Gefängnisarbeit im Libanon

Wenn Dschihadisten Frieden finden

Für Ghanem und Yamout geht es um Vergebung (Symbolbild)
Christen und Muslime arbeiten zusammen im libanesischen Roumieh-Gefängnis. Ihr Ziel: radikale islamistische Kämpfer behandeln und ihnen eine neue Perspektive vermitteln.

«Bei diesen Radikalen ändert sich nichts. Da ist Hopfen und Malz verloren.» Solche Sätze hören Maya Yamout und Marwan Ghanem häufig. Kein Wunder: Die muslimische Sozialarbeiterin und der maronitische Priester arbeiten im berüchtigten libanesischen Roumieh-Gefängnis unter islamistischen Kämpfern, die dort einsitzen. Im Glauben unterscheiden sie sich, doch ihr Ziel bei «Rescue Me» – Rette mich – ist dasselbe: Menschen auf einen Weg der Versöhnung statt des Hasses zu führen. Und erstaunlicherweise funktioniert das.

Unterschiedliche Türöffner

Gerade war Maya Yamout bei einem inhaftierten Al-Qaida-Terroristen gewesen. Schon länger hatte sie ihm therapeutische Gespräche angeboten – vergeblich. Als er krank wurde, erkundigte sie sich nach seinem Befinden und brachte ihm Medikamente und Shampoo mit. Diese Geste änderte alles. Der Islamist, der die unverschleierte Muslima vorher wüst beschimpft hatte, lud sie nun zu einem Tee ein. Jetzt war er bereit zu reden – und er öffnete sich auch für eine Therapie. Diese und andere Begebenheiten erzählt die Sozialarbeiterin «Christianity Today», wobei sie deutlich darauf hinweist: Ihr geht es bei diesen Kontakten nicht um Religion. Hier sind ihrer Meinung nach die Fronten verhärtet und sie führt nur zu endlosen Diskussionen. Anders geht der maronitische Priester Marwan Ghanem vor. Als Christ hat er die Geschichte des Zöllners Zachäus vor Augen, der Dinge in seinem Leben in Ordnung bringen wollte, als er mit Jesus in Kontakt kam. Dass Ghanem Zugang zu den Terroristen im Gefängnis bekam, liegt allerdings ebenfalls an der «menschlichen Komponente». In einem Fernsehinterview wurde er zu den Menschen und Zuständen im Gefängnis befragt und äusserte sich so wertschätzend, dass er seitdem für die Inhaftierten dort ihr «Abuna» ist, ihr Vater. So arbeitet er mit ihnen daran, dass sie eine göttliche Gerechtigkeit erleben, die aus mehr als Bestrafung besteht. Eine Gerechtigkeit, die Beziehungen heilt und Gemeinschaft wiederherstellt.

Gefangene ohne Hoffnung

Alles begann 2010, als Maya Yamout zusammen mit ihrer Schwester Nancy ein Forschungsprojekt über Radikalisierung in Beirut startete. Sie kannten selbst Menschen, die sich dem IS angeschlossen hatten, sich radikalisierten und gewalttätig wurden. Was trieb Menschen dorthin? Wie konnte man ihnen helfen? Sie sprachen mit Jugendlichen im Stadtteil Hayy al-Gharbia und arbeiteten an einem Präventionsprogramm, für das sie die Organisation «Rescue Me» gründeten. Darüber wurde weltweit in den Medien berichtet. Gleichzeitig realisierten sie, dass im Roumieh-Gefängnis, dem grössten des Landes, nicht nur humanitäre Katastrophen an der Tagesordnung waren, sondern auch die Rekrutierung weiterer Terroristen. Dies war der Beginn ihrer Arbeit. Weil sie dafür regelmässig mit dem Tod bedroht wurden, nannte man die beiden auch «Kamikaze-Schwestern». Längst sind die Fördermittel der ersten Zeit aufgebraucht, doch vieles von der Arbeit im Block B des Gefängnisses, wo die Terroristen einsitzen, läuft weiterhin. Yamout fragt dabei nicht zuerst, was die Punkte waren, die die einzelnen Männer radikalisierten. Sie bietet ihnen Therapien an: Kunsttherapie, kognitive Verhaltenstherapie, Aggressionsbewältigungstraining und Traumabehandlungen. Wenn Gefangene zustimmen, führt sie mindestens sechs Sitzungen mit ihnen durch – meist wesentlich mehr. Das hört sich zunächst an wie ein Tropfen auf den heissen Stein, doch nach zehn Jahren schaut sie auf 750 Behandlungen zurück. Manche ihrer Klienten sitzen noch im Gefängnis, doch von den bereits Entlassenen wurden nach ihrer Auskunft nur zehn (!) wieder als Terroristen aktiv.

Glaube und über den Glauben hinaus

Ob Ghanem oder Yamout mit den Häftlingen sprechen, ob Glaube eine zentrale Rolle spielt oder nicht: Immer geht es um die Frage der Vergebung. Oft steht am Anfang die Behauptung, dass «die anderen» sterben müssten. Wenn die Gefangenen ihre Schuld einsehen, wechselt dies oft zur Erkenntnis, dass sie selbst laut Koran den Tod verdient hätten. Yamout erklärt ihnen dann: «Ich glaube an zweite Chancen.» Und Ghanem sagt gegenüber Christianity Today: «Als Priester spreche ich mit jedem Menschen auf Augenhöhe. Aber ich helfe ihnen auch, Gott in ihrem Leben zu erkennen und zeige ihnen den Weg, Christ zu werden.» Aus christlicher Sicht ist es ebenfalls ein schönes Ergebnis, wenn ein ehemaliger Bomben-Attentäter nach solchen Gesprächen erkennt, dass das Christentum eine Religion der Liebe, der Vergebung und des Friedens ist – und er diese Versöhnung erfährt. So unterschiedlich ihre beiden Ansätze sind, erleben Yamout und Ghanem es als Bereicherung, dass geistliche und soziale beziehungsweise psychologische Hilfen zusammenkommen – und vor allem, dass das radikalisierende Denken «Wir gegen die» dadurch aufgebrochen wird. Yamout erzählt aus ihrer persönlichen Erfahrung, dass sie nach einer lebensgefährlichen Erkrankung feststellte, dass ein schiitischer Arzt zusammen mit einer christlichen Krankenschwester ihr als Sunnitin geholfen hatten. Ihr war klar: «Die Menschlichkeit hat in mir gesiegt und Gott hat mir eine Mission gegeben.»

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Datum: 10.12.2025
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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