Evangelikale und die Politik in den USA

«Wir standen am Rande der Gesellschaft»

Sie sind aus der Politik in den USA nicht mehr wegzudenken: Die konservativen Christen,  die auch als «die Evangelikalen» bezeichnet werden. Rund 20 bis 25 Prozent der US-amerikanischen Bürger stimmen eher für die Republikanische Partei und somit für diese Gruppe. Neuste Trends zeigen unter den amerikanischen Evangelikalen einen Rutsch nach links.
Vor 30 Jahren sorgte Ronald Reagan für eine Aufbruchsstimmung bei den Evangelikalen. (Foto: Flickr / Tuaussi)
Früherer Präsident Ronald Reagan (Foto: Flickr / Adam Fagen)

Genau vor 30 Jahren, am 20. Januar 1981, hatte diese damals noch neue Bewegung die politische Bühne betreten, als der Republikaner Ronald Reagan zum US-Präsidenten gewählt wurde.

Rechtsrutsch  

Neuerdings engagiert sich ein Teil der Evangelikalen politischen Studien zufolge auch rechts von den Republikanern in den sogenannten «Tea Party»-Gruppierungen. 36 Prozent der «Tea-Party»-Anhänger seien Evangelikale, fand das «Public Religion Research Institute» heraus. Was die Tea Party und die «Rechtschristen» vereinigt, ist ihre starke Ablehnung des demokratischen Präsidenten Barack Obama.

Giganten geweckt

Vor 30 Jahren herrschte noch Aufbruchsstimmung. Hauptgrund für den Wahlsieg Reagans gegen den Demokraten Jimmy Carter war wohl die missliche Wirtschaftslage mit zwölf Prozent Inflation, sieben Prozent Arbeitslosigkeit und Zinsraten über 20 Prozent. Aber zudem hatte Reagan auch den «schlummernden Giganten» des Evangelikalismus wachgerüttelt, der sich jahrzehntelang aus der «weltlichen Politik» herausgehalten hatte und in relativer Autarkie lebte mit seinen eigenen Institutionen, vor allem im Süden der USA.

«Wir standen damals am Rande der Gesellschaft», sagte der konservative Aktivist Ed Dobson kürzlich in einer Fernsehdokumentation. «Evangelikale galten als ungebildete, verschwitzte Hinterwäldler.»

Als Zielgruppe umworben

Reagan und dessen Berater hatten erkannt, dass man diese Aussenseiter einfangen konnte, waren sie doch offensichtlich besorgt über einen mutmasslichen «Wertezerfall» in den USA. Reagan sprach bei Veranstaltungen der Evangelikalen und versicherte, dass auch er sich Sorgen mache um eben diesen Zerfall. Die USA seien eine von Gott gesegnete Nation, ein Vorbild für den Rest der Welt.

Damit konnte der Zuversicht ausstrahlende Reagan punkten. Die Evangelikalen nahmen hin, dass der Vertreter von Familienwerten geschieden war und kaum zur Kirche ging.

Der junge Evangelikale Richard Cizik stand an dem eiskalten Januartag auch unter denen, die Reagan zujubelten. Die Evangelikalen hätten mit ihren Stimmen für Reagan «erstmals ihre Fähigkeit demonstriert, Wahlergebnisse zu beeinflussen», urteilt Cizik, der bis zum Vizepräsidenten des «Nationalen Verbands der Evangelikalen» aufsteigen sollte.

Auf einmal gefragt

Anderthalb Jahre zuvor, im Sommer 1979, hatte Fernsehprediger Jerry Falwell die «Moralische Mehrheit» gegründet - einen bald Hunderttausende Anhänger starken Verband zur «Verteidigung der freien Marktwirtschaft, der Familie und der biblischen Moral.» Die «Moral Majority» und andere konservative Gruppen fühlten sich offenbar unterdrückt von der liberalen Elite in den USA.

Und jetzt wurden sie auf einmal im Weissen Haus zurate gezogen: Ronald Reagan versprach eine Verfassungsänderung zur Legalisierung des organisierten Betens in staatlichen Schulen, er wetterte gegen Abtreibung und beschwor traditionelle Werte.

Ernüchtert

Rückblickend allerdings haben manche Evangelikale gemischte Gefühle. Konkret hat sich nicht viel in ihrem Sinne verändert. Auch nicht unter den nachfolgenden republikanischen Präsidenten George Bush und George W. Bush, obwohl die weissen Evangelikalen mit grossen Mehrheiten für diese Kandidaten stimmten.

Meinungsumfragen zufolge verstehen sich in den USA heute weniger Menschen als Christen als vor 30 Jahren. Und im Kulturkampf um ihre Werte haben die Konservativen oft den Kürzeren gezogen. Die Homoehe etwa wird zunehmend akzeptiert.

Glaubwürdigkeit gelitten

Er mache sich schon lange Gedanken, ob sich das Engagement für die Republikaner wirklich gelohnt habe, sagte Cizik, bis vor kurzem Cheflobbyist des Evangelikalenverbands. Die Nähe zum politischen Konservatismus gefährde möglicherweise die evangelikale Glaubwürdigkeit in ihrem Kernauftrag, Menschen mit der christlichen Botschaft zu erreichen. Und eine mit den Republikanern und der «Tea Party» verbundene evangelikale Christenheit werde es schwer haben, auf die wachsende Gruppe von Menschen zuzugehen, die keiner Kirche angehöre.

Trendwende?

Inzwischen ist es etwas ruhiger geworden um die «bibeltreuen Christen». Und es zeichnet sich auch eine Bewegung nach Links ab. Sie spaltet sich auf: Besonders junge Evangelikale wollen wegkommen von Kulturkampfthemen wie Abtreibung und Schwulenrechte.

Es bildet sich offenbar eine neue Strömung von evangelikalen Christen jenseits der Konservativen. Seit etwa sechs Jahren rückten die «Neuen Evangelikalen» immer mehr von konservativen und politisch rechts gerichteten Kräften ab, denen die Evangelikalen traditionell verbunden waren, berichtete die US-amerikanische Kulturwissenschaftlerin Marcia Pally unter Bezug auf aktuelle Forschungsergebnisse.

Der Studie zufolge sprechen sich die «Neuen Evangelikalen» gegen Militarisierung, für Umweltschutz und Armutsbekämpfung aus. Evangelikale Kirchen hätten soziale Programme im In- und Ausland gestartet. «Sie kritisieren die Regierung, wenn sie Ungerechtigkeit wahrnehmen», berichtete die New Yorker Professorin.

Aber zu den Demokraten sind bisher die wenigsten Evangelikalen übergelaufen: Mit Blick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen im November 2012 hat die evangelikale «Glaubens- und Freiheitskoalition» im ersten Vorwahlbundesstaat Iowa schon Mal dreizehn mögliche republikanische Präsidentschaftsanwärter zum Gespräch geladen.






Datum: 20.01.2011
Quelle: Epd

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