Besseres als Mobilität ohne Grenzen – erster Velogottesdienst in der Zürcher Wasserkirche

Hiphop in der Wasserkirche
Herr der Spiele: Hans Fluri
Initiierte den ersten Velo-Gottesdienst: Jörg Weisshaupt
Viel Betrieb auf der Rathausbrücke

Dort wo sonst Autos über die Bahnhofstrasse jagen, waren Elektro-Bikes zu besichtigen und auszuprobieren. Daneben spielten Jugendliche Inline-Hockey, Knaben und Mädchen balgten sich auf drei Street Soccer-Feldern um den grünen Ball, und die Kleinen sprangen auf der Limmatbrücke auf den Blasios herum. Bis am Nachmittag (Zürich hatte den europäischen Aktionstag «In die Stadt - ohne mein Auto» auf den Sonntag verschoben) schenkte die Sonne ihre warmen Strahlen.

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Das autofreie Stadtzentrum zwischen Bellevue und Central war für viele Familien mit kleinen Kindern ein Paradies. Weil jedoch der SVP-Gemeinderat Mario Tuena am Multimobil-Aktionstag zu viele Alternative und Linke wahrnahm, reichte er am Montag flugs einen Vorstoss ein, mit der der Stadt die Finanzierung und Organisation eines nächsten Aktionstags untersagt werden soll…

In der Werbung kaum zu finden

Die Massen der Jugendlichen zog ein anderer Event an – Freestyle-Vorführungen auf der Landiwiese. Damit mag der schwache Besuch des ersten Velogottesdienstes zusammenhängen, der am späten Vormittag in der Wasserkirche stattfand (ein zweiter Grund war die gar unauffällige Präsenz des Gottesdienstes in den Inseraten und Plakaten der Organisatoren). Gerade 30 Personen fanden sich ein zu der besinnlichen Stunde, in der Stadträtin Monika Stocker über „Mobilität: Sucht, Segen oder Fluch?“ sprach.

Die Sozialvorsteherin der Stadt drückte ihre Hoffnung aus, an diesem Tag der gestressten Business-Stadt eine „andere Mobilität“ vorzuleben: „Eine Art Haltstelle einrichten im Wahn des immer mehr und immer schneller Werdens, das sich ja gerade in den Städten heute selbst erschöpft“.

Haltestelle im Mobilitätswahn

Stocker beobachtet in der Gesellschaft „Leidenschaft für das Leben ohne Grenzen“. Diese Leidenschaft bewirke Wut über jene, die an persönliche Grenzen kommen, oder jene, die für Gesellschaft und Wirtschaft Grenzen ziehen wollen. Wut auch über schmale Strassen oder begrenzte Parkplätze. Unverständnis anderseits für die Mobilität der Afrikaner, die von Europa träumen und nach Norden migrieren: „Dass nun – nachdem wir nach Nairobi fliegen zu Strandferien im November – irgend so ein dem Regime nicht genehmer Lehrer aus einem westafrikanischen Land auch ins Flugzeug ein- und in Kloten aussteigt“.

Das Leben geniessen und „so etwas wie Glück“ finden – das heisst für die grüne Politikerin, dass wir „mit Grenzen leben können, uns nicht resigniert, sondern aktiv und erfüllt in ihnen einrichten, in die Tiefe und in die Höhe und in die Breite wachsen, geistig, seelisch, menschlich“. Sie wünschte den Anwesenden eine erfüllende Mobilität, die in den gegebenen Grenzen das Mögliche kreativ anpackt.

Gottes Hauch: Der Geist macht mobil

Da in der ‚Predigt’ Stockers ein Verweis auf die Bibel fehlte, schob der Organisator des Gottesdienstes, Jörg Weisshaupt von der reformierten Arbeitsstelle ‚Kirche und Jugend’, eine Lesung aus Psalm 104 in der zürichdeutschen Übertragung von Josua Boesch nach. Darin wird das Wunderwerk der Schöpfung bestaunt.

Weisshaupt erzählte von einer Velotour in Italien mit einem neuen Tandem, die jeden Tag einen platten Pneu brachte. „Ohne Geist von Gott (griechisch: Pneuma) sind wir matt und wenig mobil.“

Wir haben’s nicht im Griff – und tragen doch Verantwortung

Anschliessend führte der bekannte Brienzer Spiel-Lehrer Hans Fluri Spiele vor und verdeutlichte jonglierend in der souveränen Art des Altmeisters, dass wir das Leben nicht im Griff haben und doch Verantwortung für sein Gelingen tragen.

Nach dem Gottesdienst, umrahmt von zwei Hiphop-Tänzen, fing das Spielen so richtig an: Hans Fluri bot Passanten im Schatten des Fraumünsters seine Hilfe an, es mit Stäben und dem Teller auf dem Stab zu versuchen.

Datum: 30.09.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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