Nützliches für die Paarbeziehung

Red Flags in der Ehe

Sei dir der Warnzeichen in einer Beziehung bewusst
Gerät eine Ehe in Gefahr, stellt sich oft die Frage: «Hätte ich das nicht früher erkennen können?» Hier ein paar Tipps, wie wir Warnsignale in der Partnerschaft wahrnehmen können.

Eine rote Fahne warnt. Sonst würde man vielleicht schwimmen, obwohl ein Unwetter aufzieht. Die rote Fahne gehört zu den nützlichen Gegenständen, mit denen ich mich in dieser Serie beschäftige. In Beziehungen gebrauchen wir sie im übertragenen Sinn. Psychologen haben «red flags» für Vorstellungsgespräche und Jobs beschrieben, genauso wie für das Dating und für Paarbeziehungen. Meist geht es dabei darum, schädliche Menschen oder Arbeitsbedingungen zu erkennen. Doch auch gute Beziehungen brauchen hin und wieder eine Warnung. «Warum habe ich das nicht schon früher erkannt?», diese Frage stellen sich Partner, deren Ehe in Gefahr geraten ist. Fast immer gab es im Umfeld des Paares jemanden, der schon früh die rote Fahne wehen sah. Doch wer will sich mit Warnsignalen beschäftigen, wenn der Himmel blau und das Lüftchen sanft ist?

In den folgenden Geschichten gerät die Liebe in Gefahr. Sie sind mir in meiner Praxis anvertraut worden. Ich habe sie allerdings verfremdet und aus mehreren ähnlichen Fällen zusammengesetzt.

Die Warnung vor der schiefen Bahn

Im Englischen klingt sie so glitschig, wie sie ist: the slippery slope. Man begibt sich auf sie und es geht abwärts, erst langsam, bald schneller, wie in folgender Liebesgeschichte. Schon im Kindergarten hiess Sebastians bester Freund Maria. Das ist auch so geblieben. In der Beziehung zu Frauen fühlt sich Sebastian einfach wohler. Die Gespräche gehen tiefer. Sebastian fühlt sich verstanden, geschätzt, berührt und inspiriert. Beziehungen zu Männern dagegen empfindet er als oberflächlich. Irgendwie sei doch immer auch Vergleich und Konkurrenz darin. Dass Sebastian seine Freundschaften so lebt, war nie ein Problem. Es wurde erst eines, als er sich befreundete. Doch was soll seine Partnerin sagen? Sebastians Freunde sind eben weiblich. Soll sie ihm alle verbieten? Das käme ihr herzlos und eifersüchtig vor.

Sebastians Partnerin fragt sich nicht, wie es ihr wirklich damit geht. So betreten beide eine schiefe Bahn. Sie heiraten und von Jahr zu Jahr quält sich Sebastians Frau mehr. Sebastian spricht ganz offen darüber, wann er sich mit einer Freundin trifft und worüber er sich austauscht. Er redet dort auch über Sex oder Eheprobleme, worüber man eben mit Freunden spricht, wenn man ihnen vertraut. Maria gehört noch heute zu Sebastians Leben. Mit ihr scheint er über vieles am besten sprechen zu können. Sebastians Frau glaubt ihm, dass er keine Affäre mit ihr hat. Aber kann man nicht auch emotional fremdgehen?

Sebastians Frau zögert lange, denn von Maria abgesehen ist ihr gemeinsames Leben sehr schön. Sie beschwert sich und nun gibt es Streit. Warum ist das auf einmal ein Problem? Die Freundschaft zu Maria aufzugeben, würde sich für Sebastian wie eine Amputation anfühlen. Genau das macht es für seine Frau schlimm: Maria ist für Sebastian wichtiger geworden als eine glückliche, entspannte Ehe.

Wenn die Ehe zurückstehen muss

Eine rote Fahne sollten wir aufstellen bei allem, was in Konkurrenz zur Ehe tritt. Man kann auch mit seiner Karriere fremdgehen, mit einer Selbstständigkeit, einem aufwendigen Hobby oder einem herausragenden Ehrenamt. Je erfolgreicher man dort wird, desto mehr Sachzwänge entstehen, hinter denen die Ehe zurückstehen muss. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn es auf gemeinsame Entscheidungen zurückgeht. Doch schon an die erste Entscheidung, die sich auf das gemeinsame Leben auswirkt und die ein Partner nicht offen besprechen will, sollte man eine rote Fahne hängen.

Auf die schiefe Bahn führen auch Süchte und viele Spielarten von Vermeidungsverhalten wie Prokrastinieren sowie kommunikativer, emotionaler oder sexueller Rückzug. Nicht die Probleme selbst sind es, die man rot kennzeichnen sollte, es ist die Weigerung, darüber zu reden und nach Lösungen zu suchen. Das erst führt auf die schiefe Bahn. Betroffene Partner spüren, wie die Ehe allmählich heruntergezogen wird. Schneller gerät sie durch das Gegenteil aus den Fugen: Etwas schaukelt sich hoch.

