Sektenexperten haben Probleme mit dem Sektenbegriff

Was früher noch klar eine „Sekte“ war, wird leider zur alternativen Religion: Uriella und ihr Ehemann.

Kann es noch „Sekten“ geben, wenn es keine wahre Kirche mehr gibt? Während das Volk noch von „Sekten“ spricht, winden sich die Sektenexperten und suchen neue Definitionen.

Während Sektenexperten wie Hugo Stamm gerne noch mit dem Begriff „sektiererisch“ operieren – gerade wenn es um Aufbrüche im freikirchlichen Raum geht –, sprechen kirchliche Experten lieber von „neuen religiösen Bewegungen“ als von „Sekten“. Auch bei Organisationen, die sich von christlichen und biblischen Inhalten weit entfernt haben. Zumindest im europäischen Raum ist jetzt auch die katholische Kirche auf neue Begriffe und Beurteilungen eingeschwenkt. Dies jedenfalls geht aus einer Pressekonferenz hervor, die kürzlich in St. Gallen, dem Sitz des Sekretariats des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) stattfand.

Auswirkungen „alternativer Religionen“ erkennen

Bei der Pressekonferenz stellten Peter Fleetwood, Sekretär der CCEE, und Joachim Müller die Ergebnisse eines Papiers zum Thema neue religiöse Bewegungen vor. Müller ist Priester der Diözese St. Gallen und leitet die Schweizerische Katholische Arbeitsgruppe „Neue religiöse Bewegungen“. Das erwähnte Papier entstand nach einer Tagung 1998 in Wien, fokussiert vor allem „New Age“ und empfiehlt den Bischöfen, die Auswirkungen der „alternativen“ Religionen auf die Kultur zu erkennen. Dazu sollten Experten zu Rate gezogen werden. Die Empfehlung sei indirekt auch eine Warnung, die neuen religiösen Aufbrüche vorschnell und ohne genaues Hinsehen zu be- oder zu verurteilen.

Durch die Auseinandersetzung lernen

Zwar wolle man nicht alles gutheissen, sagte Joachim Müller, von „Sektenberatern“ werde aber heute erwartet, dass sie „auch sich selber gegenüber ein genügendes Mass an Selbstkritik aufweisen“. Eigentlich gehe es vor allem um „religiösen Konsumentenschutz“, so Müller, der früher oft noch recht kritisch über evangelische Gemeinschaften und Freikirchen reden konnte. Es gehe heute darum, „durch die Herausforderung der alternativen Religionen für sich selbst zu lernen“. Durch die Auseinandersetzung mit New Age hätten zum Beispiel die Kirchen ihr eigenes mystisches Erbe neu schätzen gelernt.

An einer Tagung der CCEE in Baar hiess es, immer mehr zeige sich, dass der Begriff Sekte eine unglückliche Sache sei. Man tue gut daran, andere Begriffe zu verwenden, die nicht negativ besetzt seien, sagte dazu Joachim Müller an der Pressekonferenz in St. Gallen. Nebst den erwähnten Begriffen nannte er „alternative Religiosität“ und sogar „neue kirchliche Bewegungen“. Er kritisierte, dass in staatlichen Gesetzesbüchern noch der Begriff „Sekte“ verwendet werde.

Zu hoffen bleibt, dass die neue Art, religiöse Bewegungen zu beurteilen, bald einmal auch auf andern Kontinenten angewendet wird. Zum Beispiel in Südamerika, wo evangelische Aufbrüche gemeinhin immer noch als „Sekten“ betitelt werden.

Datum: 26.04.2004
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

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