Gastbeitrag zu Heiligabend

An Weihnachten ist Verzicht eine Sünde

Lasst uns einander beschenken (Symbolbild)
In der festlichen Zeit wird oftmals zum Verzicht aufgerufen. Dabei sollte man aus theologischer Sicht gerade in den Festtagen besonders grosszügig sein – findet der Publizist Giuseppe Gracia, ab 2026 Herausgeber des «schweizer monat».

Heute ist es Mode, den eigenen Wohlstand kleinzureden und eine gewisse Anspruchslosigkeit an den Tag zu legen. Manchmal geschieht dies aufgrund eines schlechten Gewissens, weil man vielleicht ohne Eigenleistung viel geerbt hat oder weil man allein durch gute Beziehungen eine hohe Position bekommt. Und manchmal liegt es daran, dass man sowieso ein knauseriger Mensch ist. Dann verkauft man seine Knauserigkeit gern als Widerstand gegen den Konsumismus, als Absage an den bösen Kommerz.

Besonders während der Weihnachtstage will man beweisen, dass man nicht zum Überfluss neigt. Zumindest dem Anschein nach braucht man «eigentlich nichts», schliesslich kann man es sich leisten, nicht aufs Geld zu schauen. Oder man praktiziert aus echter Überzeugung einen neuen, puritanischen Verzicht, der einem ein überlegenes Gefühl gibt. Dieses Überlegenheitsgefühl wirkt besonders an den Weihnachtstagen, wenn man zu den Vorbildlichen gehört, die nicht viel verlangen und noch weniger geben.

Einerseits ist das Ganze scheinheilig, denn unter dem Jahr geniesst man weiterhin die teuren Kleider, die noblen Autos und Urlaubsorte. Andererseits verleugnet es die Tugend der Grosszügigkeit. Mit sich selber mag man ja bescheiden sein, das bildet den Charakter. Wer im Verzicht geübt ist, findet besser zu einem reifen Leben in Selbstverantwortung. Aber gegenüber dem Umfeld, der Familie, dem Bekanntenkreis? Da sollte man grosszügig sein. Grosszügig mit seiner Zeit. Grosszügig mit seinen Gefühlen, mit seinem Interesse am Gegenüber, mit seiner Offenheit. Und grosszügig mit Geschenken.

Wunder der Grosszügigkeit

Die Weihnachtsgeschichte macht es vor. Mit der Alltagsvernunft ist diese Geschichte kaum zu fassen: Der Sohn Gottes, Schöpfer des Alls, kommt in einem Stall irgendwo in der Provinz zur Welt, geboren von einer Jungfrau, mitgetragen von einem Esel und einem Mann, der seiner Frau glaubt, dass sie nicht von einem anderen Mann schwanger wurde, sondern vom Heiligen Geist.

Diese Geschichte lässt sich als Wunder der Grosszügigkeit lesen. Das Vertrauen Josefs in die Treue und Wahrhaftigkeit seiner Frau ist so gross, dass er alles für sie und das Kind tut. Maria auf der anderen Seite ist so grosszügig, dass sie dem Heiligen Geist ihren Körper zur Verfügung stellt, um schwanger zu werden und unter grossen Risiken ein Kind auszutragen. Und schliesslich ist Gott selber grosszügig, wenn er sich einem Menschenpaar anvertraut, um durch sie seinen Sohn in die Welt kommen zu lassen – wohlwissend, wie zerrissen und gestört diese Menschheit doch ist. Trotzdem schenkt Gott nicht nur sein Vertrauen, sondern sprichwörtlich sich selbst.

So reich beschenkt die Menschheit in dieser Weihnachtsgeschichte wird, so reich können sich Menschen gegenseitig beschenken. Weihnachten kann verstanden werden als Sternstunde des Beschenktwerdens. Deshalb ist es an diesem Tag sogar eine grosse Sünde, knausrig zu sein. Um dieser Sünde zu entgehen, sollte man jeden Geiz und jeden antikommerziellen oder genussfeindlichen Reflex ablegen. Man sollte essen, trinken und schenken! Man sollte zusammen die Beziehungen feiern, das Wunder des Lebens und der Liebe.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf schweizermonat.ch.

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Datum: 24.12.2025
Autor: Giuseppe Gracia
Quelle: Schweizer Monat

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