10 Dinge, die man über Gewalt in Nigeria wissen sollte
Die USA haben Nigeria erneut als «besonders besorgniserregendes Land» klassifiziert, wie Präsident Trump am 31. Oktober über seine sozialen Medien mitteilte. Dabei stützte er sich auf die Zahlen des Open Doors-Weltverfolgungsindex 2025 (ohne ihn dabei als Quelle zu nennen) und erklärte: «Radikale Islamisten sind für dieses Massaker verantwortlich. Wenn Christen oder andere Gruppen massakriert werden, wie es in Nigeria der Fall ist (3100 von weltweit 4476), muss gehandelt werden!» Am nächsten Tag drohte er Nigeria mit einer militärischen Intervention.
Tatsache ist, dass Nigeria im Moment weltweit das Land ist, in dem Christen am meisten unter Gewalt leiden. Über 3'000 Menschen wurden im vergangenen Jahr wegen ihres Glaubens getötet, und das Land steht auf Platz sieben im Weltverfolgungsindex 2025.
Medien in unseren Breitengraden beeilen sich in der Regel, die religiöse Komponente der Massaker in Nigeria entweder ganz zu verschweigen oder sie hinunterzuspielen. Was stimmt nun? Geht es in Nigeria um einen Genozid an Christen oder lediglich um Landverteilungskämpfe und ethnische Streitereien? Open Doors Spanien hilft mit 10 Fakten, die Situation einzuordnen (ergänzt durch Informationen von Open Doors Schweiz):
1. Christen sind wirklich angegriffen...
Die muslimischen Extremistenorganisationen Boko Haram und ISWAP (Islamic State West African Province) haben im islamisch dominierten Norden Nigerias Stützpunkte errichtet. Ihr Ziel ist ein islamischer Staat unter der Scharia. Radikalisierte und bewaffnete Mitglieder der Volksgruppe der Fulani haben im Mittelland, das weitgehend von Christen bewohnt ist, Terror verbreitet. Fulani-Extremisten waren für 55 Prozent der zwischen 2019 und 2023 registrierten Todesfälle unter Christen verantwortlich.
Open Doors erfasst nur Fälle, in denen Christen aus Gründen getötet werden, die mit ihrem Glauben oder ihrer christlichen Identität zusammenhängen. Wenn ein Christ getötet wird, weil er «zur falschen Zeit am falschen Ort» ist, wird dies nicht als Verfolgung eingestuft.
2. ...aber die Gewalt ist regional
Die Gewalt ist nicht in ganz Nigeria gleich. Die meisten Angriffe finden im Norden des Landes statt. Viele Christen, die im Süden leben – insbesondere in Orten wie Lagos, der bevölkerungsreichsten Stadt in Subsahara-Afrika –, sind aufgrund ihres Glaubens nicht täglich mit Gewalt konfrontiert. Allerdings breitet sich die Gewalt zunehmend auch auf einige südliche Bundesstaaten mit christlicher Mehrheit aus.
3. Es ist ein religiöser Konflikt – aber nicht nur
Man muss den religiösen Faktor anerkennen, ohne andere Faktoren zu ignorieren. Begrenzter Zugang zu Ressourcen, weitverbreitete Armut, die die Rekrutierung durch terroristische Gruppen wirtschaftlich attraktiv macht, ethnische Spannungen sowie der Klimawandel, der Fulani-Hirten auf der Suche nach fruchtbarem Land für ihr Vieh in Regionen drängt, in denen Christen den Grossteil der landwirtschaftlichen Flächen besitzen – all das sind soziale Gründe, die auch mitspielen.
4. Christen sind besondere Angriffsziele
Obwohl die Regierung die religiöse Motivation herunterspielt, zeigen die Angriffe ein klares Muster. Boko Haram und ISWAP haben wiederholt ausdrücklich erklärt, dass Christen ihr Ziel sind. Viele Opfer berichten, dass die Fulani-Militanten bei ihren Angriffen nicht nur «Allahu Akbar» (Allah ist gross) rufen, sondern auch «Wir werden alle Christen vernichten».
Laut der Beobachtungsstelle für Religionsfreiheit in Afrika (ORFA) wurden zwischen Oktober 2019 und September 2023 in Nigeria 2,7 Mal mehr Christen als Muslime getötet. In diesem Zeitraum wurden 16'769 Christen, 6235 Muslime, 154 Anhänger traditioneller afrikanischer Religionen und 7722 Zivilisten, deren Religionszugehörigkeit nicht bekannt ist, ermordet. Im Verhältnis zur relativen Bevölkerungsgrösse ist ein Christ 6,5-mal häufiger von Mord bedroht (was das Leid der Muslime nicht weniger tragisch macht).
Entführungen sind zu einem äusserst lukrativen Geschäft geworden. Viele der Banditen greifen jeden an, der ein Lösegeld zahlen kann, aber sie haben gelernt, dass sie für Christen, insbesondere christliche Leiter, höhere Lösegeldsummen erzielen können. Das macht sie zu besonders gefährdeten Zielen.
