bedeutung und Kraft wird unterschätzt. Ich würde sagen: Hoffnung ist die Zuversicht, dass die Zukunft besser wird als die Gegenwart. Hoffnung ist damit der Lebenswille, das Morgen erleben zu wollen.

Psychotherapeuten sagen deutlich: Es ist zutiefst lebensfeindlich, wenn jemand die Hoffnung aufgibt. Hoffnung ist eine der positiven Urkräfte, die uns am Leben erhalten.

Was ist Hoffnung nicht?
Eine Hoffnung ist keine Utopie. Bei der Utopie wagst du einen grossen Wurf, bist dir aber bewusst, dass es Träumerei sein kann. Bei der Hoffnung glaubst du daran, dass sie in Erfüllung geht. Sie ist ernsthafter und realistischer, auch wenn sie grosse Anstrengungen und Geduld von mir verlangen kann.

Hoffnungen sind verbindlicher als Wünsche. Hoffnung ist nicht einfach Optimismus nach dem Motto «Es wird schon gut kommen». Hoffnung ist die Selbstkompetenz zum Lebenswillen. Hoffnung beinhaltet die Bereitschaft, selbst auch den entsprechenden Lebensweg zu gehen.

Wie lässt sich das Ergebnis Ihrer Studie kühn in einem Merksatz zusammenfassen?
«Yes, we hope!» Als wir 2009 das Projekt starteten, kam bald der Einwand: Das ist doch ein völlig veralteter Begriff! Unterdessen haben wir eine andere Erkenntnis gewonnen: Hoffnung ist für den heutigen Menschen ein wichtiges Thema! Es ist ein Thema, das die Forschung und auch das Christentum unterschätzen.

Was hat Sie überrascht am Ergebnis zu Ihrer Studie?

Wir hatten zum Beispiel gemeint, Hoffnung sei primär mit unserer Jugend verbunden. Das ist nicht so. Ich frage mich: Haben wir heute eine No-hope-Generation? Unsere Jugend macht sich nur wenig grosse Hoffnungen. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass die freie Natur als Ort der Hoffnung einen so hohen Stellenwert hat. Zwei Drittel der Teilnehmer geben an, dass sie Hoffnung in der freien Natur finden.

Letztlich machen viele Leute in der Natur eine Art hoffnungsstiftende Gotteserfahrung. Nur ein Fünftel sucht die Hoffnung in der Kirche. Sind deshalb Alpmessen so wertvoll? Erstaunt hat mich auch die Bedeutung alter protestantischer Werte wie Eigenverantwortung, Leistung und Ausdauer für das Hoffnungsverständnis in der Schweiz.

Wie stark kommen Kirche und Glaube als Hoffnungsspender vor?
Die Höhe der religiösen Werte hat mich überrascht. 21 Prozent der Befragten sagen, Gott sei ihr grösster Hoffnungsträger. 25 Prozent sagen, sie würden beten, um Hoffnung zu bekommen. 21 Prozent meinen, Pfarrer und Priester sollten in schwierigen Zeiten Hoffnung vermitteln und ermutigen.

Wer hofft mehr: Jugendliche oder Senioren?
Das «Prinzip Hoffnung» scheint heute in der Jugend wenig zu gelten. Die höchsten Werte finden wir bei den 40- bis 64-Jährigen. Gegen das Lebensende nehmen die Werte deutlich ab. Hoffnung scheint im Alter weniger eine Rolle zu spielen. Hat Hoffnung nur eine Bedeutung fürs Leben und nicht fürs Sterben?

Welche Schweizer eignen sich am besten als Hoffnungsträger?
Aufgrund der Studie lässt sich sagen, dass die Schweizer ihre Hoffnungen nicht auf grosse Idole setzen. In unserer letztjährigen Umfrage schwang der amerikanische Präsident Obama hoch obenaus. Jetzt lautet die Antwort in vielleicht typischer Schweizer Manier: Ich selber und meine nächsten Bezugspersonen sind meine Hoffnungen.

Die Nähe zählt. Dadurch kann ich auch besser abschätzen, ob es jemand wert ist, mein Hoffnungsträger zu sein.

Sind Eltern also starke Hoffnungsträger?
Sie spielen eine ganz grosse Rolle! 41 Prozent aller Teilnehmenden und 61 Prozent der jugendlichen Teilnehmenden sagen, die Eltern sollen Hoffnung verbreiten und ermutigen. Unsere Studie zeigt klar: Neben Freunden und Lebenspartnern haben Eltern den höchsten Wert, um die Grundkompetenz der Hoffnung zu vermitteln.

Lehrer haben hier einen viel tieferen Wert. Daraus schliesse ich: Die Erziehung gehört ins Elternhaus, die Bildung in die Schule. Um unsere Zukunft sicherzustellen, gilt es hier, die Aufgabenteilung zwischen Familie und Staat zu klären.

In der Schule wird offensichtlich wenig Hoffnung vermittelt.
Schon Ernst Bloch sagte: «Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.» Die Schule hat hier eine wichtige Aufgabe, doch in erster Linie muss die Kompetenz der Hoffnung im sozialen und emotionalen Umfeld der Familie vermittelt werden. Es ist offensichtlich, dass das Elternhaus diese Aufgabe nicht ernst genug nimmt und die Schule nicht in der Lage ist, dieses Manko zu füllen.

