Russland: Vier Jahre Haft

Pastor verurteilt wegen Äusserungen zu Ukraine-Krieg

Russische Kirche in Moskau
Pastor Nikolaj Romanyuk (63) muss für vier Jahre ins Gefängnis, weil er in einer Predigt den Angriff auf die Ukraine als «nicht unseren Krieg» bezeichnete. Ausserdem darf Romanyuk drei Jahre lang keine Internetseiten betreiben.

Wie die Menschenrechtsorganisation «Forum 18» berichtet, fällte Richter Jewgenij Parschin den Entscheid am Stadtgericht der westrussischen 200’000-Einwohner-Stadt Balaschicha eingangs September. Er werde seine Strafe voraussichtlich in einem Arbeitslager des normalen Strafvollzugs absitzen, «Forum 18».

Die Staatsanwaltschaft wirft Nikolaj Romanyuk vor, in einer im Livestream übertragenen Predigt im September 2022 dazu aufgerufen zu haben, Militärämter zu blockieren. Die Predigt hielt er am ersten Sonntag nach der Ankündigung einer «Teilmobilmachung» für den Krieg gegen die Ukraine in der Pfingstgemeinde «Heilige Dreifaltigkeit» in Balaschicha.

Seine Familie berichtet, bewaffnete Beamte hätten ihn bei der Festnahme seitlich an den Kopf geschlagen, so dass Flüssigkeit aus seinem Ohr austrat. Für diesen Übergriff wurde bislang niemand zur Rechenschaft gezogen.

«Das ist nicht unser Krieg»

In seiner Predigt sagte Romanyuk unter anderem: «Wenn dir eine Flasche Alkohol oder eine Einberufung zum Kampf angeboten wird – das ist derselbe Satan, dieselbe Sünde.» Weder ein «ukrainischer Zar» noch ein «amerikanischer Zar» oder «unser Zar» könne Christen zu solchem Handeln aufrufen. «Das ist nicht unser Krieg.»

Er verwies darauf, dass die schriftliche Glaubenslehre seiner Gemeinde Pazifismus vorschreibe. «Wir segnen niemanden, der in den Krieg zieht – auch nicht diejenigen, die zwangsrekrutiert werden –, sondern wir beten, dass Gott sie dort herausholt», sagte er. Es gebe legale Möglichkeiten, sich dem zu entziehen.

Aussage vor Gericht

Vor Gericht betonte Nikolaj Romanyuk, er habe lediglich seine persönliche, biblisch begründete Haltung gegen Gewalt und Töten dargelegt und keine staatlichen Stellen zum Widerstand aufgerufen. Die Gemeinde erkenne die Bedeutung des Wehrdienstes zur Verteidigung des Vaterlandes an und befürworte den zivilen Ersatzdienst für Gläubige, die aus religiösen Gründen keinen Militärdienst leisten können.

Auch humanitäre Hilfe für russische Soldaten und für Bewohner der neuen und besetzten Gebiete in der Ukraine habe die Kirche geleistet. «Ja, ich habe über das erzwungene Töten gesprochen. Ich nehme kein Wort zurück», sagte er in seinem Schlussplädoyer.

Er wies darauf hin, dass trotz angeblicher «Untergrabung der verfassungsmässigen Ordnung» kein Gemeindemitglied den Behörden den Gehorsam verweigert habe. Im Gegenteil: Viele hätten aktiv Kriegsopfern geholfen.

Der erste Verurteilte dieser Art

«Forum 18» zufolge leidet Nikolaj Romanyuk an Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen im Gehirn, Psoriasis und Rückenproblemen. Nach einem leichten Schlaganfall im Dezember ist er auf lebenswichtige Medikamente angewiesen und kämpft mit Kopfschmerzen, zeitweisen Lähmungen und Bewusstseinsverlust. Dennoch reagierte das Gericht nicht auf Anfragen, warum es trotz seines Alters und seiner Krankheiten eine so lange Haftstrafe verhängt hat.

Nikolaj Romanyuk ist der erste Mensch, der nach Artikel 280.4 des russischen Strafgesetzbuches verurteilt wurde, weil er den Krieg aus religiöser Sicht kritisiert haben soll. Das Gericht warf ihm zudem vor, seine «Amtspersonenstellung» unter Nutzung von Massenmedien und Internet missbraucht zu haben.

«Von vorn bis hinten konstruiert»

Der Pastor will beim Gebietsgericht Moskau Berufung einlegen. Seine Tochter Swetlana Schukowa erklärte jedoch auf Telegram: «Wir wissen alle, dass sich grundsätzlich nichts ändern wird.» Der Prozess sei «von vorn bis hinten konstruiert, aus persönlichem Hass oder allgemeiner Stimmung.»

Auch der russisch-orthodoxe Priester Andrej Misyuk, der Russland 2022 aus Protest gegen den Krieg verliess, sieht das Verfahren als Einschüchterung: «Der Staat verzeiht keine Antikriegs-Predigten. Jede Stimme, die sich auf die Heilige Schrift beruft, ist doppelt gefährlich, weil sie die Propaganda durchbrechen kann.»

Nikolaj Romanyuk sitzt seit seiner Festnahme am 18. Oktober 2024 im Untersuchungsgefängnis Noginsk. Damals stürmten bewaffnete Einsatzkräfte sein Haus, Wohnungen von Gemeindemitgliedern und das Kirchengelände, zwangen Menschen zu Boden, richteten Waffen auf sie und beschlagnahmten Geräte und Bankkarten.

Verteidiger Anatolij Ptschelintsew nannte das Urteil auf Telegram «unverhältnismässig hart und ungerecht». Freisprüche kenne die russische Justiz kaum, sagte er, «doch die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit stirbt zuletzt».

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Datum: 17.09.2025
Autor: Jack Bethel / Daniel Gerber
Quelle: Christian Daily International / Übersetzung: Livenet

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