5. Hier geht es nicht nur um Nigeria
Radikale islamistische Gewalt breitet sich in vielen Ländern Subsahara-Afrikas aus. Islamistische Militante und radikalisierte kriminelle Banden nutzen bestehende Konflikte, Unsicherheit und Armut in Ländern wie dem Sudan und Eritrea im Osten, Niger und Burkina Faso im Westen, der Demokratischen Republik Kongo in Zentralafrika und Mosambik weiter südlich aus.
Auch hier spielen viele verschiedene Faktoren und Motive eine Rolle. Es gibt jedoch einen gemeinsamen Nenner: extreme islamistische Ideologien, die darauf abzielen, ganze Regionen Afrikas zu kontrollieren und Christen sowie alle, die ihre Überzeugungen nicht teilen, zu verfolgen.
Nigeria ist das Epizentrum dieser Gewalt; wenn sie dort nicht eingedämmt wird, werden die Folgen für den Rest des Kontinents verheerend sein.
6. Wir müssen auf die Opfer hören
Überlebende berichten von der Brutalität von Boko Haram und ISWAP, die öffentlich und wiederholt erklärt haben, dass sie das Land von Christen und «Ungläubigen» befreien werden. Überlebende von Entführungen berichten, dass ihre Entführer ihnen sagten: «Wenn du Muslim wärst, würdest du nicht so gefoltert werden» oder «All das würde aufhören, wenn du dich zum Islam bekennen würdest».
7. Auf die Realität reagieren, statt über Terminologie zu streiten
Der Begriff «Genozid» hat ein grosses emotionales Gewicht – und er verpflichtet eine Regierung zum Handeln. Aber statt über Begriffe zu streiten, sollten wir uns nicht ablenken und die Fakten beim Namen nennen. Boko Haram, ISWAP und Fulani-Milizen haben eindeutig internationale Verbrechen begangen, die als Völkermord, ethnisch-religiöse Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen werden können. Regierungen und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen müssen diese Verbrechen gründlich untersuchen und dringend benötigte Hilfe leisten. Millionen von Menschen sind derzeit auf der Flucht. Tausende werden getötet. Wir müssen das Schweigen brechen und jetzt für Heilung sorgen und nicht darauf warten, bis wir uns über Terminologie geeinigt haben.
Open Doors will seine Informationen nicht als Appell für militärische Aktionen verstanden wissen, sondern ruft zu Schutz, Gerechtigkeit und Wiederaufbau der betroffenen Gemeinschaften auf.
8. Die Medien sind nicht immer zuverlässig
Man darf den westlichen Medien nicht unterstellen, dass sie die Gewalt bewusst herunterspielen. Viele säkulare Journalisten haben jedoch die Behauptungen der nigerianischen Regierung, dass die Gewalt nicht religiös motiviert sei, ohne zu hinterfragen akzeptiert.
So beschreiben sie beispielsweise Angriffe militanter Fulani als «Zusammenstösse» zwischen Bauern und Hirten, obwohl es sich in Wirklichkeit um geplante, bewaffnete Angriffe auf wehrlose christliche Gemeinden handelt (siehe oben).
9. Die fragwürdige Rolle der Regierung
Die Regierung hat zwar einige Mitglieder von Boko Haram und ISWAP festgenommen und strafrechtlich verfolgt, aber gegenüber den Fulani-Militanten hat sie nicht die gleiche Entschlossenheit gezeigt. Die Menschen vor Ort glauben nicht, dass jemand für diese Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Sie haben gesehen, wie im Laufe der Jahre Hunderte von Verdächtigen festgenommen und dann ohne Anklage oder Gerichtsverfahren wieder freigelassen wurden.
Das Recht auf Leben, das in Abschnitt 33 der nigerianischen Verfassung von 1999 garantiert ist, wird bedeutungslos, wenn der Staat diejenigen, die es verletzen, nicht entschlossen bestraft. Eine Kultur der Straflosigkeit wird nur zu mehr Blutvergießen führen und das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit weiter untergraben.
10. Man kann etwas tun
Die Einstufung Nigerias als «besonders besorgniserregender Staat» ist ein Schritt in die richtige Richtung. Open Doors hat im Rahmen der «Arise Africa»-Kampagne eine Petition gestartet, die zu Sicherheit, Gerechtigkeit und Wiederherstellung aufruft.
Jeder kann in seinem persönlichen Umfeld beitragen, dass Fehlinformationen korrigiert und Fakten bekannt werden. Und jeder kann für das Land Nigeria und seine Regierung beten – und besonders für unsere Brüder und Schwestern in Subsahara-Afrika, die so viel riskieren, nur weil sie Jesus nachfolgen.
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Datum: 08.11.2025
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Livenet / Open Doors International / Evangelical Focus