Charakterschwäche?

Perfektionismus ist nicht immer schlecht

Ist Perfektionismus immer schecht?
Bloss keine Fehler machen! Alles unter Kontrolle haben. Bin ich der Einzige, der weiss, wie es richtig geht? – Viele Perfektionisten stehen ständig unter Druck und verurteilen sich und andere schnell. Cornelia Mack weiss: Davon kann man frei werden.

Perfektionismus wird oft als negative ­Eigenschaft dargestellt, die man loswerden muss. Sehen Sie das auch so?
Cornelia Mack:
Es kommt drauf an. In bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft ist es sehr hilfreich, dass wir Menschen haben, die mit Perfektion arbeiten können. Wenn ich zum Arzt gehe und eine Operation vor mir habe, möchte ich schon, dass er sein Bestes gibt und versucht, es perfekt zu machen. Wenn ich mein Auto zur Reparatur bringe, sollen die Bremsen zu 100 und nicht nur zu 80 Prozent funktionieren. Klar kann man das nie garantieren, aber die Haltung des Perfektionismus braucht man dafür schon. Es gibt aber auch Situationen, in denen Perfektionismus nicht gut ist.

Woran erkennt man, dass es problematisch wird?
Sobald es Distanz macht zu anderen Menschen: Wenn ich eine Haltung von Besserwisserei oder Härte einnehme oder andere verurteile. Dann ist Perfektionismus negativ.

Sich selbst oder andere verurteilen – das tun Perfektionisten häufig. Was sind die Konsequenzen davon?
Wenn man sich selbst dauernd niedermacht, fühlt man sich schlecht und geht mit einem negativen Lebensgefühl durchs Leben. Das kennen sicher viele von uns. Auch, wenn man andere ständig verurteilt, schafft das Distanz. Dass man negativ über jemanden denkt, kann schon durch Blicke deutlich werden oder durch Gestik und Mimik. Viele Menschen, die in ihrem Perfektionismus gefangen sind, haben kaum Freunde. Man kann solchen Perfektionisten ja nicht wirklich vertrauen: Was sagen oder denken sie als Nächstes über mich? Man hat das Gefühl, es ihnen nie recht machen zu können. Da geht man dann lieber auf Distanz, bevor man nochmal verurteilt wird. Perfektionisten haben manchmal Mühe damit, Wege gemeinsam mit anderen zu gehen, weil sie denken, sie wüssten allein, wie es richtig ist. Das macht das Miteinander schwierig. Denn oft gibt es nicht nur eine Lösung, sondern jeder macht es auf seine Art und Weise.

Autorin Cornelia Mack

Woran merken Eltern, dass ihr Kind perfektionistisch ist?
Bei Kindern äussert sich das häufig in Ängsten: Sie fürchten sich davor, Fehler zu machen und können ihren Lebensmut verlieren. Vielleicht haben sie die Erfahrung des Scheiterns gemacht und wollen um jeden Preis verhindern, dass das wieder passiert. Es gibt natürlich auch andere Gründe für Angst, aber Perfektionismus kann einer davon sein.

Welche Rolle spielt die Geschwisterposition?
Aus Erfahrung und Forschungsergebnissen weiss man, dass es fast immer Erstgeborene sind, die einen Hang zum Perfektionismus haben. Sie haben als Älteste das Gefühl, alles richtig machen oder Dinge in Ordnung bringen zu müssen.

Welche Botschaften können Eltern ihren Kindern vermitteln, um sie vor problematischem Perfektionismus zu bewahren?
Gerade erstgeborenen Kindern gegenüber kann es hilfreich sein, öfter mit ihnen Quatsch zu machen, so richtigen Blödsinn. Oder bewusst etwas falsch zu machen und dann darüber zu lachen. Und sich mal richtig Zeit zu nehmen, um zu geniessen. Zum Beispiel ein gutes Essen oder den Sonnenuntergang. Wenn Kinder Fehler machen, sollte man sie nicht verurteilen, sondern ihnen sagen: Du bist wertvoll, auch wenn du diesen Fehler gemacht hast – ­ist jetzt nicht so schlimm, da kannst du draus lernen. Das ist eine wichtige Botschaft für Kinder, die unter Perfektionismus leiden: Ich bin mehr als meine Leistung und auch, wenn ich versagt habe, bin ich trotzdem wertvoll.

