Auf dieses Problem hat jetzt der deutsche Drogentheoretiker Günter Amendt hingewiesen. Amendt befindet, dass unsere Gesellschaft nicht nur das Drogen-Problem nicht loswerden wird, sondern dass es sich durch den zunehmenden Konsum von psychoaktiven Substanzen noch verschärfen werde. "Mir war immer schon klar, dass diejenigen Suchtstoffe, um die in den letzten 30 Jahren ein derartiges Brimborium gemacht wurde - Heroin, Kokain, LSD und Cannabis -, ihre Bedeutung verlieren werden." Die Zukunft der Droge sei die Zukunft der Pharmadroge, von Produkten wie Prozac, Ritalin und ähnlichen Stoffen, so Amendt. "Denn die Menschen leben zusehends in einen Zustand permanenter Überforderung und chronischer Überreizung." Deshalb griffen sie immer mehr zu diesen Hilfsmitteln. Amendt fällt vor allem Politikern an den Karren, die an der Überzeugung einer drogenfreien Gesellschaft festhalten. "Sagen wir es mal so: wer von dieser Vorstellung ausgeht, der muss unter einer pathologischen Verleugnung der Realität leiden." Die Zukunft der Droge liege bei den Psychopillen. Amendt: "Ich stütze meine These u. a. auf Absatz-Statistiken der Pharmaindustrie, und da ist bei den Psychopharmaka ein eindeutiger Anstieg zu beobachten." Der amerikanische Politologe Francis Fukujama geht in seinem Buch "Das Ende des Menschen" davon aus, dass in den USA bereits 10 Prozent der Bevölkerung die Psychodroge Prozac konsumierten. Psychopharmaka würden immer mehr als Freizeit- und Leistungsdrogen missbraucht. So auch Ritalin: "Das umstrittene Psychopharmakon für Kinder wird von Erwachsenen als Aufputschmittel verwendet." Es gebe sogar Eltern, die ihren Kindern das vom Arzt verschriebene Ritalin wegnehmen, um es selbst das Aufputschmittel zu konsumieren. Amendt kritisiert in diesem Zusammenhang sowohl die liberale Verschreibungspraxis der Ärzte wie auch die Pharmaindustrie. Diese produzierte Psychodrogen weit über den medizinischen Bedarf hinaus für den illegalen Parallelmarkt. Amendt sieht schwerwiegende Konsequenzen voraus: "Eine noch stärkere Individualisierung der Gesellschaft, als wir sie ohnehin schon haben. Der Verlust von gesellschaftlichen und sozialen Bezügen - bis zum sozialen Kollaps, vor dem der deutsche Kulturhistoriker Hans-Peter Duerr warnt." Es werde immer auch Leute geben, "die mit Drogen ihr Leben geradezu suizidal inszenieren. Das muss man akzeptieren." Die Ausführungen von Günter Anwender zeigen, dass sowohl auf die christlich orientierte Politik, die nur ein drogenfreies Leben als mit der Menschenwürde vereinbart sieht, wie auch auf die therapeutische Szene eine grosse Herausforderung zukommt. Beide werden sich verstärkt mit der Frage von Sucht, Abhängigkeit und ihrem Zusammenhang mit den Lebensumständen beschäftigen müssen. Und ganz besonders mit der Konsequenz daraus, wie einer weithin entchristlichten Bevölkerung noch Lebenssinn und Lebensqualität vermittelt werden kann, die sie von Drogen aller Art frei werden lässt. Zurzeit leben immer mehr Menschen unter psychischen Phänomenen. Und da ist der Griff zur Pille das einfachste. Quelle: Livenet/ NZZ am Sonntag
Datum: 07.10.2003
Autor: Fritz Imhof