Als Ranjha Masih vor vier Jahren während den Beerdigungsfeierlichkeiten von Bischof John Joseph von Faisalabad verhaftet wurde, war er 50 Jahre alt. Obwohl Kaution für ihn geboten wurde, blieb er im örtlichen Gefängnis eingesperrt. Sein Haar und Bart sind inzwischen weiss geworden und er ist krank. «Jedes Mal, wenn ich ihn besuchen darf, ist er schwächer», berichtet seine Frau Rashidaan Bibi und wischt sich die Tränen aus den Augen. Sie sagt, dass ihr Mann, ein langjähriger persönlicher Freund des katholischen Bischofs John, durch dessen Selbstmord, mit dem er gegen die zunehmende Verfolgung der Christen und anderer religiöser Minderheiten unter dem berüchtigten «schwarzen Gesetzen» über die Blasphemie protestieren wollte, tief betroffen gewesen sei. «Bischof John hat meinen Mann wirklich geliebt», sagte sie, und die ganze Familie nahm an den Umzügen durch Faisalabad anlässlich des Begräbnisses am 8. Mai 1998 teil. Sie erzählte weiter, dass ihr Mann, als er in der Abenddämmerung mit seinem Bruder und drei seiner Söhne auf dem Heimweg gewesen sei, auf einen grossen Zug gestossen war. In der Meinung, dass es Christen seien, die noch zur Beerdigung wollten, rief Ranjha ihnen zu, dass sie heimkehren sollten, weil die Beerdigung vorbei sei. Aber ohne Vorwarnung stürzte sich die Menge mit Waffen und Stöcken auf den Vater, so erzählten ihr ihre Söhne später. Der Mob aus wütenden jungen Muslimen packten Ranjha und fingen an, ihn zu verprügeln. Sie beschuldigten ihn, einen Stein geworfen zu haben und so eine Neonreklame beschädigt zu haben, auf der ein Koranvers geschrieben war. Als die Polizei kam, wurde Ranjha verhaftet und mit einem Jeep abtransportiert. Seine Söhne schlichen nach Hause und berichteten der Familie, was geschehen war. Tief in die Nacht hinein plärrten die Moschee-Lautsprecher in der Nachbarschaft: «Ranjha Masih ist ein Gotteslästerer, der getötet werden muss, und sein Haus gehört verbrannt.» Noch in dieser Nacht floh die ganze Familie mit den meisten christlichen Nachbarn. Am frühen Morgen umringte der Mob das leere Haus, zertrümmerte die Tür und die Fenster, bis die Polizei kam und der Zerstörung Einhalt gebot. Seine Familie hatte wochenlang keine Nachricht von ihm, bis durch Zufall ein Verwandter Ranjha in einem Gerichtsgebäude in einer Reihe von aneinandergeketteten Gefangenen erblickte. «Unsere ganze Familie eilte dorthin, um ihn zu sehen», erzählte seine Frau. «Da war er bereits in einem Polizeiwagen. Wir konnten ihn kaum sehen, aber wir konnten mit ihm durch das Fenster sprechen.» Ranjha hat ihnen später erzählt, dass er von einem Ort zum anderen gebracht worden sei, immer mit verbundenen Augen und immer in schweren Ketten. Wiederholt sei er geschlagen worden. Gemäss eines Untersuchungsberichtes der Menschenrechtsorganisation CLAAS in Lahore wurde er nach Thana Thekerewala, einem Vorort von Faisalabad, gebracht, wo er «ungefähr 15 Tage lang in Ketten gelegt und gefoltert wurde.» Sieben Wochen nach seiner Verhaftung wurde Ranjha vor einen Richter gebracht und formal wegen Verletzung von Abschnitt 295-C des Blasphemie-Gesetzes (sogenannte Gotteslästerung) angeklagt, obgleich der Polizeirapport lediglich ein Vergehen gegen Abschnitt 295-A feststellte. Ein Verstoss gegen 295-C fordert die Todesstrafe, während ein Verstoss gegen 295-A weniger hart bestraft wird. Es ist kaum zu glauben, aber Ranjhas Prozess ist immer noch hängig vor dem Gerichtshof von Faisalabad. Er wird verteidigt von Khalil Tahir, einem christlichen Rechtsanwalt, der Drohungen erhält, weil er den Fall übernommen hat. «Die Anklage hat jetzt endlich ihr Verfahren abgeschlossen», sagte ein Repräsentant der Nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden, die diesen Fall beobachtet. «Jetzt kann die Verteidigung beginnen, und das wird mindestens noch ein paar weitere Monate dauern.» Ranjhas Familie darf ihn einmal im Monat 30 Minuten lang besuchen, und zwar jedes Mal höchstens 4 Personen. Die Gefangenenwärter passen sehr gut auf, und er kann nie mit seiner Frau privat reden. Diese berichtet: «Die Wachen sagen uns: ‚Wir tun dir schon einen grossen Gefallen, dass du diesen Gotteslästerer besuchen darfst.’ Und manchmal müssen wir mehrere Stunden warten, bis alle Besucher der anderen Gefangenen gegangen sind. Erst dann dürfen wir ihn sehen. Und in der Zwischenzeit beschimpft man uns ständig.» Sie sagt ausserdem, dass ihr Mann nicht lesen kann, und dass niemand im Gefängnis in seiner Nähe ist, der ihm aus der Bibel vorlesen könnte. Er kann nur beten. Unterdessen haben einer seiner Söhne und etliche andere Verwandte ihre Arbeit verloren, weil Ranjha wegen Blasphemie angeklagt ist. Rashidaan und Ranjha haben 5 Söhne und eine Tochter, von denen drei verheiratet sind, und etliche Enkel. Eines der schlimmsten Fehlurteile in Indonesien gegen Christen wurde in Padang auf der Insel Sumatra 1998/99 gesprochen. Sechs Christen wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt: Salmon Ongirwalu und seine Frau beherbergten ein muslimisches Mädchen, das behauptete, sich zum Christentum bekehrt zu haben. Auch der Pastor Yanawardi Koto und seine Sekretärin, Jenny Mendrofa, sowie der Direktor der Schule, in der das Mädchen aufgenommen worden war, Pastor Robert Marthinus und seine Frau (!) erhielten lange Gefängnisstrafen. Ein Teenager, Khariyah Enniswah, kam im März 1998 zum Pastor und sagte, sie sei vom Islam zum Christentum konvertiert und sie suche Schutz vor ihrer Familie, die sie angeblich umbringen wollte. Enniswah wurde in eine Schule geschickt und bei einer christlichen Familie untergebracht, bis die Christen vor Ort beschlossen hätten, was zu tun sei. Der Onkel des Mädchens «entdeckte» sie jedoch in der Schule und behauptete, sie sei «entführt, vergewaltigt und mit Gewalt zum Christentum bekehrt worden.» Er schürte den Volkszorn der vorwiegend muslimischen Bevölkerung und der Prozess gegen die 6 Christen fand in einem Klima von Einschüchterung im Sommer 1999 statt. Menschenrechtsorganisationen verurteilten diese Urteile. Die Christen sind der Meinung, dass das Mädchen von seinem Onkel «untergeschoben» wurde, um Unruhe zu stiften. Die Frau von S. Ongirwalu und Pastor Marthinus Ehefrau, sowie die Sekretärin bekamen je 6 Jahre für Mittäterschaft, aber sie wurden nicht aufgefordert, ihre Strafe anzutreten. Die drei Männer legten Berufung ein beim indonesischen Höchsten Gericht. Aber dieses verweigerte 2001 eine Anhörung des Falles. Der Fall wurde dann an den indonesischen Präsidenten Wahid geleitet, der die Macht hatte, eine Begnadigung auszusprechen. Von Wahid war bekannt, dass er den Verurteilten wohl gesonnen war. Aber bevor er etwas unternehmen konnte, überrollten ihn die Ereignisse: er wurde abgesetzt und durch Präsidentin Megawati ersetzt, die kein Interesse für den Fall gezeigt hat. Alle drei sind weiter im Gefängnis. Salmon Ongirwalu hat zuerst viel an Gewicht verloren und wurde von der Gefängnisnahrung krank. Heute kann ihm aber seine Frau täglich Essen bringen, und das hat seine Gesundheit gestärkt. Falls er für eine Amnestie seitens der Regierung in Frage kommt, könnte er frühestens auf eine Freilassung auf Ende 2003 hoffen. Yanawardi Koto arbeitet am Rehabilitationsprogramm des Gefängnisses mit und reist oft ausserhalb des Gefängnisses zu Arbeitsprojekten. Er wird als so vertrauenswürdig betrachtet, dass er jeden Monat einen besonderen Passierschein bekommt, damit er eine Nacht bei seiner Familie verbringen kann. Er hat eine Frau und zwei kleine Kinder. Im Falle einer Amnestie könnte er auch in der zweiten Hälfte von 2003 freigelassen werden. Auch Robert Marthimus hat die Gefängnisleitung durch seine gute Führung beeindruckt. Er erhält jeden Monat einen Tag Freigang und er benutzt diese Zeit oft, um in seiner Gemeinde Gottesdienste zu halten. Im Falle einer Amnestie könnte er Ende dieses Jahres oder anfangs des nächsten Jahres frei werden. Neben der juristischen Unterstützung war das wichtigste Problem der Unterhalt der Familien. Salmon und Yanawardi haben beide zwei Kinder und Robert hat drei. Aber die Christen am Ort kümmern sich um die Familien und einige Missionswerke haben den Familien auch Geld gegeben, so dass die Familien zurecht kommen und die Kinder weiter zur Schule gehen können. Die Atmosphäre ist gespannt. An Christen leben kaum 400 an der Zahl in einem Gebiet, das von 4 Millionen strenggläubigen Muslimen der Minang-Volksgruppe bewohnt wird. Indonesiens Ruf, dass Christen dort einen fairen Urteilsspruch bekommen, ist dahin. Es ist ein Land, in dem drei Männer, die sich eines Mädchens erbarmt hatten, das behauptete von seinen muslimischen Eltern verstossen worden zu sein, für ihre Hilfsbereitschaft zusammen bereits 12 Jahre Haft erduldet haben. Und sie sind immer noch in Haft. Mehr Informationen bei: HMK-AEM Hilfsaktion Märtyrerkirche, Postfach 50, 3608 Thun Quelle: HMK-AEM/Hilfsaktion MärtyrerkircheWieder ein sogenannter «Blasphemie-Fall»
Besuchsrecht: 30 Minuten
Indonesien: Die "Sechs von Padang"
Strafen» absitzen
Christliche Solidarität
Datum: 14.11.2002