Ob es dem „Blick“ das Jahr der Bibel angetan hat oder ob die häufigen Bibelbezüge damit zu tun haben, dass der neue Chefredaktor von Haus aus katholischer Theologe ist, sei dahin gestellt. Werner De Schepper, so heisst der oberste Schreiber des Boulevardblattes, findet jedenfalls, Bibel und Boulevard seien miteinander verwandt. Beide wollten möglichst viele Menschen ansprechen und sie mit aus dem Leben gegriffenen Geschichten betroffen machen. Boulevard bedeute Strasse, durch die man geht. Links und rechts finde man interessante Leute und Institutionen vor, unter anderem die Kirche, aber auch das Freudenhaus, sagte De Schepper in einem Interview im Fernsehen. Jeweils am Montag bringt der „Blick“, der von etwa 750 000 Leuten täglich gelesen wird, eine kleine Rubrik mit dem Titel „Das Bibelzitat der Woche“. Bibelverse, wie „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“ oder „Murret nicht!“ werden meistens von Hermann-Josef Venetz, Professor für Neues Testament an der Universität Fribourg, volksnah ausgelegt. Venetz gelingt es, einen positiven Zugang zur Heiligen Schrift mit Alltagsrelevanz zu vermitteln, wobei die sozialen Themen stark gewichtet werden. Erlösung und Heil spricht der Theologe eher verdeckt an. Beispielsweise schreibt Venetz nach der Schilderung der Ereignisse vor Jesu Geburt: „Die Zeit der „Herrscher“ ist vorüber. Angekündigt hat sich definitiv eine neue Zeit; sie wird von Engeln und schwangeren Frauen geprägt, von bekehrten Männern und Hirten gedeutet, vom Gottsucher Simeon und der alten Prophetin Hanna besungen.“ Bei der Auswahl gehe es hauptsächlich um Bibelzitate, die häufig im Alltag verwendet würden, ohne den Hintergrund zu wissen, sagt De Schepper. Beispiel: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Da habe man zeigen können, dass es sich hier nicht um Rechtfertigung von Gewalt und Rache handle, sondern dass dieser Grundsatz in der damaligen Rechtsprechung einen riesigen Fortschritt bedeutet habe. Vor Ostern erzählte der „Blick“ ausserhalb der Bibelzitat-Serie die Geschichte der letzten Tage im Leben von Jesus. Die Zeitung tat dies in der Form eines Krimi, „was es ja auch war“, so der Chefredaktor. Vielleicht habe danach der eine oder andere Leser Lust bekommen, in der Bibel den Originaltext nachzulesen, sagte Werner De Schepper in jenem Interview. Wichtig sei ihm, nahe bei den Menschen zu sein. „Wir machen Theologie nicht für die Theologen, sondern für die ganz gewöhnlichen Leute.“
Datum: 29.08.2003
Autor: Fritz Herrli
Quelle: idea Schweiz