Der Genfer Staatsratspräsident David Hiler sagte vor zahlreichen Gästen aus Politik und Kirche, Calvins Reformation habe Genf geöffnet und der Stadt eine einzigartige kosmopolitische Entfaltung ermöglicht. Die geistliche Stossrichtung des Kirchenleiters umriss der Dekan der Genfer theologischen Fakultät, François Dermange, in acht Paradoxien. Gott ist verborgen, der Schöpfer und Erhalter der Welt, und hat sich in Christus offenbart. Es geht um echtes Menschsein - und die Einhaltung der Gebote, denn Gott will in Christus Heiligung. Gottes Gnade ist Geschenk, doch fordert er Einsatz, das Gesetz zu halten. In allen Teilen der Welt spüren evangelische Christen im Calvin-Jahr den Energien nach, die der Genfer Reformator einst freisetzte. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund hatte zum Jubiläum Bundesrat Moritz Leuenberger eingeladen. Dieser betonte in seiner Ansprache, der Calvinismus sei zum "Vorbild demokratischer Staatsführung und Machtteilung" geworden. Zudem habe Calvin Markt und Ethik sinnvoll aufeinander bezogen. Der Magistrat wunderte sich eingangs darüber, dass die Kirchen einen Politiker eingeladen hatten, und meinte, Calvin habe mit seinen Bemerkungen zum Kollegialsystem die Zustände im Bundesrat vorweggenommen. Nach einem Flug über die Exzesse des ‚Neoliberalismus' formulierte Leuenberger vier Postulate für Reform(ation): Im Lebensstil gegenüber der Natur brauche es Mass, in der Marktwirtschaft Nachhaltigkeit, im weltweiten Einsatz gegen die Armut Solidarität - und im Kampf gegen die Orientierungslosigkeit Werte. "Eine Welt, in der alle Menschen in Frieden leben können, braucht mehr als Beliebigkeit, nämlich Arbeit, Einsatz und Solidarität." Reformation, so der Zürcher Bundesrat, der französisch sprach, sei viel anspruchsvoller als Revolution: "die ewige Unrast, welche das Gewissen befragt und sich neu orientiert, die neu Geschaffenes stets wieder in Frage stellt und wiederum neu gestaltet." Mit dem Erbe Calvins beschäftigte sich anschliessend ein vom Publizisten Roger de Weck moderiertes Podium. Teilnehmer waren Jérôme Cottin, Professor für Theologie in Paris, Klaas Huizing, Professor für Theologie in Würzburg, der Genfer Stadtrat Pierre Maudet, Olivier Millet, Professor für französische Literatur in Paris, sowie Ivan Pictet, Senior Managing Partner der Genfer Bank Pictet & Cie. Während dieser, offensichtlich pikiert, sich bemühte, seine Geschäftsethik darzulegen, äusserten die Franzosen, in seinem Herkunftsland werde Calvin neu entdeckt, auch als Literat, der hohe Ideen aus dem lateinischen Elfenbeinturm genommen und in elegantes Französisch gekleidet habe. Als Briefeschreiber sei der Reformator noch zu entdecken. Mittet gab seiner Bewunderung dafür Ausdruck, dass Calvin alles drangegeben habe, um die Bibel auszulegen - und dies mit globaler Vision. Er habe die Reformation gerettet, indem er Grenzen setzte. Für Pierre Maudet liegt die Stärke Calvins im demokratischen Ansatz, in der "Beschränkung der Mächtigen". Er habe für die Flüchtlinge Arbeit gesucht und Strukturen geschaffen, auch die Weizenspekulation bekämpft. Klaas Huizing betonte zum Abschluss ein weiteres Erbe des Genfer Reformators: "Die Transparenz ist ein produktiver Ansatz, heute an Calvin anzuschliessen." Er könne als Erzvater der Demokratie bezeichnet werden. Für Ivan Pictet sind mit Calvin Bürgersinn und unternehmerisches Ethos begründet. Pierre de Weck schloss das gehaltvolle Podium, indem er einen Bogen zum Roten Kreuz des Genfer Pietisten Henri Dunant schlug."Vorbild für demokratische Staatsführung"
"Arbeit, Einsatz und Solidarität"
Vielfältiges Erbe
Macht begrenzen
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Datum: 16.06.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch