Ostafrika

Der Südsudan vor der Entscheidung

Im grössten Land Afrikas steigt die Spannung. Können die Südsudanesen im Januar 2011 über die Sezession abstimmen und erlangen sie die Unabhängigkeit, droht dem bitterarmen Staat Instabilität. Wird die Abstimmung hintertrieben oder verschoben, droht eine einseitige Unabhängigkeitserklärung mit unabsehbaren Folgen.
Tristloser Ort: Ein Flüchtlingslager bei Nyala.


Mitte August appellierte die südsudanesische Regierung in Juba an die regionale Vermittlungsgruppe, den Manövern der Zentralregierung in Khartum zum Hintertreiben der im Januar 2011 vorgesehenen Volksabstimmung entgegenzutreten. Finde die Abstimmung nicht statt, drohe wieder Krieg, sagte Botschafter John Andruga Duku, der die Vorbereitungen überwacht. Die umliegenden Länder müssten alles für eine saubere Durchführung tun. Davon hange die Stabilität der Region ab. Duku forderte einen regionalen Sondergipfel.

Der Friedensvertrag vom Januar 2005 hatte 21 Jahre Bürgerkrieg beendet. Seither hat sich der Südsudan autonom entwickelt. Über Sezession oder Verbleib im sudanesischen Staat, der von islamistischen Politikern mit Blut an den Händen regiert wird, sollen die Südsudanesen laut Vertrag im kommenden Januar entscheiden. Der Norden und der Süden des Sudan befanden sich während 39 von 54 Jahren seit der Unabhängigkeit im Krieg miteinander.

Fehlende Infrastruktur

Laut Duku müssen die Südsudanesen zuerst in den Stand gesetzt werden abzustimmen. Die Regierung solle Schulen schliessen und Gelder statt für den Strassenbau jetzt für staatsbürgerlichen Unterricht einsetzen. Die meisten Menschen im Südsudan – der vom Norden unsagbar vernachlässigt und mit Bomben und Raids verwüstet wurde – können weder lesen noch schreiben. Weil Strassen und Kommunikationseinrichtungen fehlen, wird sich die Organisation der Abstimmung und schon die Registrierung der Wähler schwierig gestalten.

Armut und Bürgerkrieg führten dazu, dass sich die meisten gebildeten Leute ins Ausland abgesetzt haben. Kirchen und Hilfswerke tun, was sie können. Doch einem Volk Bildung bringen und die Infrastruktur aufbauen dauert Jahrzehnte. Sudankenner Gunnar Wiebalck (Christian Solidarity International CSI) legt den Finger auf den Mangel an Fachleuten, Lehrern, Juristen und Beamten. Ein eigenständiger Staat Südsudan wird Tür an Tür mit dem feindseligen Regime in Khartum leben, das ihn wegen der Bodenschätze wieder schlucken möchte. Wie er so auf die Beine kommen kann, ist schwer vorstellbar.

Khartum lässt den Süden fortwährend seine Macht spüren. Statt in Devisen erhält der Südsudan die ihm zustehenden Erdöleinnahmen seit Juli nur noch in sudanesischen Pfunden ausbezahlt. Die Folge ist eine akute Devisenknappheit. Der südsudanesische Finanzminister Athorbei richtete schwere Vorwürfe an Khartum. Damit werde die Entwicklung des Südens abgewürgt. Stahl und Zement könnten bald nicht mehr importiert werden.

Und Obama?

In dieser Situation blicken viele nach Washington: Ist für die Regierung Obama die Befriedung Darfurs wichtiger als die Volksabstimmung im Süden? Vor 2005 hatten die USA auf den Friedensvertrag für den Süden gedrängt und die Gegner an den Verhandlungstisch gebracht. Gruppen, die sich für Darfur einsetzen, kritisieren nun die Administration Obama als zu passiv. Der sudanesische Herrscher, gegen den der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschheit erlassen hat, konnte letzte Woche unbehelligt an der Feier zur neuen kenianischen Verfassung in Nairobi teilnehmen. Unklar ist auch, wie sich der UN-Sicherheitsrat zum Januar-Referendum verhält.

Befürchtungen

Kann die Volksabstimmung nicht wie vorgesehen durchgeführt werden, drohen düstere Zeiten. John Andruga Duku hielt vor der Presse fest, was der Verbleib im Sudan für die Völker und Stämme des Südens bedeuten würde: «anhaltende politische, wirtschaftliche und soziale Unterdrückung – zusätzlich zur Sklaverei». Das wegen seiner Erdölvorkommen umstrittene Gebiet Abyei an der Grenze zum Südsudan wird gesondert abstimmen.

Der Ausgang scheint klar: Es wird nach all den Greueln und Leiden der südsudanesischen Stämme ein Ja zur Unabhängigkeit geben. Wie ein tansanischer Leitartikler kürzlich festhielt, ist der sudanesische Staat «immer noch die gleiche alte Diktatur unter Bashirs Nationaler Kongress-Partei, die Meinungsäusserungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit nur minimal (und bloss zur Besänftigung des Westens) zulässt und die nicht-arabischen Sudanesen verachtet».

Schritte in die Zukunft

Der Kenianer Samuel Kobia, der frühere Generalsekretär des Weltkirchenrats in Genf, warnte am 17. August vor einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung aus Juba. Sie sei das letzte, was die Kirchen im Südsudan sehen wollten, sagte Kobia in Nairobi. Nur mit einer ordentlichen Abstimmung könnten die Südsudanesen Schritte in die Zukunft tun und bei einem Ja zur Unabhängigkeit das ersehnte Ziel ehrenhaft und glaubwürdig erreichen.

«Mehr Hilfe vonnöten»

Doch fürchtet man in Afrika, dass die Entstehung eines neuen Paria-Staats im dunklen Herzen des Kontinents ihm noch mehr Instabilität bringt. Der Minister für humanitäre Hilfe im Südsudan, James Kok, sagte, dass das Land nach der Abstimmung mehr Lebensmittel brauche. Nicht einer von zehn Arbeitnehmern verdient einen Dollar am Tag. 4,3 Millionen Menschen erhalten Nahrungsmittel von Hilfsorganisationen.

Wird die Unabhängigkeit Tatsache, dürften viele der 1,5 Millionen Südsudanesen, die im Norden leben, rasch zurückkehren wollen (oder müssen). Zudem leben immer noch Zehntausende Flüchtlinge in den ostafrikanischen Nachbarländern. Die UN-Hilfekoordinatorin Lise Grande hob bei einem Treffen hervor, die Staatengemeinschaft sei gegenüber Sudan ausserordentlich grosszügig gewesen. Kein anderes Land weltweit habe so viel Hilfe erhalten, manchmal über zwei Milliarden in einem Jahr.

Datum: 31.08.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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