Dauerärgernis Kreuz
Pünktlich zum nachrichtenmässigen Sommerloch hat Bayern ein neues Kruzifix-Urteil. «Kruzifix im Schuleingang verletzt Glaubensfreiheit», berichtet denn auch das Nachrichtenmagazin PRO und erklärt, dass ein bayerisches Verwaltungsgericht der Klage zweier Schülerinnen stattgab, die sich durch ein 1,50 Meter grosses Kreuz im Eingangsbereich ihres Gymnasiums in ihrer Glaubensfreiheit verletzt fühlten. Gab es dieses Urteil – oder ein ähnliches – nicht schon einmal? Das gab es nicht nur einmal, sondern das Aufhängen von Kreuzen im öffentlichen Raum ist seit Jahren ein wiederkehrender Verhandlungsgrund. Meist in Bayern. Mal bekam die eine und mal die andere Seite recht. 1983 legte die Bayerische Volksschulordnung fest, dass in jedem Klassenzimmer ein Kruzifix anzubringen sei. 1995 erklärte das Bundesverfassungsgericht diese Absolutheit für verfassungswidrig. Und 2009 ergänzte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass ein in Schulen angebrachtes Kreuz keine Grundrechte verletze. Jedes dieser Urteile hat einzelne Detailfragen geklärt. Keines hat ein endgültiges und klares Ja oder Nein beinhaltet. Darüber hinaus bleibt die Frage bestehen: Warum werden die Streitigkeiten ums Kreuz so vehement geführt?
Verhärtete Fronten
Es ist das gute Recht von Menschen, die sich in ihrer Religionsausübung oder ihren religiösen Gefühlen verletzt sehen, das anzusprechen. Erstaunlich oft geht es dabei um das Kreuz als christliches Symbol. Dies steht in unserem Kulturraum erkennbar für den christlichen Glauben. Damit ist es eine erkennbare Meinungs- und Glaubensäusserung, die mir gefallen kann oder nicht, die aber erst einmal legitim und durch die Religionsfreiheit abgedeckt ist. Aus christlicher Perspektive heisst es dazu oft: Wir leben nun einmal im christlichen Abendland. Das Kreuz ist Bestandteil unserer Kultur. Warum stören diese Menschen sich nicht an Gewaltdarstellungen, sexualisierte Werbung oder anderen Dingen, sondern gerade am Kreuz?
Wer sich in seinen Gefühlen angegriffen sieht, denkt darüber naturgemäss anders. Meist geht es auch nicht um das Kreuz an sich, sondern den Ort, an dem es präsentiert wird. Ein Kreuz im Gerichtssaal, der Ortsverwaltung oder eben auch der Schule kann durchaus zeigen: Kirche und Staat ziehen doch an einem Strang – und wenn du Probleme mit der Kirche hast, hast du sie auch mit seinen Organen. Interessant ist deshalb in der Diskussion der jeweils zweite Satz. Im ersten Satz geht es meist darum, dass man für bzw. gegen ein Kreuz im öffentlichen Raum ist. Doch ab dem zweiten Satz wird klar, dass beide Seiten eine Agenda haben, die weit darüber hinausgeht – oft genug ist es die Frage der Macht.
Wie zeigt man Werte?
Laut PRO erklärte der bayerische CSU-Fraktionsvorsitzende Holetschek: «Für uns als CSU ist klar: Das Kreuz gehört zu Bayern.» Ist das nun ein Statement für den christlichen Glauben? Laut Holetschek «stehe [es] nicht nur für den christlichen Glauben, sondern auch für Werte wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Verantwortung füreinander». Demgegenüber ärgerten sich die beiden klagenden Gymnasiastinnen, dass sie «wegen ihrer Schulpflicht … zwangsweise und immer wiederkehrend mit dem Kruzifix konfrontiert gewesen» seien.
Die Argumentation zeigt, dass es beiden Seiten eigentlich nicht ums Kreuz geht. Die Schülerinnen wurden in der Schule 13 Jahre lang «zwangsweise und wiederkehrend» mit vielem konfrontiert, was sie gestört hat – geklagt haben sie gegen das Kruzifix. Und das Kreuz mag für Christen für Nächstenliebe stehen, doch diese lässt sich problemlos und ohne jede Gegenwehr leben – statt nur das Symbol dafür herzuzeigen.
Paulus und der Stellvertreter-Streit
In seinem Brief an die Korinther stellte Paulus bereits vor 2'000 Jahren fest: «Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verlorengehen; uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Gotteskraft.» Nun hat der Apostel dies nicht geschrieben, um Werbung für das Aufhängen von Kreuzen zu machen – das wurde überhaupt erst ab dem 5. Jahrhundert populär –, sondern im Gegenteil, um den Korinthern klarzumachen, dass die christliche Botschaft keine intellektuelle Weisheitslehre ist, sondern die Liebesbotschaft des menschgewordenen Gottes. Und diese Liebe wird am Kreuz konkret. Damit ist «der Gekreuzigte» immer noch «den Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit», wie Paulus auch festhält, aber wer sich um das Kreuz als Symbol streitet, der findet bei Paulus keine Unterstützung. Und wer dagegen auftritt, muss sich ebenfalls den Vorwurf eines Stellvertreter-Streits gefallen lassen.
Wer sich auf diesen Streit einlässt, der hat eigentlich bereits verloren. Er hat die Dinge aus dem Blick verloren, die wirklich wichtig sind. In seinem Gedicht «An die Nachgeborenen» beschreibt Bert Brecht diese Ablenkung durch das Reden über das falsche Thema eindrücklich:
«Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschliesst!»
Wie wäre es also, jenseits von Rechthaberei über das zu sprechen und ruhig auch zu streiten, was wirklich wichtig ist?
Zum Thema:
Von Juden lernen: Heiliges Streiten
Hilfreiche Streitkultur: Lieber gut streiten als schlecht versöhnen
Kreuz, Krippe, Davidstern: Respekt und Toleranz gegenüber religiösen Symbolen
Datum: 21.07.2025
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet