Die erstaunliche Entwicklung der Christkatholiken
Seit der Gründung der Alt- bzw. der Schweizer Christkatholischen Kirche und ihrem Zusammenschluss in der so genannten «Utrechter Union» 1889 finden regelmässig – auch in der Schweiz – Internationale Altkatholikenkongresse statt. Der 32. wurde vom 20. bis 23. September in Wien abgehalten. Sein Motto war «Salz der Erde – Christinnen und Christen im Dialog für eine offene Gesellschaft».
Dabei zeigte sich, dass die Alt- und Christkatholiken in den bald 150 Jahren ihres Bestehens eine beachtenswerte Entwicklung durchgemacht haben: Sie waren ursprünglich auf das erste christliche Jahrtausend mit seiner damals noch mehr oder weniger geeinten Christenheit ausgerichtet. Diese wollten sie wiederherstellen. Sie knüpften daher besonders enge Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen des Ostens an.
Heute: Fast evangelikale Prägung
Später öffneten sie sich gegenüber Anglikanern und Lutheranern und näherten sich den Kirchen der Reformation an. Das hat in der Schweiz mit der Zusammenlegung der christkatholischen und der reformierten Theologischen Fakultät von Bern seinen Ausdruck gefunden. Auf ihrem Wiener Kongress präsentierten sich die Alt- und Christkatholiken mit dem neuen Gesicht einer in wichtigen Belangen geradezu evangelikalen Freikirche: Die lebendige Gemeinschaft mit Jesus, seine Nachfolge in Gegenwart und Zukunft haben den historischen Ballast des Altkatholizismus in den Hintergrund gerückt, zum Beispiel Strömungen wie der Kulturkampf und die Los-von-Rom-Bewegung.
Dennoch hat der Mitgliederschwund bei den Grosskirchen auch vor der altkatholischen Ecclesiola nicht halt gemacht. Doch jene, die nach Wien kamen – unter ihnen erfreulich viel Jugend – bewiesen, was für eine lebendige Kirche die Altkatholiken heute sind. Das zeigte sich auch an der für alle Christen offenen Teilnahme am Abendmahl und bei den Agape-Mahlen nach den Gottesdiensten. Ausserdem in lebhaften, aber fruchtbaren Diskussionen in den 27 Workshops.
Kein Priester(innen)mangel
Bei der Vorstellung der verschiedenen alt- bzw. christkatholischen Gemeinschaften fiel auf, dass für die recht kleine Schar von heute insgesamt etwa 70'000 Gläubigen rund 500 Geistliche beiderlei Geschlechts zur Verfügung stehen, von «Priestermangel» also keine Spur! Der Zölibat war und ist für römisch-katholische Geistliche öfter ein Motiv, in den Dienst der altkatholischen Kirche zu wechseln.
Heute scheint die Frauenordination eine ähnliche Anziehung auszuüben: So fanden sich am Wiener Kongress nicht wenige Religionslehrerinnen der römischen Kirche ein, die kein Hehl daraus machten, sich gleich beim Erreichen des Pensionsalters zu altkatholischen Pfarrerinnen ordinieren zu lassen.
Historische Mission
Beim Workshop «Haben wir unsere historische Mission erfüllt?» wurde auch auf die katholischen Weihen von Frauen während der kommunistischen Verfolgung in der Tschechoslowakei Bezug genommen und die Frage gestellt, ob nicht der heutige Seelsorgenotstand in vielen fast pfarrerlosen «Seelsorgeräumen» nebst der Ordination verheirateter Männer auch die von Frauen rechtfertigt.
Beim Abschlussgottesdienst bejahte daher der Vorsteher der Utrechter Union, Joris Vercammen, die Frage nach der Existenzberechtigung altkatholischer Kirchen. Der österreichische Altbischof Bernhard Heitz betonte: «Wir müssen weitermachen!»
Zum Thema:
Religionsstatistik: Freikirchen haben zugelegt
Bunter Teppich: Kirchen, Gemeinschaften und Religionen in Luzern
«Beim ersten Mal überrumpelt»: Explo und die Landeskirchen
Datum: 04.10.2018
Autor: Heinz Gstrein / Fritz Imhof
Quelle: Livenet