Jüdische Seele in weihnachtlichen Liedern
Die Szene gehörte lange zu den ikonischen Momenten der romantischen Filmgeschichte: Während im Weihnachtsmusical «Holiday Inn» 1942 die Schneeflocken fielen, setzte Bing Crosby ein und sang mit seinem warmen Bariton: «I’m dreaming of a white christmas…» Die eingängige Melodie machte das Lied direkt zum Erfolg, der jahrelang anhielt. Noch heute gilt der Song mit 50 Millionen verkauften Exemplaren als meistverkaufte Single aller Zeiten – und daran wird sich voraussichtlich auch nichts mehr ändern.
Die Entstehung von «White Christmas»
Irving Berlin war ein bekannter jüdischer US-Komponist. Er konnte zwar selbst keine Noten lesen und schreiben, verfasste aber etliche erfolgreiche Lieder. Wahrscheinlich liess er seinen Sekretär Helmy Kresa «White Christmas» schon 1940 aufschreiben. Als Bing Crosby es im Musicalfilm «Holiday Inn» sang, begann sein Siegeszug. Selbstbewusst meinte Berlin, dass er damit gerechnet hätte, dieser Titel sei nicht nur der beste Song, den er jemals geschrieben hätte, es sei das beste Stück, dass jemals jemand geschrieben hätte. Klar war das vollmundig, aber 1943 gewann er damit den Oscar für den besten Filmsong. Dabei war die ursprüngliche Plattenaufnahme in nicht einmal 18 Minuten aufgenommen worden.
Dass «White Christmas» solch ein Erfolg wurde, liegt daran, dass das Lied einen Nerv seiner Zeit traf. Es war Krieg und die Sehnsucht nach Frieden und Harmonie war immens. Gleichzeitig entstand gerade eine Weihnachtskultur, die losgelöst von rein christlichen Inhalten war, dabei aber bestimmte Emotionen wie Liebe, Frieden oder Naturerlebnisse mit viel Pathos und beinahe religiöser Betonung in den Vordergrund rückte. Dass «White Christmas» sich mit seinem melancholischen Unterton auf die russischen Pogrome gegen Juden bezoge die Berlins Eltern erlebt hatten, bleibt spekulativ. Doch sein Beitrag zur Globalisierung des Weihnachtsfestes ist unzweifelhaft. Michael Fischer hält im Songlexikon dazu fest: «Der Song [hält] ein wesentliches Element von Weihnachten offen: die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Im Liedtext wird sie in der Vergangenheit gesucht, ersehnt wird sie aber für die Gegenwart und Zukunft. Vielleicht macht diese Möglichkeit zu träumen, einen Teil des Erfolgs dieses Liedes aus; mittlerweile gehört der Song – faktisch, wenn auch nicht offiziell – zum immateriellen Weltkulturerbe.»
Von Juden verfasste Weihnachtslieder
Irving Berlin ist nicht der einzige Jude, der Weihnachtslieder verfasste. Darauf verweist die Jüdische Allgemeine in einem aktuellen Beitrag. 1945 folgte «Let it snow! Let it snow! Let it snow!» von Sammy Cahn und Jule Styne. Ausserdem «It’s the most wonderful time of the year» von George Wyle und Eddie Pola bis hin zu «Rudolph the red-nosed reindeer» von Johnny Marks. Warum wurden viele der bekannteren Weihnachtsschlager von Juden verfasst oder als christliche Weihnachtslieder von ihnen eingesungen? Elvis Presley, Barbra Streisand, Barry Manilow und Neil Diamond legten alle mehrere Weihnachtsalben auf.
Sandra Borchert vom jüdischen Magazin Raawi verweist auf den Sänger und Pianisten Michael Feinstein, den Gründer des «Great American Songbook», der erklärte, dass viele Juden Anfang des 20. Jahrhunderts in die Musikindustrie strömten, weil sie dort am wenigsten vom damals grassierenden Antisemitismus betroffen waren – genau das war die Zeit der grossen amerikanischen Weihnachtsklassiker. Borchert hält fest: «Was auch immer der Grund sein mag, es besteht kein Zweifel daran, dass diese jüdischen Meister eine ganze Menge Neshama – hebräisch für ‘Seele’ – in ihre Kompositionen einbrachten und sich damit ein bleibendes Vermächtnis in der amerikanischen Musikgeschichte sicherten.» Und nicht nur in der amerikanischen...
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Datum: 17.12.2025
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet