Trotz allem: Kirchliche Programme laufen weiter
Die Wirtschaft kam mit dem Abflauen des neunjährigen Bürgerkriegs nur sehr schleppend in Fahrt, die Vorbeugungs-Massnahmen gegen eine Corona-Epidemie machen den Wiederaufbau nun doppelt schwierig. Anfangs hatten die Menschen Corona nicht ernst genommen, «aber jetzt schon», sagt die armenische Diakonisse Schwester Anny Demirgiyan.
Der unheimliche neue Feind
In Syriens Obstgarten südlich der letzten Rebellenhochburg Idlib reifen zwischen Ariha und Mahardeh die Kirschen. Dort tobte seit Jahresanfang die Endschlacht im syrischen Bürgerkrieg. Erst das Erdogan-Putin-Abkommen vom März hat Waffenruhe gebracht, ihre Einhaltung überwachen gemischte Patrouillen russischer und türkischer Panzer. Sie halten Diktator Assads Truppen von neuen Angriffen ab, können aber nicht vor dem neuen, unheimlichen Feind Corona schützen.
«Wir haben noch keine Corona-Toten»
«Mit dem Beistand des Himmels werden wir auch diese Prüfung bestehen!», sagt zuversichtlich Maen Bitar, Pfarrer der presbyterianischen Gemeinde von Mahardeh. Neun Jahre Bürgerkrieg konnten sein Gottvertrauen nicht brechen, weder der Raketenhagel der Nusra-Islamisten auf die evangelische Kirche und Schule noch zuletzt die fragwürdige «Befreiung» durch Regierungs-Streitkräfte. «Wir haben hier noch keinen Corona-Toten. Der Name des Herrn sei gepriesen!»
Hohe Dunkelziffer und wirtschaftliche Not
Aus dem restlichen, fast wieder zu Gänze von Baschar al-Assad beherrschten Syrien werden bisher 19 Corona-Fälle gemeldet, doch dürfte ihre tatsächliche Zahl viel höher sein. Noch macht Syriens Christen – etwa 800'000 der im Jahr 2011 noch über zwei Millionen – mehr als die kommende Gefahr Corona ihre Nachkriegsnot zu schaffen: Die Währung ist eingebrochen, die syrische Lira wurde seit Kriegsbeginn um das Zwölffache abgewertet.
Es gibt kaum Gasflaschen – die Leitungen sind längst geborsten, darum können die Leute sich fast nichts kochen. Die Menschen haben durchschnittlich nur fünfzig Dollar im Monat in der Hand. Das Land ist stark verarmt, die Industrien geschlossen, der öffentliche Dienst ist in einigen Gebieten, etwa Ost-Aleppo, noch nicht wiederhergestellt. Homs ist heute eine Geisterstadt, in die niemand zurückkehren kann.
Brot auf öffentlichen Plätzen verkaufen?
Laut der Diakonisse Demirgiyan herrscht in Syrien strenge Ausgangssperre von 18 Uhr bis 6 Uhr morgens. Die meisten Geschäfte und Betriebe seien längst geschlossen, nur die Lebensmittelläden noch geöffnet. «Und hier denken die Behörden daran, das Grundnahrungsmittel Brot künftig auf zentralen Plätzen zu verteilen bzw. zu verkaufen, weil in den kleinen Bäckereien die Ansteckungsgefahr zu gross ist.»
Freiwillige in Aleppo unterstützen Gefährdete
Für die Bevölkerung sei die Ausgangssperre eine immense Belastung, berichtete die Ordensfrau: «Die meisten Menschen leben ja in kleinen und oft düsteren oder desolaten Wohnungen, oft auch mehrere Familien auf engstem Raum.» Eine der vielen Folgen des Krieges. In dieser schwierigen Zeit zeige sich freilich auch wieder die grosse Solidarität innerhalb der Christen: «In Aleppo besuchen unsere Gruppen von Freiwilligen die Häuser.
Wir helfen insbesondere den alten Menschen, da viele von ihnen keine andere Unterstützung haben. Sie erledigen die Einkäufe für diese besonders gefährdeten Personen, damit sie nicht aus dem Haus gehen müssen. Die Leute haben nichts, womit sie sich schützen könnten. Wie sollen sie überleben?» Eine wirksame Hilfe sei auch ein Gutscheinprogramm, das Einkäufe im Supermarkt ermögliche sowie die Unterstützung bei Mietzinszahlungen für besonders Bedürftige.
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Datum: 15.04.2020
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet