Buchexperten vermissen religiöse Geschichten
In seinem auch als Kinderbuch erschienen Theaterstück «An der Arche um acht» lässt Ulrich Hub drei Pinguine darüber streiten, ob der liebe Gott wirklich lieb ist, ob er alles sieht oder ob es ihn am Ende gar nicht gibt. Hub ist damit einer der wenigen Autoren, die kindgerecht die grosse Frage nach Gott stellen.
«Im erzählerischen Kinder- und Jugendbuch ist ein grosser Verlust von Religion zu beobachten», sagt Gabriele Kassenbrock, Geschäftsführerin des Vereins Evangelisches Literaturportal. Das Literaturportal vergibt jährlich den Evangelischen Buchpreis, der deutschsprachige Belletristik sowie Kinder- und Jugendliteratur auszeichnet.
Schriftsteller fehlen
Den Mangel an biblischen Geschichten führt Kassenbrock zum einen darauf zurück, dass die Nachfrage und das Interesse von Eltern sinke. Vor allem aber fehlten Schriftsteller, die sich an religiöse Themen wagten.
Diese Einschätzung teilt auch der Verfasser christlicher Kinderbücher, Erich Jooss: «Ich wünsche mir mehr profilierte Kinderbuchautoren, die biblische Stoffe erzählen.» Ihm ist in seinen Büchern vor allem eines wichtig: den Kindern Freiheiten lassen, um mitzudenken und eigene Schlüsse zu ziehen.
«Gute Geschichten haben offene Stellen, die die Kinder mit ihrer eigenen Fantasie füllen können», sagt Jooss. Das Erzählte selbst müsse die Auslegung in sich tragen. «Wenn Sie den moralischen Zeigefinger heben, schalten die Kinder ab.»
Nicht jedes Thema geeignet
Nicht jeder biblische Bericht sei für Kinder geeignet, sagt Jooss. Grausame Szenen aus dem Alten Testament will der Beauftragte der bayrischen Bischöfe für neue Medien seinen jungen Lesern nicht zumuten. Tod und Trauer dagegen haben sehr wohl einen Platz in seinen Geschichten. «Viele Kinder müssen selbst schon sehr früh mit einem Verlust fertig werden.»
Während biblische Begebenheiten Mangelware sind, beschäftigen sich immer mehr Kinderbücher mit Tod und Sterben. «Es gibt viele Neuerscheinungen und eine wachsende Nachfrage von Erwachsenen, um Kinderfragen nach dem Tod beantworten zu können», sagt Kassenbrock.
So erzählt beispielsweise «Wenn Oma nicht mehr da ist» von Lucy Scharenberg und Verena Ballhaus einfühlsam die Geschichte eines solchen Abschieds. Durch das Nachdenken über Leben und Tod könnten verstärkt wieder religiöse Fragen Eingang in die Kinder- und Jugendliteratur finden, hofft Kassenbrock.
Sachbücher für Kinder
Auch beim Thema Weltreligionen sieht das Evangelische Literaturportal ein wachsendes Angebot. Es gebe viele religiöse Sachbücher für Kinder: «Durch einen zunehmend sichtbaren Islam in Deutschland wollen viele Eltern und Kinder mehr darüber wissen.»
Mit der Förderung religiöser Kinderliteratur versuchen sich die evangelische und katholische Kirche gegen den Trend zu stellen. So gibt das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in der «edition chrismon» auch Kinderbücher heraus. Die jüngste Veröffentlichung «Auf der Arche ist der Jaguar Vegetarier» ist von der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten Bücher des Jahres ausgezeichnet worden. Es stammt von «Wetterfrau» Claudia Kleinert, der Journalistin Anne Buhrfeind und der Berliner Künstlerin Kitty Kahane
Auf der Schöpfungsgeschichte basiert «Wie war das am Anfang» von Heinz Janisch und Linda Wolfsgruber. Das Bilderbuch erhielt den diesjährigen Kinder- und Jugendbuchpreis.
Auch für Eltern gut
«Durch biblische Geschichten lernen Kinder, religiös zu denken», sagt Erich Jooss. Kinder und Jugendliche könnten sich in den Erzählungen wiederfinden und erfahren, wie unterschiedlich Menschen ihr Leben gestalten. Wenn Eltern und Kinder gemeinsam über solche Geschichten nachdächten, sei dies für beide Seiten eine sehr bereichernde Erfahrung: «Religion als Teil unseres Lebens wird sich immer Wege in die Literatur suchen. Jede Zeit muss die Geschichten nur wieder neu erzählen.»
Buchhinweise:
Claudia Kleinert, Anne Buhrfeind, Kitty Kahane: «Auf der Arche ist der Jaguar Vegetarier», edition chrismon, 2010, 32 Seiten, 15,90 Euro.
Heinz Janisch, Linda Wolfsgruber: «Wie war das am Anfang», Wiener Dom-Verlag, 2010. 26 Seiten, 14,90 Euro.
Ulrich Hub, Jörg Mühle: An der Arche um acht, Sauerländer-Verlag, 2007, 62 Seiten, 13,90 Euro.
Lucy Scharenberg, Verena Ballhaus: «Wenn Oma nicht mehr da ist», Annette-Betz-Verlag, 2010, 32 Seiten, 12,95 Euro.
Christine Knödler: «Sonnenschein und Sternenschimmer. Himmlische Geschichten, Lieder und Gedichte», Gerstenberg-Verlag, 2010, 144 Seiten, 24,95 Euro.
Sabine Lipan, Dorota Wünsch: «Die Weihnachtsmütze». Peter-Hammer-Verlag, 2005, 24 Seiten, 12,90 Euro.
Datum: 23.12.2010
Quelle: Epd