Gottesdienste – Werbung oder Identitätsstiftung?
«Unsere Gottesdienste dienen nicht der eigenen Identitätsfindung, sondern zeigen gegen aussen, wer wir sein wollen, sind Teil unserer Werbung.» Diese Notiz habe ich mir während eines Vortrags gemacht. Sie brachte mich ins Nachdenken: Wozu dient es, dass wir Gottesdienst feiern? In der Gestaltung von Gottesdiensten kommt zum Ausdruck, wo und wie und mit wem sich die Menschen dieser Gemeinde wohlfühlen und sich identifizieren. Äussere Formen wie musikalische Gestaltung, Liturgie, Predigtart, Setting mit Bestuhlung oder Tischen, wie begrüsst oder verabschiedet wird, macht für viele Gemeindeglieder so etwas wie Heimat aus. Deshalb ist es auch schwierig, etwas zu verändern.
Letztes Jahr erlebte ich, wie wichtig mir äussere Formen sind: In der Willow Creek Community Church in Chicago wurde der Gottesdienst nicht wie gewohnt mit Gebet, Lied, Segen und Musik abgeschlossen, sondern direkt nach der Predigt mit einem kurzen Gebet. Zwei Minuten nach der Predigt war der Gottesdienst zu Ende – ohne Segen oder Sendung. Mir fehlte dort ein für mich wesentlicher Teil.
An diese persönliche Erfahrung erinnere ich mich, wenn ich Gemeinden besuche, die daran sind, ihr Gottesdienstangebot zu verändern. Sehr schnell werden Neuerungen als trennend erlebt. Sehr schnell wird argumentiert, dass ein Gottesdienst so und nicht anders sein müsse. Die äussere Form, die einer Gruppe von Personen wichtig ist, wird verabsolutiert: sei es im Blick auf Orgelmusik oder Band, traditionellen Gottesdienst oder moderne oder postmoderne Gottesdienstformen. Es wird theologisch, liturgisch oder missionarisch argumentiert – mein Eindruck ist jedoch, dass es in Wahrheit um das eigene «Ich-fühle-mich-wohl» geht.
Gott begegnen und sich ausrüsten lassen
Wäre nicht wichtiger zu fragen: «Wie gestalten wir den Gemeindegottesdienst so, dass die Gaben, die Gott in unsere Gemeinde legt, so zum Ausdruck kommen, dass möglichst viele Menschen mit uns diesem Gott begegnen wollen und ihm auch begegnen?» Eventuell gibt es dann mehr als eine Möglichkeit, Gottesdienst zu gestalten. Gottesdienst als spezieller Anlass soll mich einerseits in die Begegnung mit Gott führen und mich andererseits dafür ausrüsten, den Gottesdienst in meinem Alltag zu leben.
Ich bin den vielen Gemeinden und Denominationen dankbar, dass Gottesdienst so unterschiedlich gefeiert werden kann – ich erlebe das als Bereicherung und Geschenk Gottes. Und dann, wenn ich vor dem Gottesdienstbesuch Gott bitte, mir zu begegnen, wird die Frage nach der konkreten Gestaltung viel weniger wichtig, weil ich weiss, mit wem ich feiere.
Datum: 16.04.2013
Autor: Claudia Haslebacher
Quelle: Livenet