Lektion aus Kenia

Gemeinschaft als Ort von Gottes Kraft

Gottesdienst in der K.C.I.C
Vor Jahren stellte Markus Richner-Mai fest, dass Christen in der Schweiz primär bemüht sind, Kirche zu bauen, während in Kenia Gemeinde vielmehr gelebt und das Bestehende gefeiert wird. Im Folgenden teilt er eine Lektion zum Thema Gemeinschaft.

In eine fremde Kultur einzutauchen, ist herausfordernd. Dies kann aber auch dazu führen, die eigene Weltanschauung zu hinterfragen. In diesem Sinn haben sich meine Reisen nach Kenia als grosse Bereicherung herausgestellt. Die dortige Art, Gemeinde zu leben, unterscheidet sich oft von der unseren. Ein Punkt, der mich nachhaltig geprägt hat, ist die Weise, wie dortige Christen Gemeinschaft leben.

Joseph

Markus Richner-Mai

2002: Es war mein erster Besuch in Kenia. Während zwei Monaten tauchte ich in eine fremde Kultur ein und genoss das geistliche Leben der pulsierenden und schnell wachsenden Gemeinde. Dort war auch Joseph, ein ungebildeter junger Mann, der bei uns mit Sicherheit Anrecht auf eine Invalidenrente hätte. Er war sichtlich bewegt, als er sich an mich wandte. «Ist das wahr?», fragte er. Er hatte Dinge über die Kirche in Europa gehört, die ihm Tränen in die Augen trieben. «Da soll es Gemeinden geben, welche die Kraft Gottes nicht verstehen: Sie haben keine Gemeinschaft.» Unter Tränen erzählte er von europäischen Gemeinden, die zwar gute Zeiten während ihrer Anlässe hätten, sich daneben aber nicht umeinander kümmerten. Während Joseph sein Herz ausschüttete, wurden auch meine Augen feucht. Besonders das Wissen, dass er mit seinen Worten nicht eine besonders kaltherzige Kirche in der Schweiz beschrieb, sondern eine durchschnittliche.

Die Worte von Joseph verfolgten mich: Hatte dieser einfache Mann etwas erkannt, wofür meine Augen blind waren? Und: Konnte Gottes sichtbare Kraftwirkung tatsächlich etwas damit zu tun haben, ob wir uns in anteilnehmenden Beziehungen umeinander kümmern?

Gemeinde bauen oder Gemeinde feiern?

In diesen Monaten in Kenia machte ich noch eine andere Feststellung. Während sich in der Schweiz vieles darum drehte, Gemeinde zu bauen, schienen die Gläubigen der Gemeinde in Kenia mehr damit beschäftigt, Gemeinde zu leben. Während wir uns in der Schweiz um Kompetenzen bemühen, feiern sie gerne, was Gott ihnen geschenkt hat. Manches, was ich in jenen Monaten beobachtete, hat sich tief in meinem Herzen eingegraben.

Ich glaube nicht, dass ihre Priorität für Gemeinschaft der alleinige Grund für den rasanten Gemeindewachstum war – trotzdem sehe ich einen Zusammenhang. Eine anteilnehmende und durch Gottes Geist gewirkte Gemeinschaft hat eine tiefe heilende Kraft, die ich erstmals in Kenia deutlich erkannt habe. Und wie sollte Annahme Ausdruck finden können, wenn wir keine Zeit füreinander haben? Joseph hat Annahme in einer Gemeinschaft gefunden, in welcher er wahrgenommen worden ist. Er liebte es, für andere zu beten, sie zu segnen und von ihren Erfahrungen zu lernen. Es war eine Gemeinschaft, in welcher sich bei Autofahrten Bibelgespräche oder Lobpreiszeiten ergaben und in welcher auch Ängste, innere Kämpfe und Sorgen offen geteilt werden konnten.

Gottes Reich wächst durch Beziehungen

Jesus lebte tiefe Beziehungen. Seine Priorität lag nicht bei riesigen Menschenmengen, die er als Lehrer unterrichten konnte, sondern auf Herzensbeziehungen. Grosse Events mögen viele Menschen anziehen und diesen lebensverändernde Impulse geben, doch letztlich wächst Gottes Reich durch Beziehungen. In den vergangenen 20 Jahren habe ich viele Gläubige gefragt, was auf ihrem Glaubensweg besonders wertvoll gewesen ist. Die Antworten waren unterschiedlich, doch etwas stach immer wieder hervor: Es sind einzelne Menschen, die uns durch ihre Liebe und Annahme und ihr Vorbild prägen.

Viele Kirchen, Bewegungen und Organisationen fanden ihren Anfang in der Begegnung von Menschen. Wenn sich Frauen und Männer begegnen, die durch Gottes Geist vorbereitet sind, kann Grosses entstehen. Dabei geht es um mehr als ein Vernetzen, um Dienste voranzutreiben. Es sind tiefe, zwischenmenschliche Begegnungen, in denen Gott Dinge anstösst. Ich glaube, dass Joseph von dieser Art von Gemeinschaft gesprochen hat, bei welcher sich Herzen finden, tiefe Anteilnahme geschieht und dann gemeinsam einen Blickwinkel gewonnen wird.

Gemeinschaft: Vertrauen und Anteilnahme

Normalerweise ist Gottes Gegenwart in der Gemeinschaft der Gläubigen in besonderem Masse erfahrbar. Das Gemeinsam beginnt mit der persönlichen Begegnung der Einzelnen mit Gott und endet in einer lebensverändernden Gemeinschaft. Beziehungen werden grundsätzlich getrübt, wenn Menschen sich nicht so geben können, wie sie wirklich sind. Gegenseitiges Misstrauen führt zum Drang, sich gut darzustellen und sich keine Blösse zu geben. Und wenn Verletzungen und Missgunst nicht bereinigt werden, kann dies eine kraftvolle geistliche Atmosphäre behindern. Eine lebendige Gemeinde ist viel mehr als gut organisierte Anlässe, kompetente Performance oder übernatürliche Phänomene. Damit hatte Joseph recht: Gemeinden, die ohne echte Gemeinschaft auszukommen versuchen, verpassen Gottes Kraft.

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Datum: 16.08.2025
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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