Die Warnung vor dem Teufelskreis

«Warum verschliesst du dich?« – «Weil du mich bedrängst. Warum bedrängst du mich auch so?» – «Weil du dich verschliesst!» Man kann nicht sagen, womit es angefangen hat. Eines bedingt das andere und es wird schlimmer. Das kann sich aufschaukeln, bis einer ausrastet und schlägt, stösst oder beleidigt. Gegenstände werden auf den anderen geworfen oder zerstört. Einer versperrt dem anderen den Weg, tritt gegen die verschlossene Tür oder weckt den anderen, nur um weiter zu streiten.

Bei all diesen Beispielen habe ich reife Persönlichkeiten vor Augen. Sie haben einen feinen Charakter. Es sind die Menschen, die zu mir in die Praxis kommen. Nie würden sie sich gegenüber Kollegen oder Freunden so verhalten. Nur in ihrer Liebesbeziehung, die sich so aufgeschaukelt hat, verlieren sie die Kontrolle. An jeden Kontrollverlust sollten wir eine rote Fahne hängen. Nicht erst an den ersten Ausraster, bereits an das erste böse Wort und an die erste Verschlossenheit, die sich nicht nach ein paar Tagen wieder öffnet. Noch ist der Himmel blau. Unsere Ehe verträgt unsere Schwächen. Doch wenn die rote Fahne weht, stehen wir am Rand eines gefährlichen Gebietes. Wir sollten nicht weitergehen. Wir sollten umkehren, auch wenn es erst mal gegen unsere Gefühle und charakterlichen Neigungen geht.

Wenn Gefahr droht

Eine rote Fahne bewirkt, dass wir innehalten, unsere Aufmerksamkeit auf eine Gefahr richten und dann lassen, was uns der Gefahr ausliefern würde. Genau das kann auch eine Ehe brauchen: «Stopp! Wir dürfen jetzt nicht einfach weitermachen. Da ist etwas, was unser Glück und unser gemeinsames Leben in Gefahr bringt.» Gläubige Paare werden ergänzen: «Und was unsere Verfügbarkeit für Gott einschränkt.» Ein Paar kann dann überlegen, was es braucht, um wieder sicher zu sein.

Wenn es die rote Fahne rechtzeitig wahrgenommen hat, sind es oft kleine Veränderungen. Sebastian hätte, als er sich befreundet hat, seine Freundschaft zu Maria anpassen können. Er hätte intime Gesprächsthemen ausklammern und darauf achten können, dass er sich nicht mehr mit ihr beim Italiener oder bei Waldspaziergängen trifft. Es gibt andere Themen und Orte, die eine Freundschaft lebendig halten. Sicher nicht für jede Ehefrau, aber für Sebastians wäre das in Ordnung gewesen. Ein Ehemann hätte für das erste böse Wort im Streit Verantwortung übernehmen können, eine Ehefrau dafür, dass sie ein «Ich kann jetzt nicht mehr» ihres Mannes mehrfach übergangen hat. Alles beginnt mit dem Entschluss, eine gefährliche Entwicklung zu stoppen. Oft bewirkt es viel, wenn man sich Freunden anvertraut. Man bittet sie um offene Worte und um ein Nachhaken.

Warnungen aus Liebe

Für gläubige Menschen läge es nahe, ihr Thema zu Gott hin zu öffnen. Doch erfahrungsgemäss klammern wir unangenehme Themen aus unserer Zwiesprache mit Gott aus. Vordergründig möchten wir da, wo wir uns hilflos fühlen, nicht auch noch Schuldgefühle oder geistlichen Druck erleben. Doch bei näherem Hinsehen geht es um unsere allzu menschliche Weigerung: «Gott, rede mir hier bitte nicht hinein. Ich möchte mich nicht von dir einschränken lassen oder zu Schritten leiten lassen, die mir peinlich sind oder wehtun.»

Was geschieht, wenn wir das Rote-Fahnen-Thema zu Gott hin öffnen? Genau das, was wir fürchten. Gott redet uns rein, zeigt uns Schranken auf und leitet uns zu Schritten an, die peinlich sind und wehtun. Doch bei allen Beispielen, die ich in diesem Artikel aufgeführt habe, leuchtet zugleich ein: Gott tut es aus Liebe, nicht aus Härte. Er schränkt uns nicht ein, er macht uns frei. Auch wenn wir schon die Richtung erahnen, die unsere Zwiesprache mit Gott nehmen wird, nie ahnen wir die Art und Weise, in der Gott mit uns spricht und die Wege, auf denen er uns zum Ziel führt. Sie sind immer individueller, geduldiger, kreativer und auch annehmender als wir erwarten.

Wenn ein Thema emotional gefangen nimmt, ist vielleicht auch eine Seelsorge oder Therapie nötig. Bei vielen Paaren, die ich begleitet habe, durfte ich miterleben: Die Scham und der Schmerz, die eine Veränderung mit sich bringt, gehen vorüber. Das neue Glück aber bleibt. Eine rote Fahne will uns nicht nehmen, was uns zusteht. Sie hält uns nur da zurück, wo Gefahr droht. Nehmen wir sie daher in unseren Schatz nützlicher Gegenstände auf.

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Datum: 04.11.2025
Autor: Jörg Berger
Quelle: Magazin Family 06/2025, SCM Bundes-Verlag

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