Unfassbares im Sudan erlebt

Endlich kommen die langersehnten Lebensmittel
Sudan
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Washington. Der US-Kongress hat dem Sudan mit Sanktionen gedroht, falls keine ernsthaften Schritte zur Beendigung des 19 Jahre dauernden Bürgerkriegs unternommen werden. Das am Wochenende in Washington verabschiedete Gesetz wirft der islamisch geprägten Regierung vor, eine Politik der ethnischen Säuberung gegen Volksgruppen wie die Nuba, Dinka und Nuer zu betreiben.

Das Gesetz fordert US-Präsident George W. Bush auf, alle sechs Monate zu überprüfen, ob die Regierung ernsthaft mit den Rebellen im christlich und animistisch geprägten Süden des Landes verhandelt.

Das sudanesische Parlament wies die Resolution des Kongresses als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück. Die USA führten sich immer häufiger als Weltpolizist auf, der über das Schicksal der Menschen in der Region entscheiden wolle, heisst es in einem am Sonntag von den Zeitungen des Landes verbreiteten Beschluss. Das US-Parlament stelle sich damit völlig einseitig hinter die im Süden des Landes operierenden Rebellen.

Augenzeugenbericht aus dem Sudan

Immer wieder geraten auch westliche Christen bei Hilfs- oder Missionsaktionen zwischen die Fronten. Bewahrung hatte dabei Pat Bradley. Die Vorkommnisse nach einer Intervention der islamischen Regierungsarmee prägten sich aber tief in seine Seele ein: «Sechs Mal war ich schon im Sudan, aber diese letzte Reise werde ich nie vergessen!» meinte der Augenzeuge Pat Bradley. Ich habe die Bedingungen gesehen, unter denen die Sudanesen leben müssen. Sie gehören zu den schlimmsten auf der Erde. Ich habe gesehen, wie Menschen Wasser trinken mussten, das ganz schwarz war! Ich habe zahllose Geschichten von Menschen gehört, die Angriffe von Soldaten, Kampfhelikoptern und den Antonov-Bombern überlebt haben. Ich hatte geglaubt, fast alles gesehen und gehört zu haben, was diese Leute erdulden mussten – bis zu den frühen Morgenstunden des 22. Mai 2002:

Unser Team kampierte in einem Dorf namens Rier. Am Vortag hatten wir Hilfsgüter in dieses völlig verarmte Gebiet gebracht, das die sudanesische Regierung zur „No-Go“-Zone (Betreten verboten) für alle Hilfsorganisationen der UN und des Internationalen Roten Kreuzes erklärt hatte. Aber diese Menschen brauchten Hilfe. Wir waren fest entschlossen, trotzdem zu gehen. Wir brachten ihnen Nahrungsmittel, Medikamente, Schaufeln und andere wichtige Dinge.

Um 2 Uhr morgens Bombergeräusch

Es war 2 Uhr, als wir plötzlich von unheimlichem Dröhnen eines russischen Antonov-Bombers geweckt wurden. Er flog direkt über uns weg – in einer Höhe von ungefähr 500 Metern. Man konnte das Flugzeug nicht sehen, weil es keine Beleuchtung zeigte, um nicht vom Boden aus beschossen zu werden. Der ohrenbetäubende Lärm liess mich aus tiefem Schlaf auffahren. Und bevor wir uns besinnen konnten, war das Flugzeug über uns weg geflogen in die Richtung, wo am Tag zuvor gekämpft worden war. Man sagte mir, dass man eine Maschine, die so tief fliegt, gewöhnlich erst dann hören kann, wenn sie direkt über einem ist. Etwa 4 bis 5 Minuten später konnten wir riesige Lichtblitze sehen, als das Flugzeug 16 Bomben fallen liess. Die Blitze erleuchteten den Nachthimmel – und dann kamen die Explosionen. Ich glaubte, es sei ein Angriff auf Positionen der Südsudanesischen Befreiungsarmee, die am Nachmittag zuvor gegen die islamischen sudanesischen Regierungstruppen gekämpft hatte. Aber wie schrecklich sollte ich mich geirrt haben!

Unvorstellbare Szenen

Kurz vor Tagesanbruch waren wir schon auf dem Weg in Richtung Ort des Bombenabwurfs. Ein Kontingent SPLA-Soldaten (südliche Befreiungsarmee) diente uns als Schutz, denn die islamischen Regierungstruppen-Stellungen (GOS) waren sehr nahe. Was wir sahen war ein Alptraum. Welle um Welle trugen Menschen ihre Verwundeten an uns vorbei.