Zeichnen Sie das Profil eines hoffnungsvollen Menschen!
Der erste Hoffnungstyp hat erkannt, wie Erfolgserlebnisse und Hoffnung zusammenhängen. Er hat gelernt, realistische Hoffnungen zu hegen, die auch erfüllt werden. Er kann unterscheiden zwischen Hoffnung und Illusion. Erfolgreiche Leute haben meist eine hohe Hoffnungskompetenz.

Der zweite Typ schöpft Hoffnung aus den sozialen Beziehungen. Hoffnung und Beziehungsnetz sind stark miteinander verbunden. Der dritte Typ setzt auf die Aspekte des Religiösen. Er hofft auf Gottes Hilfe, er glaubt und betet. Dabei gibt es natürlich auch Mischtypen.

Was fördert die Hoffnungslosigkeit am meisten?
Ganz eindeutig das Alleinsein. Wer niemanden hat, der ihn begleitet, tröstet und ermutigt, verliert die Hoffnung. Nur ganz wenige Menschen können sich selbst immer wieder motivieren oder einfach fromm sagen: «Ich hoffe auf Gott, er ist mein Gegenüber.» Wer sich allein gelassen fühlt, kommt mit der Zeit in eine depressive Schlaufe, in eine Abwärtsspirale.

Im Bundesrat sitzen offenbar kaum Hoffnungsträger. Was sagt das über unsere Regierung?
Das zeigt, dass wir in der Schweiz keine grossen Staatsleute haben, die wir als Idole der Hoffnung verehren. Trotzdem sind die Politiker als Hoffnungsträger immer noch wichtiger als die Wirtschaftsführer. In der aktuellen Wirtschaftskrise ist die Enttäuschung über sie gross. Noch vor wenigen Jahren galten Manager und Banker als die Helden, die uns die Welt erklären.

Was müsste die Politik daraus lernen?
Die Politik sollte weniger angstdominiert sein. Unsere Studie zeigt, dass es Alternativen der Hoffnung gibt und wie wichtig es ist, dass wir in der Politik charakterstarke Persönlichkeiten haben, die ihre sozialen Beziehungen aktiv leben.

Wo findet sich am meisten Hoffnung: unter Christen, Moslems oder Buddhisten?
Eine Unterscheidung dieser Art kann ich nicht bieten. Doch ich kann sagen, dass Menschen mit einer religiösen Komponente und einer hohen Spiritualität grundsätzlich höhere Hoffnungswerte haben. Für einen Atheisten ist Hoffnung kein Lebenskonzept.

Sind Leute aus Freikirchen hoffnungsvoller?
Nein, das sind sie nicht. Viele Freikirchler sind im Vergleich eher angstorientiert und weltfremd. Ob Freikirche oder Landeskirche oder gar keine Kirche: Je spiritueller ein Mensch lebt, desto verantwortungsbewusster beteiligt er sich am sozialen Leben. Eine Freikirche ist keine Garantie auf ein hoffnungsvolles Leben.

Wie kann man hoffen lernen?
Indem man Beziehungen lebt und Naturerfahrungen und körperliche Bewegung sucht. Oder anders herum: Bleib nicht allein vor dem PC sitzen! Vielleicht war früher der Kirchgang so wertvoll, weil er auch mit dem Sonntagsspaziergang verbunden war. Gemeinschaftspflege war immer ein wichtiger Teil der kirchlichen Arbeit.

Was machen Sie selbst, damit sich Ihre Hoffnungen erfüllen?
Ich betreibe eben Hoffnungsforschung ... Und ich teile mein Leben bewusst mit meiner Frau, meinen Kindern, meinen Freunden. Und ich teile es auch mit Gott. Für mich ist das die Grundlage einer Hoffnung im christlichen Sinne: Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der uns liebt.

Welches Bibelwort stärkt Ihre Hoffnung besonders?

Römer 5, Vers 4: «Geduld aber bringt Erfahrung; Erfahrung aber bringt Hoffnung.»

Was möchten Sie Gottes Bodenpersonal in den Kirchen und Kapellen nach Ihrer Studie ans Herz legen?
Die biblische Tugend heisst Hoffnung und nicht Angst! Hoffnung ist neben Glaube und Liebe eine der grossen christlichen Tugenden. In Predigten und christlichen Büchern kommt das Thema Angst viel häufiger vor als die Hoffnung. Das macht mich skeptisch: Glauben diese Leute an Gott, weil sie auf den Himmel hoffen oder weil sie Angst vor der Hölle haben? Hoffen sie auf Gottes Liebe oder fürchten sie den Teufel?

Das Hoffnungs-Renommée der Pfarrer und Priester ist laut Studie immer noch besser als jenes von Politikern, Lehrern, Journalisten und Managern. Doch die Kirche muss ihre Hoffnungskompetenz glaubwürdig leben.

Zur Person:
Dr. Andreas M. Walker, 46, ist verheiratet; er hat vier Kinder und wohnt in Basel. Seit seinem Studium als Geograf und Historiker beschäftigt er sich mit strategischer Früherkennung und zukünftigen Veränderungen. Er ist Co-Präsident von Swissfuture, der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung, und leitet den von ihm gegründeten «Think Tanks» Weiterdenken.ch.

Zum Thema:
Wirtschaftsführer sind keine Hoffnungsträger
Swissfuture.ch 
Weiterdenken.ch

Datum: 26.01.2011
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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