In Ihrem Buch beschreiben Sie Petrus als ­Perfektionisten. Was können wir von seiner Geschichte lernen?
In der Bibel sieht man: Petrus war immer vorne dran und auch ein Besserwisser. An einer Stelle hat er sogar gesagt, dass er für Jesus sterben will. Das ist eine krasse Aussage, finde ich. Und dann erlebt er dieses schlimme, schwere Scheitern, als er Jesus verleugnet. Als Jesus stirbt, geht er in seinen alten Beruf zurück – ich kann mir vorstellen, dass er ziemlich verzweifelt war. Aber Jesus macht einen Neuanfang mit ihm. Dreimal hat Petrus ihn verleugnet, dreimal fragt Jesus ihn: «Hast du mich lieb?» Es kommt nicht auf die Leistung an, sondern auf die Liebe. Jesus geht einen richtig therapeutischen Weg mit Petrus. Er geht zurück an seine Wurzeln, er nennt ihn nicht «Simon Petrus», sondern «Simon, Sohn des Johannes». Zum zweiten Mal lässt er ihn einen wunderbaren Fischfang erleben. Damit erinnert Jesus ihn nochmal an seine Berufung und seinen Charakter. Und dann bekommt Petrus eine neue Berufung – trotz dem, was er getan hat. Die Geschichte geht noch weiter. In der Urgemeinde war Petrus eine wichtige Figur. Sicher war er manchmal noch perfektionistisch, aber er hat diesen therapeutischen Weg mit Jesus erlebt: Als er an seinem Schmerzpunkt war, gab es einen Ausweg. So ist das auch in unserem Leben: Wenn wir an unserem Schmerzpunkt angelangen, ist Jesus mittendrin. Wir können Heilung erfahren, und es geschieht etwas Neues. Ich liebe diese Geschichte von Petrus, weil man sieht, wie Jesus so seelsorgerlich und auch so klar mit ihm umgeht.

Wie können Perfektionisten lernen, Schwäche zuzugeben?
Das hängt auch mit der Gottesbegegnung zusammen, würde ich sagen. Wenn Gott mir in der Tiefe meiner Seele begegnen darf – und da sieht es ja gar nicht so perfekt aus –, verändert er viel. Da sind auch dunkle Seiten, aber das Wissen, dass Gott mich mit meinen Schattenseiten liebt, macht etwas mit mir. Gott liebt uns brutto, nicht netto.

Trotzdem ist es oft nicht einfach, seine eigenen Schattenseiten anzunehmen. Wie kann man gegen negative Selbstbotschaften vorgehen?
Ich brauche eine positive Gegenbotschaft – und die darf ich mir auch von Gott geben lassen. Wie diese Gegenbotschaft lautet, sieht für jede und jeden anders aus. Je nachdem, was das Thema ist: die Angst vor dem Versagen, ein Gefühl der Wertlosigkeit oder eine tiefe Verletzung im Leben. Ich darf Gott bitten: Schenk mir einen positiven Gegengedanken. Es ist eine Sache der Übung, immer, wenn man merkt, man rutscht wieder ab, Stopp zu sagen: Ich hab eine stärkere Botschaft, die setze ich dagegen. In der Psychologie nennt man das Gedankenstopp, in der Bibel ist es die Waffenrüstung Gottes: Im Epheserbrief heisst es, dass wir die feurigen Pfeile des Bösen mit dem Schild des Glaubens abwehren können. Ich finde, das ist eine tolle Technik. Und wenn ich das immer wieder übe, wirkt es in mir und verändert mich auch.

Denken Sie, man kann Perfektionismus ganz loswerden?
Nein, ich denke nicht. Und an manchen Stellen ist es ja gut, diesen Perfektionismus in sich zu haben. Mir fällt es zum Beispiel oft auf, wenn etwas nicht in Ordnung ist, und ich sehe dann, wie man es besser machen könnte. Das ist ja erst mal nicht schlecht. Die Frage ist: Was mache ich damit? Fange ich jetzt an, andere zu kritisieren – «Das ist blöd, wie ihr das macht, ich weiss, wie es besser geht»? Wenn ich sage: «Mir ist da etwas aufgefallen, das ist vielleicht nicht so positiv – und ich habe auch eine Idee, wie man es verändern könnte» – das hört sich gleich anders an. Die Gefahr beim negativen Perfektionismus ist, dass man schnell in diese Härte oder das Urteilen kommt. Das muss aber nicht sein. Ich kann auch versuchen, es als Hilfestellung anzubieten und mitzuteilen, wie ich etwas sehe und wo ich vielleicht eine Veränderung gut fände.

Interessiert an mehr solcher Impulse von FamilyNext? Gönne dir oder Freunden jetzt einen günstigen Jahresabogutschein des Magazins hier.

Buchtipp:
Cornelia Mack, «Endlich frei von Perfektionismus» (E-Book)

Zum Thema:
Durch Jesus vollkommen werden: Nicht perfekt, aber vollkommen
Bibel Coaching: Lobe den Fortschritt, nicht die Perfektion
Leben ohne Druck: Vom Perfektionswahn zur inneren Freiheit

Datum: 08.05.2025
Autor: Malin Georg
Quelle: Magazin FamilyNext 03/2025, SCM Bundes-Verlag

Werbung
Livenet Service
Werbung