Was die Bomben menschlichen Wesen antun können, ist unbeschreiblich. Wir sahen Menschen, denen Arme und Beine von den scharfen Bomben-Splittern abgetrennt waren. Bei einem Mann hing der Arm nur noch an einem 6 cm breiten Stück Haut. Der Oberarm war völlig zerfetzt. Der Mann stand unter Schock und lief noch selbst und hielt mit der anderen Hand das, was von seinem Arm übrig geblieben war, damit es nicht hin und her baumelte. Er musste noch 7 km gehen, bis er Hilfe finden würde. Aber wie man ihm helfen könnte, war mir unvorstellbar. Mindestens drei Dutzend verletzte Menschen sah ich zu unserem Camp getragen werden oder gehen. Der Anblick eines Jungen verfolgt mich ganz besonders: Er war etwa 14 Jahre alt. Ein Metallstück oder ein Schuss war ihm links in den Kopf gedrungen. Man sah keine Austrittswunde. Sein Gesicht war ungeheuer angeschwollen und er war im Delirium. Dieser Junge wurde von einem Erwachsenen auf den Schultern getragen. Es war offensichtlich, dass er den Tag nicht überleben würde. Er war blutverkrustet.

Weil die Stellung der GOS-Kräfte nicht klar war, riet man uns, nicht weiter bis zum eigentlichen Ort des Bombardements zu gehen. Später am Tag erfuhren wir dann, dass die GOS nicht etwa Stellungen der SPLA bombardiert hatten, sondern ein ziviles Dorf. Nach allem, was ich im Sudan gesehen habe, war dies das Schrecklichste. Die direkten Folgen eines Bombenangriffs sind ungeheuer, vor allem, weil diese armen Menschen keinerlei Zugang zu medizinischer Versorgung haben und kein Verbandsmaterial oder ähnliches für Notverbände vorhanden ist.

Als ich am 24. Mai wieder nach Nairobi in Kenia zurück kehrte, sah ich einen Artikel in der East African Times, in dem genau über diesen Angriff geschrieben wurde. Was mich empörte, war die Bemerkung, dass die GOS diesen Angriff abstreiten würden. Dabei bin ich ein Zeuge. Ich habe selbst einige der Verwundeten gesehen – unleugbare Beweise für den Angriff. Die GOS behauptete, dies sei das Werk der SPLA gewesen. Das ist absurd, denn die SPLA besitzt überhaupt keine Antonov-Bomber!

Echter Beistand

Dieses Erlebnis hält mich jedoch nicht ab, weiterhin im Sudan zu arbeiten. Ja es hat in mir die Entschlossenheit nur noch fester gemacht, in diese «No-Go»-Zonen zu gehen und der leidenden Bevölkerung Hilfsgüter zu bringen. Ich spreche zwar nicht ihre Sprache, aber die Sprache des Herzens wird überall verstanden. Viele haben uns gesagt, dass es ihnen ungeheuer viel bedeutet, wenn Ausländer zu ihnen kommen und einige Zeit bei ihnen sind. Vor allem, wenn sie bereit sind, auch in die verbotenen Zonen zu gehen und dort die Nacht zu verbringen, auf der Erde zu schlafen wie sie und für kurze Zeit das Leben zu teilen, das sie Tag für Tag führen müssen.

Wir sind entschlossen und bereit, weiterhin diesen liebenswerten Menschen zu dienen, die nur allzu vertraut mit dem Leiden sind und die wissen, was es bedeutet, unter den grausamen und erbarmungslosen Angriffen eines islamischen Regimes zu leiden, das entschlossen ist, ihrer Existenz ein Ende zu setzen.

Soforthilfe

In Zusammenarbeit mit der Partnerorganisation International Christian Concern http://www.persecution.org/ wurde, so schnell es ging, ein weiterer Transport mit lebenswichtigen Medikamenten, Werkzeugen und Lebensmitteln in dieses hart umkämpfte Gebiet geflogen. Den Südsudanesen geht es darum, dass ihnen weder der Islam noch die Scharia aufgezwungen wird. Die meisten Südsudanesen sind entweder Christen oder Animisten. Bisher hat dieser unselige Bürgerkrieg über zwei Millionen Opfer gefordert. Unter den vielen zivilen Opfern sind auch zahlreiche Christen. Darum helfen wir ihnen im Rahmen unserer Möglichkeit.

Quellen. Kipa/HMK (icc)

Datum: 15.10.2002

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