163 Geburtstagsgeschenke?

9 Kinder, 53 Enkel und 101 Urenkel

Geburtstag feiert Abram Thiessen aus Detmold gern in der Familie. Denn der rüstige Rentner empfindet seine grosse Familie als Geschenk Gottes – besonders vor dem Hintergrund seines bewegten Lebens.
Geschenke

Abram Thiessen wächst auf der sowjetischen Halbinsel Krim auf. Seine Vorfahren waren – wie viele andere Deutsche auch – im 18. Jahrhundert dem Ruf der russischen Zarin Katharina II. (1729–1796) in das riesige Reich gefolgt.



Als Kind verbringt Abram viel Zeit auf dem Hof seiner Grosseltern, die eine grosse Landwirtschaft betreiben. Auch viele Russen arbeiten dort. «Mein Grossvater hat sie immer gut behandelt. Er war ein sehr gottesfürchtiger Mann», erzählt der 88-Jährige. «Er sorgte dafür, dass es ihnen gutging.»

Grossvater verschleppt, Vater erschossen

Als Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre der stalinistische Terror losbrach, gerieten auch die «Kulaken», wie wohlhabende Grossbauern genannt wurden, ins Visier der Kommunisten. Doch die russischen Arbeiter, die über Jahre bei Thiessens Grossvater tätig gewesen waren, warnten ihn, so dass er mit seiner Familie fliehen konnte – vorerst.


Denn wenige Wochen darauf geraten Vater und Grossvater im ukrainischen Menglertschik, wo sie Verwandte warnen wollten, in die Fänge der kommunistischen Schergen. Beide werden verhaftet. «Mein Vater wurde zwei Jahre später in der Bucht Nagaeva erschossen. Von meinem Grossvater haben wir nie wieder etwas gehört.»



Thiessens Mutter wird mit ihm und den drei Geschwistern nach Kasachstan verschleppt. 1942 wird er als Zwangsarbeiter nach Moskau geschickt, wo er in einem Kohlebergwerk schuften muss.

Muttersprache verboten

Dort lernt er auch seine Frau Sara Schmidt kennen. Die beiden heiraten 1948. Sie bekommen insgesamt elf Kinder, von denen zwei in jungen Jahren starben. In der Schule haben es die Kinder nicht leicht – nicht nur, weil sie Deutsche sind und immer wieder als «Hitler-Kinder» beschimpft werden. Auch, weil die gläubigen Eltern sich weigern, ihre Kinder in die atheistische Jugendorganisation «Pioniere» zu geben. Deutsch spricht die Familie nur zu Hause; ausserhalb ist das verboten.

Vergeblich um die Ausreise gebeten

Anfang der 60er Jahre erkrankt Abram Thiessen schwer. Nach mehr als 20 Jahren Arbeit im Kohlebergwerk diagnostizieren die Ärzte bei ihm eine Staublunge. Ein Arzt sagt zu ihm: «Wenn du jemanden in Deutschland kennst, der dich rüberholt, wirst du vielleicht wieder gesund. Hier nicht.» Doch sämtliche Ausreiseanträge der Familie werden abgelehnt.



Statt nach Deutschland zieht die Familie nach Kirgisien aufs Land, wo der Familienvater wieder gesund wird. 1977 stirbt jedoch seine Frau. «Sie hatte sich nur einen Bruch gehoben. Doch die Ärzte wollten sie nicht operieren – aus Sorge um ihr schwaches Herz.» 


Nach eineinhalb Jahren Trauer heiratet Abram Thiessen erneut – ebenfalls eine Witwe, die selbst sechs Kinder mit in die Ehe bringt.
Die Familie hört nicht auf, um die Ausreiseerlaubnis zu bitten. 1988 endlich die ersehnte Nachricht: Die ganze Familie darf nach Deutschland auswandern.

Familienfest in Halle

Wenn Abram Thiessen an das erste Weihnachtsfest in Deutschland zurückdenkt, kommen ihm heute noch die Tränen vor Freude: «Zum ersten Mal konnten wir die Geburt Jesu feiern, ohne uns verstecken zu müssen.» Er findet Anschluss in der Mennoniten-Kirche in Detmold, deren Gottesdienste er regelmässig besucht. Doch am meisten mag er die Familienfeste, wenn er alle seine Lieben – 9 Kinder, 53 Enkel und 101 Urenkel – um sich hat. Wo diese Familienfeste gefeiert werden? «Wir mieten uns einfach eine Halle», sagt er und lacht.

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Datum: 05.10.2011
Quelle: idea

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