Kein europäischer Einzelfall

In Italien nimmt Antisemitismus zu

Synagoge von Rom
«Alarm Antisemitismo» titelte kürzlich die italienische Tageszeitung «La Stampa». Anlass war ein Übergriff auf einen jüdischen Mann und seinen sechsjährigen Sohn durch eine Gruppe von Gästen in einem Autobahnrestaurant bei Mailand.

Bilder des Vorfalls kursierten in den italienischen Medien. Das Mailänder Gericht ermittelt wegen Körperverletzung mit dem erschwerenden Umstand des Rassenhasses. Es ist der jüngste in einer rasant wachsenden Serie antisemitischer Vorfälle in Italien seit Beginn des Gaza-Krieges.

An einem Sonntagabend betraten ein 52-jähriger französischer Tourist und sein kleiner Sohn das Lokal. Beide trugen Kippas … für einige Anwesende war das Grund genug, sie mit Rufen wie «Mörder!», «Haut ab!», «Ihr seid nicht in Gaza!» und «Viva Palestina!» zu beschimpfen, berichtet «Christian News Europe» (CNE).

Als der Mann die Szene mit seinem Smartphone filmte und anschliessend zur Toilette ging, wurde er von mindestens drei Männern zu Boden gestossen und geschlagen. Er erlitt leichte Verletzungen, seine Brille zerbrach. Sein Sohn stand fassungslos daneben und erhält nun psychologische Betreuung.

Pogrome in neuem Gewand

Dank der Handyaufnahmen des Opfers, die inzwischen in sozialen Netzwerken kursieren, wurde der Vorfall landesweit bekannt. Die Polizei forderte auch die Bilder der Überwachungskameras an und hat mehrere Angreifer identifiziert.

Bemerkenswert ist, dass es sich bei den Tätern nicht um fanatische pro-palästinensische Aktivisten handelte. Nach heutigem Stand waren es ganz gewöhnliche Männer und Frauen aus dem Umland von Mailand, die nach dem Tanken auf einen Kaffee oder ein Sandwich eingekehrt waren, berichtet CNE weiter.

Sie schlossen sich spontan zusammen, als sich die Situation hochschaukelte. Ein weiteres beunruhigendes Zeichen: Immer weniger Menschen unterscheiden offenbar zwischen dem Staat Israel und der Politik von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einerseits und den Juden insgesamt, die dadurch scheinbar persönlich für die täglich in den Medien präsenten Ereignissen in Gaza verantwortlich gemacht werden.

Wachsende Zahlen

Im Jahr 2024 wurden 877 antisemitische Vorfälle registriert; doppelt so viele wie 2023. Nur acht Prozent stammten von Neonazis oder Faschisten, die Mehrheit hatte pro-palästinensischen Hintergrund, bilanziert CNE.

In Rom schlug ein Erwachsener einem achtjährigen Jungen auf offener Strasse auf den Kopf, nur weil er eine Kippa trug. Der Präsident der jüdischen Organisation «Agei» wurde bei einer Veranstaltung an der Universität Turin von Rednerpult gezerrt. Ein Schüler in Rom wurde von seinem Lehrer wegen seines Glaubens verspottet. Israelische Touristen mussten ein Restaurant in Neapel verlassen.

Jüdisch-italienische Geschichte geht auf Antike zurück

Die jüdische Gemeinschaft Italiens reicht bis in die Antike zurück, Städte wie Rom, Venedig, Ancona und Livorno verfügen über eine reiche jüdische Tradition. Seit dem Zweiten Weltkrieg zählt Italien jedoch nur noch etwa 30’000 jüdische Bürger; rund 0,05 Prozent der Bevölkerung. Viele Italiener kennen persönlich keinen einzigen Juden, was die irrige Gleichsetzung «Israel ist jüdisch, also sind Juden Israel» begünstigt.

Die italienische Politik verurteilt antisemitische Äusserungen zwar einhellig, doch nicht immer konsequent, kritisiert Davide Romano, Direktor eines jüdischen Museums in Mailand: «Die Linke verurteilt gern den rechten Antisemitismus und die Rechte den der Linken. Aber gemeinsam ziehen sie nicht an einem Strang.»

«Die Koffer sind längst gepackt»

Ähnliches erleben manche Juden auf deutschem Boden. Die jüdisch-deutsche Künstlerin und Journalistin Sarah Maria Sander rechnete unlängst mit der deutschen Kulturszene ab. Den Unterzeichnern eines offen Briefes an Bundeskanzler Merz bezüglich Israel warf sie Heuchelei und Opportunismus vor: «Eure politische Haltung, euer Aktivismus ist nichts, es ist eine Show. Es ist Gratismut ohne Risiko, ohne Haltung.»

Ihr Urteil laut der «Bild»-Zeitung: «Ihr seid laut, weil es euch nichts kostet, aber das hat nichts mit Mut zu tun. Es ist heuchlerisch, es ist hohl, es ist leer, und es sagt so viel über diese Szene aus.»

Und im Gespräch mit dem auflagestärksten Boulevard-Blatt Europas analysierte Sarah Maria Sanders: «Ich trage meinen Davidstern oft unter dem Shirt, nehme kein Taxi unter echtem Namen, meide bestimmte Bezirke nach einer bestimmten Uhrzeit. So leben viele Jüdinnen und Juden in Berlin. Und viele sagen mir: Die Koffer sind längst gepackt.»

Schweiz: Jeder vierte Jude denkt ans Auswandern

Selbst in der als sicher geltenden Schweiz fühlen sich Juden längst nicht mehr uneingeschränkt sicher. Mehr als jeder vierte Jude in der Schweiz denkt ans Auswandern.

Eine neue Welle des weltweiten Antisemitismus beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl der Diaspora-Juden. Die Auswanderung aus Frankreich und Grossbritannien hat bereits zugenommen, in Israel bereitet man sich auf eine Einwanderungswelle vor und auch in Deutschland verschlechtert sich die Lage.

West-Europa für Juden nicht mehr sicher

Besonders in Frankreich ist die Lage der Juden seit längerem äusserst schwierig. Im vergangenen November verlangten französische Beamte eine Reaktion der Europäischen Union auf das, was sie als «einen der schlimmsten Ausbrüche von Antisemitismus» in der jüngeren Geschichte bezeichneten.

Bereits 2017 berichtete Livenet vom Phänomen, dass Juden aus Sicherheitsgründen aus Frankreich auswandern. Daran hat sich nichts geändert: Moshe Sebbag, Rabbi der Grossen Synagoge in Paris gegenüber der «Jerusalem Post» im Sommer 2024 klare Worte: «Es gibt keine Zukunft für die Juden in Frankreich. Ich sage jedem jungen Menschen, er soll nach Israel oder in ein sichereres Land gehen.»

Die massive muslimische Einwanderung sowie eine gescheiterte Integration hätten Frankreich gespalten. Es ist von grösster Wichtigkeit, dass die Wurzeln des Antisemitismus erkannt und angegangen werden.

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Datum: 18.09.2025
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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