Wozu starb Jesus am Kreuz?
Ein Jahr später gibt der Kirchenrat mit einer öffentlichen Veranstaltung Gelegenheit zur „Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Deutungen des Todes Jesu“. Am 19. März, dem Samstag vor Palmsonntag, lädt die reformierte Kirchenleitung Synodale und weitere Interessierte zu einer Tagung mit Vorträgen und Diskussion in die Altstadtkirche St. Peter ein.
Nach einer „biblischen Grundlegung“ werden drei systematische Theologen mit Doktortitel von unterschiedlicher Warte zum Sinn des Todes von Jesus am Kreuz sprechen: der Zürcher Professor Pierre Bühler, die in Liestal wirkende Theologin Regine Munz und Paul Kleiner, Dozent am TDS Aarau.
Kirche ohne Sühnetod?
Den Referenten sind drei Fragen gestellt: Wie stehen Sie zur Interpretation des Todes Jesu als Sühneopfer? Was ist Ihre Deutung des Todes Jesu? Was heisst für Sie Erlösung?
Über Mittag können Interessierte bei einem Lunch in Gruppen diskutieren (dafür ist Anmeldung erforderlich). Am Nachmittag ist ein Podium der Referenten unter Leitung des TV-Moderators Erwin Koller vorgesehen, an der die Unterschiede der Sichtweisen weiter ausgelotet werden dürften. Die Zürcher reformierte Landeskirche kennt kein Lehramt; sie hat keine offizielle Lehrmeinung zu dieser zentralen Frage des Glaubens.
Gysel vom Film provoziert
Irene Gysel-Nef, die beim Schweizer Fernsehen eine Religionssendung betreut, ging vor einem Jahr, als „The Passion of the Christ“ angelaufen war, contre coeur ins Kino. Vor der Synode am 30. März 2004 sagte sie dann unter anderem (das Statement wurde vom Vorsitzenden irrtümlich als Erklärung des Kirchenrats bezeichnet):
„Der Film beginnt mit Jesaja 53 und bezieht sich damit auf die Opfertheologie, wonach der unschuldige Jesus unsere Schuld trägt und für das bestraft wird, was wir Menschen Böses getan haben und noch tun. Jesus als Opfer und Gott, der das Opfer braucht, damit wir erlöst werden können. Das ist eine Kreuzestheologie, von der sich die reformierte Kirche eigentlich verabschiedet hat.“
„Gott braucht keine Opfer, um gnädig zu sein“
Gysel ging nicht auf anderslautende Stellen im Neuen Testament ein (etwa „Ohne Vergiessen von Blut geschieht keine Vergebung“, Hebräer 9,22). Sie nahm ein Wort von Jesus auf: „‚Gott will keine Opfer’, zitiert Jesus im Matthäusevangelium den Propheten Hosea. Gott will keine Gewalt, und er braucht daher auch keine Opfer, um den Menschen ihre Schuld zu vergeben. Eine Gewalttat kann niemals eine Grundlage für Erlösung sein. Die Opfertheologie ist letztlich immer eine eine grundsätzliche Rechtfertigung von Gewalt. Die Botschaft des Films ist: Je mehr Blut, je mehr Gewalt, desto mehr Erlösung.“
Feministisches Nein
Im Brustton feministischer Überzeugung äusserte Gysel laut Synodeprotokoll weiter: „Der Film ignoriert die theologischen Erkenntnisse der letzten mindestens 300 Jahre. Er gebraucht logischerweise die Clichés des Patriarchats gegenüber Frauen: Die Figur des Versuchers hat weibliche Züge, Frauen bleiben passiv, weinen und wischen das Blut auf, das die Männer hinterlassen.“
Weiter sagte sie, der Film verschleiere die Machtverhältnisse und nehme die grausamen römischen Besetzer in Schutz.
Entrüstung im Kirchenvolk
Das Statement wurde von den Medien wiedergegeben; es führte in der Passionszeit in Teilen des Kirchenvolks zu empörten Reaktionen und Leserbriefen. Viele Kirchenmitglieder fühlten sich verletzt, wie der Vorsitzende der Evangelisch-kirchliche Fraktion, Alex Nussbaumer, der schon in der Sitzung gegen die Stellungnahme protestierte, zur Begründung einer später eingereichten Interpellation sagte.
Mit Kopf oder auch mit Herz?
Die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich ist, wie der grundlegende Artikel 4 ihrer Kirchenordnung festhält, „allein auf das Evangelium von Jesus Christus verpflichtet. Er ist einziger Ursprung und Herr ihres Glaubens, Lehrens und Lebens.“
Die öffentliche Tagung am 19. März soll dazu dienen, die Dimensionen des Sterbens von Jesus vertieft zu erörtern. Kommt dabei Konsens in Sicht oder wird einmal mehr reformierte Pluralität zelebriert? Wird die ganze Breite des Neuen Testaments ernst genommen – oder verschiedene Deutungsperspektiven gegeneinander ausgespielt? Wird das Geschehen am Kreuz bloss reflektiert – oder verhilft die Tagung dazu, dass es auch die Herzen entzündet?
Details zur Veranstaltung am 19. März, 9.30-16.00, in St. Peter, Zürich:
http://zh.ref.ch/content/e4/e7565
Reaktionen auf Irene Gysels Statement im Frühjahr 2004:
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/154/16087/
Datum: 22.02.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch