Hilfe für übergewichtige Kinder
Die westlichen Staaten stehen vor einer Adipositas-Epidemie. Während bis 1980 lediglich einer von 10 Erwachsenen schwergewichtig war, hat sich diese Zahl seitdem verdoppelt oder gar verdreifacht. Weil immer häufiger auch Kinder und Jugendliche betroffen sind, werden in einigen Ländern in 20 Jahren zwei Drittel der Bevölkerung an Übergewicht leiden.
Darauf wies die Psychiatrieprofessorin Denise E. Wilfley von der medizinischen Fakultät der Washington-Universität in St. Louis hin. Sie stellte an einer Tagung zum Thema „Fortschritte der Familientherapie“ an der Universität Fribourg ein Programm vor, mit dem vor allem Kinder und Jugendlichen geholfen wird, ihr Übergewicht abzubauen.
Übergewicht abbauen
An der Fribourger Tagung wurde darüber diskutiert, inwieweit es erfolgversprechend sei, die Familie bei der Therapie psychischer Störungen einzubeziehen. Für Denise E. Wilfley war die Antwort klar: Ihr Programm zielt darauf ab, kalorienhaltige Nahrung durch gesunde Ernährung mit viel Früchten und Gemüse zu ersetzen und die Betroffenen zu mehr Bewegung zu animieren. Die Zeit vor Computer, Fernseher und Spielkonsolen gelte es dagegen zu verringern.
Verhaltensänderung der ganzen Familie
Ein Problem sieht Wilfley darin, dass zum Beispiel die Fastfood-Ketten immer größere Portionen an besonders kalorienhaltigen Speisen wie Hamburger und Getränken wie Cola anbieten. Dies gefährde die bereits genetisch für Übergewicht anfälligen Jugendlichen zusätzlich.
Eine besondere Herausforderung stellten solche Familien dar, in denen die Präsenzzeit der Jugendlichen vor den elektronischen Unterhaltern begrenzt werde und man sich generell kaum regelmässig bewegt. Eine wesentliche Rolle spielen nach Wilfley auch die Gleichaltrigen, mit denen das Kind ausserhalb der Familie zu tun hat, sowie das allgemeine gesellschaftliche Umfeld.
Anders essen, mehr Bewegung
Das in den USA erprobte und evaluierte Programm zielt darauf ab, alle in der Familie Betroffenen ins Programm einzubeziehen, vom Kind bis zu seiner Grossmutter. Dabei werden sie für ihr (Fehl)verhalten sensibilisiert und aufgefordert, sich selbst zu beobachten.
In regelmässigen Sitzungen werden die Fortschritte und Probleme besprochen und der Erfolg belohnt. Mit einfachen Visualisierungen wie einer Ampel werden die kalorienhaltigen (rot) und gesunden Nahrungsmitteln (grün) visualisiert. Ebenso das Bewegungsverhalten: grün für „sehr aktiv“ und rot für viel Präsenz vor Fernseher und Computer. Die Eltern (oder Grosseltern) werden ermutigt, das Familienleben und die Gewohnheiten neu zu gestalten.
In der Folge hat sich gezeigt, dass sowohl Erwachsene wie Kinder in der ersten Phase deutlich an (Über-)Gewicht verlieren. In der zweiten Phase (ab dem 7. Monat) nehmen sie aber wieder zu, jedoch nicht bis auf das frühere (Über-)Gewicht.
Für einen nachhaltigen Erfolg muss das Programm also über längere Zeit fortgesetzt werden. Ein Gewicht, das nur wenig über dem Tiefpunkt in der ersten Phase liegt, kann leichter eingehalten werden.
„Fundamentale Prinzipien“
«Fundamentale Prinzipien» auf diesem Weg sind für Denise E. Wilfley erstens den Einbezug der Betreuungspersonen als wichtigste Partner der Gewichtskontrolle und Verhaltensänderung. Der Verhaltensänderung müsse zweitens genügend Zeit eingeräumt werden.
Während des Therapieprogramms sind Wege zu finden, wie ein neues Verhalten gelernt und eingeübt werden kann. Schliesslich müsse dazu auch eine soziale Unterstützung aufgebaut werden. Dabei seien soziale, biologische und umweltbedingte Faktoren einzubeziehen, welche die Gewichtszunahme auf- oder abbauen, die nicht vom Kind kontrolliert werden können.
Arbeit mit dem Einzelkind oder zusammen mit den Eltern?
An der Tagung referierte auch der Kölner Jugendpsychotherapeut Prof. Manfred Döpfner. Er sprach über Familieninterventionen bei Kindern und Jugendlichen mit Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität (ADHS).
Döpfner bevorzugt ein differenziertes Vorgehen bei der Auswahl von Familien- und Einzeltherapie. Die klinische Kinder- und Jugendpsychologin Tina In-Albon von der Universität Basel zeigte, wie Eltern bei der Behandlung von Angststörungen im Kinder- und Jugendalter einbezogen werden können.
Alexandra Rumo-Jungo, Professorin für Zivilrecht an der Universität Fribourg, betonte das Selbstbestimmungsrecht des Jugendlichen bei Therapien, das auch bei notwendig scheinenden Therapien höher als die Interessen der Eltern zu gewichten sei.
Veranstaltet wurde die Tagung von Prof. Anja Hilbert vom Departement für Psychologie des Instituts für Familienforschung und -beratung der Universität Fribourg.
Datum: 23.10.2010
Autor: Fritz Imhof
Quelle: SSF, Bearbeitung Livenet