Arme und Bedürftige

Nur Dienen ist zu wenig

«Dienen» gehört zu den häufigsten und zentralen Begriffen in der Bibel. Hier schlägt bis in einen dienenden Leitungsstil hinein das Herz der Nachfolger Gottes. Sie dienen Gott, der Kirche, einander und natürlich den Armen. Doch gerade dieses Dienen an den Armen sollte man durchaus hinterfragen.
Obdachloser hält Münzen in der Hand.

Bevor Sie als Leserin oder Leser jetzt in Schreckstarre verfallen: Es geht nicht darum zu behaupten, dass Dienen nicht biblisch, sinnvoll und richtig wäre. Doch es gibt eine Art zu dienen – auch von Kirche und Gesellschaft praktiziert –, die funktioniert nicht und verletzt ihre Empfänger mehr, als ihnen zu helfen. Mehr noch, sie verletzt auch die Diener. «Dann helfe ich eben gar nicht mehr», kann an dieser Stelle keine Lösung sein. Natürlich sollen wir als Christen weiterhin bereit sein zu dienen und helfen, doch dazu kann es sinnvoll sein, die eigene Motivation und die Umsetzung einmal auf den Prüfstand zu stellen. Der Bedarf ist auf jeden Fall da, «denn die Armen habt ihr allezeit bei euch», stellte schon Jesus klar (Matthäus, Kapitel 26, Vers 11).

Schwieriges oder falsches Dienen

Ein erster Impuls zum Dienen ist es oft, eine Not zu sehen und darauf zu reagieren. So weit, so richtig. Genau dieses Prinzip beschreibt Jesus mit den bekannten Worten: «Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist, ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben…» (Matthäus, Kapitel 25, Vers 35-40). Doch dabei geht es in erster Linie um einen spontanen Akt der Barmherzigkeit, um Almosen. Leider orientiert sich auch langfristiges Helfen und Dienen oft an genau dieser Art. Und das bringt massive Probleme mit sich.

Wohlmeinende Menschen sammeln containerweise Kleidung und lassen sie auf ihre Kosten in arme Länder bringen. Firmen «mit Herz» verschenken ihre Überproduktion an Lebensmitteln. Die Folge ist allerdings kaum echte Hilfe, sondern meist ein Zusammenbrechen der fragilen Infrastruktur im empfangenden Land. Wo Kleidung und Essen an jeder Ecke verschenkt werden, da können Einheimische nichts mehr verkaufen. So ist das Ergebnis dieses Dienens nicht weniger, sondern mehr Armut. Dienen und Nächstenliebe dieser Art haben ihre Berechtigung, müssen aber recht bald durch eine Entwicklung des anderen abgelöst werden. Dies gilt übrigens in globaler Entwicklungszusammenarbeit genauso wie im persönlichen Nahbereich oder bei kirchlichen Hilfsaktionen.

Wie kann eine positive Entwicklung aussehen?

Die US-Agrarwissenschaftlerin Anna Glenn arbeitet zurzeit im afrikanischen Liberia. Sie und ihr Mann engagieren sich an der Schnittstelle von landwirtschaftlicher Entwicklung und missionarischer Arbeit. Sie beschreibt folgende Aspekte eines biblischen Dienens, das das Gegenüber entwickelt:

  • Entwicklung schafft eine Umgebung, in der jeder die Möglichkeit hat zu arbeiten. Solch eigenes Engagement sollte Bestandteil jeder längerfristigen Hilfe für Bedürftige sein. Das bekannte Schlagwort dazu lautet: Hilfe zur Selbsthilfe.
  • Entwicklung behandelt neben den Symptomen auch die Ursachen der Armut. Dies bedeutet für den Helfenden zunächst einmal Aufwand. Doch erst, wenn wir gesellschaftliche, individuelle, körperliche, mentale und spirituelle Ursachen von Armut erkennen, können wir dem anderen wirklich dienen.
  • Entwicklung investiert in die Zukunft, nicht in den gegenwärtigen Zustand. Dazu ist es sinnvoll, nach Partnern zu suchen, die ein gutes Konzept haben und die man langfristig unterstützen kann. Wie im Gleichnis von den Talenten sollen wir unser Geld anlegen und es nicht wegwerfen (Matthäus, Kapitel 25, Vers 14–30).
  • Entwicklung befreit von Unterdrückung. Das oben angesprochene Jesuswort aus Matthäus, Kapitel 26, Vers 11 ist ein alttestamentliches Zitat (5. Mose, Kapitel 15, Vers 11). Und der Zusammenhang klärt, dass es eben nicht um ein resigniertes Hinnehmen von Armut geht, sondern um ein klares Engagieren dagegen – bis in gesellschaftliche Veränderungen hinein
  • Entwicklung fragt, was Menschen brauchen. Dieser einfache Schritt hilft uns dabei, Abhängigkeitszyklen zu durchbrechen, weniger Geld zu verschwenden und dem gegenüber seine Würde zu lassen. Selbst Jesus fragte offensichtlich Bedürftige (wie einen Blinden): «Was willst du, dass ich dir tun soll?» (Markus, Kapitel 10, Vers 51).
  • Bei Entwicklung geht es um Beziehungen. Um ein Arbeiten mit Menschen, nicht ein Dienen für sie. Um Gleichheit, das Überwinden von Barrieren und die Beharrlichkeit, trotz Rückschlägen dranzubleiben.

Ohne Liebe ist alles nichts

Viele der obigen Beispiele mögen sich nach Entwicklungshilfe im grossen Stil anhören und weniger nach dem, was wir als einzelne Christen oder Gemeinden leisten können. Doch gerade der Aspekt am Schluss macht deutlich: Offensichtlich ist die Art und Weise unserer Beziehungen ein extrem wichtiger Bestandteil jedes Dienens. Paulus hat das in seinem «Hohelied der Liebe» (1. Korinther, Kapitel 13) vereinfacht so ausgedrückt: Ohne Liebe ist alles nichts.

Dazu kommt, dass Dienen nicht deshalb geschehen sollte, damit wir uns erleichtert/besser/geistlicher fühlen. Es geht nicht um uns. Es geht um diejenigen, die Hilfe und Unterstützung benötigen.

«Ich möchte Menschen durch Entwicklung stärken»

Sind wir als Christen, die dienen möchten, nun in einem Dilemma aus hohen Ansprüchen und begrenzten Möglichkeiten gefangen? Schon, aber auch nicht mehr als in anderen Bereichen – oder setzen Sie all das um, was Sie übers Beten wissen? Anne Glenn meint dazu: «Ich möchte nicht den Armen dienen, wenn dies ein System der Unterdrückung schafft, das Abhängigkeit fördert und Würde zerstört. Ich möchte, Beziehungen aufbauen und Menschen durch Entwicklung stärken, auch wenn das ungeordnet und kompliziert ist und ich nicht so schnell Ergebnisse sehe. Und ich möchte zuallererst Gott suchen, damit ich mit seiner Hilfe anderen so dienen kann, dass wir alle gedeihen, statt einfach nur zu überleben – bis hin zum ewigen Leben.»

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Datum: 12.07.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Relevant Magazine

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