«Da kann man nur noch beten» - oder?
Es ist erstaunlich – und doch wieder nicht. Wenn gar nichts mehr geht oder wenn der Mensch nicht mehr aus noch ein weiss, dann beginnen wir zu beten. Egal welcher Religion wir angehören: das Gebet ist eine universale Reaktion auf Bedrohung und Grenzerfahrung. Wenn einem die Hände gebunden sind und man nicht mehr weiter weiss, dann «kann man nur noch beten». Wenn die Todesangst nach uns greift, gibt es keine Atheisten mehr.
Warum erst jetzt?
Natürlich kann man sich fragen (auch wenn es etwas zynisch klingt): Warum erst jetzt beten? Das Gebet ist ja mehr als Selbstgespräch, mehr als nur «gute Gedanken» und auch mehr als nur fromme Formeln. Gebet spricht Gott an und damit eine Realität, die über uns steht, die wir in unserem Alltag aber gern verdrängen.
Wenn wir auch nur einen Funken Ehrlichkeit in uns tragen, müssen wir erkennen, dass unser Leben (nicht nur in Paris) ständig nur einen Hauch von der Ewigkeit entfernt stattfindet. «Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen» – dieser Satz aus dem Mittelalter hat auch im 21. Jahrhundert nichts von seiner Realität verloren. Wenn wir beten, sucht unsere Seele sich einen Anker, der hält – jenseits des Sichtbaren und Machbaren. Das ist die Ur-Bedeutung des Wortes «Religion»: Wir möchten uns wieder bei Gott anbinden (religare), weil wir spüren, dass wir ohne diese Verbindung im Leeren hängen.
Wie Schafe ohne Hirten
Pray for Paris! Die Nachrichten und die Kommentare am Wochenende machten unter anderem deutlich, wie verzweifelt und hilflos sich Menschen in Frankreich fühlen. Sie wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen und was ihnen Hoffnung gibt.
Auf eine unheimliche und brutale Weise haben die Anschläge sichtbar gemacht, wie sensibel und verletztlich uns die Erosion des Glaubens im Westen eigentlich gemacht hat. Unsere Technologie rettet uns nicht, die Wissenschaft bleibt kalt und Moral und Ethik sind sprachlos angesichts der kalten Brutalität solcher Untaten, wie wir sie in den letzten Jahren mehrfach erlebt haben. Aber auch eine leere Religion, die sich in Formeln und Riten erschöpft, gibt in Zeiten der Not oft keine Hilfe.
Beten ist wirkliche Kommunikation
Ist Beten eigentlich mehr als nur ein Akt der Hilflosigkeit? Der christliche Gott lädt uns Menschen fast auf jeder Seite der Bibel ein, dass wir uns an ihn wenden, das Gespräch mit ihm suchen sollen und ihn als Realität jenseits des Sichtbaren persönlich erleben können. Damit die Kommunikation zwischen Erde und Himmel auch wirklich funktioniert, wurde Gott Mensch und begab sich mitten in die äusserste Not hinein, in die Menschen geraten können; Jesus liess sich foltern und töten.
Einen Moment sah es so aus, als wenn das Experiment gescheitert wäre und das Böse den Sieg davongetragen hätte. Die Bibel gibt uns aber die Deutung dieses Todes: statt all seine Feinde niederzumachen, liess Gott sich selbst umbringen. Mit seinem Tod bezahlte Jesus für die Schuld der Menschen, statt sie zu vernichten.
Und dann kam Jesus ins Leben zurück, und seitdem ist der Tod nicht mehr das letzte Ungeheuer, das am Schluss wartet. Er ist ein besiegter Feind. «Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt», sagte Jesus darum logischerweise – angesichts eines Freundes, der gerade gestorben war. Jesus buchstabiert «L E B E N».
Betet ohne Unterlass
Das Gespräch mit Gott ist für Menschen, die sich an diesen Jesus halten (und es sind gerade im Islam viele tausende, die das im Moment entdecken) nicht die letzte Notlösung, sondern tägliche Lebensäusserung wie das Atmen. «Hört niemals auf zu beten», sagt uns die Bibel (1. Brief an die Thessalonicher, Kapitel 5, Vers 17) – das bedeutet nicht, mit geschlossenen Augen durch die Welt zu laufen. Im Gegenteil; niemand hat so offene Augen und einen so klaren Durchblick wie der, der betet.
Beter gegen Täter
Bei allen notwendigen Schutz- und Sicherheitsmassnahmen, über die Politiker jetzt beraten, den entscheidenden Aufstand gegen die Täter tun vielleicht die Beter. Der Dämonie solcher Akte wie in Paris, Beirut, Baghdad oder Mossul muss neben der sichtbaren auch in der unsichtbaren Welt begegnet werden.
1936 formte der deutsche Schriftsteller Reinhold Schneider, der die drohende Katastrophe des Nationalsozialismus in der Tiefe erkannte, ein Gedicht, das heute noch – bzw. wieder – sehr aktuell ist. Hier die ersten beiden Verse:
Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.
Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.
Wenn Sie für Paris beten, nehmen Sie sich doch einen Augenblick Zeit, Gott bewusst anzureden. Denn er ist nicht nur an Städten und Nationen, sondern auch an Ihnen sehr persönlich interessiert.
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Datum: 18.11.2015
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Jesus.ch