Vier Grundhaltungen

Was die Freude zum Blühen bringt

Glücklicher Mann
Vier Grundhaltungen stärken die Freude. Birgit Schilling beschreibt den Nährboden, auf dem tiefe Freude sich gut entwickeln kann. Auch in diesen komplizierten Zeiten.

1. Das Kernbiotop der Freude: Dankbarkeit

Das Kernbiotop für das Aufblühen der Freude ist die Dankbarkeit. Prof. Martin Seligman, der Begründer der Positiven Psychologie, sagte bei einem Kongress: «Wer hat die grösste Lebenszufriedenheit? Wer sind im Leben die glücklichsten Menschen? Von allen Möglichen gibt es ein einziges Kennzeichen: Das ist die Dankbarkeit!» (Mitschrift beim 1. Kongress für Positive Psychologie, Vortrag: «Florish – the search for well being», 10.07.2010.)

Dankbare Menschen sind am glücklichsten und zufriedensten. In der Bibel finde ich genau das an vielen Stellen bestätigt. So schreibt Paulus in 1. Thessalonicher Kapitel 5, Vers 18: «Seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.» Gott weiss, wie unser Leben gelingt, denn er hat es geschaffen. Die Psychologie kommt dem nach und nach auf die Spur.

Ich habe mit der Dankbarkeit eine lange und schwierige Geschichte. Als Kind hörte ich oft: «Du solltest dankbar sein!» – und zwar dann, wenn ich verstimmt und frustriert war. Das bewirkte in mir jahrzehntelang eine tiefe Ablehnung gegen den Begriff Dankbarkeit. Heute weiss ich, dass es nicht sinnvoll ist, einem Kind seine Empfindungen, Bedürfnisse und Gefühle mit dem Hinweis ausreden zu wollen, dass es dankbar sein sollte. Das Kind fühlt sich von den Eltern nicht verstanden und wird in seinem Inneren belastet.

Nach und nach aber wurde mir klar: Die wirkliche Dankbarkeit ist von unfassbar hohem Wert und hat mit dieser Kindheitserfahrung nichts zu tun. An der Dankbarkeit oder Undankbarkeit entscheidet sich, ob wir freudige Menschen sind oder nicht. Und inwieweit wir geniessbar für diejenigen sind, die mit uns zu tun haben: unsere Familie, Freunde, Nachbarn und Kollegen. Es bleibt für uns alle eine Lebensaufgabe, immer mehr in die dankbare Herzenshaltung hineinzuwachsen und, wenn wir sie verloren haben, zu ihr zurückzukehren.

Mein Mann und ich haben ein kleines Ritual, wenn wir wandern gehen oder gemeinsam zu Abend essen. Wir erzählen uns gegenseitig abwechselnd von zehn Dingen, Situationen oder Menschen, für die wir gerade von Herzen dankbar sind. Manchmal ist der Auslöser für dieses Ritual ein gefühlter Mangel oder ein Ärger. Manchmal machen wir es auch einfach, um unsere Herzen wieder zu öffnen und an die Dankbarkeit anzuschliessen. Im gemeinsamen Nachdenken, Erzählen und Zuhören spüren wir beide, wie unsere Stimmung steigt, Freude in unserem Herz auflebt und im Miteinander spürbar wird. Jedes Mal staunen wir danach, wie viele Gründe wir haben, zutiefst dankbar zu sein.

2. Die Zeit der Freude: die Gegenwart

Freude können wir nur in der Gegenwart erleben. In 2. Korinther Kapitel 6, Vers 2 sagt Paulus: «Seht doch: Jetzt ist die Zeit der Gnade! Begreift doch: Heute ist der Tag der Rettung.» Es geht im geistlichen Leben immer um das Heute. Der Heilige Geist ist stets gegenwärtig im Hier und Jetzt.

Ja, wir können über die Vergangenheit nachdenken. Das hilft uns, Belastendes zu verarbeiten oder uns in der Erinnerung über Schönes erneut zu freuen. Doch meistens verweilen wir viel zu lange im Hadern, Bedauern und in Gedanken von Bitterkeit über die Vergangenheit. Das führt zu nichts, es raubt uns nur unsere Lebensfreude.

Vor Jahren hatte ich ein Aha-Erlebnis. Mir wurde plötzlich bewusst, dass der Heilige Geist mir nur die Ausrüstung von Zuversicht, Kraft und Einsicht schenkt, die ich gerade brauche. Im «Jetzt-Moment» ist er voll dabei. Der Heilige Geist gibt mir diese Zuversicht und Einsicht aber nie im Voraus wie ein Proviantpaket für die Zukunft, das ich heute schon sicher in einem Rucksack für später zur Verfügung habe.

Der Hochzeitsspruch meines Mannes und mir lautet: «Ja, an ihm soll unser Herz sich freuen, denn auf seinen heiligen Namen haben wir unser Vertrauen gesetzt» (Psalm 33, Vers 21; eigene Übersetzung). Wenn in der Bibel «dein heiliger Name» zu lesen ist, dann steht das für Gott selbst. Wir setzen unser Vertrauen auf ihn: Er ändert sich nicht, sondern bleibt, was er immer schon ist. An ihm darf sich unser Herz freuen. Immer und immer wieder! Das heisst: In der Gegenwart ist alles da, um heute mit Gottes Hilfe aus Sorgen, Ängsten, Bedauern, Hadern und Bitterkeit auszusteigen, um wieder auf den Weg des Friedens und der Freude zu gelangen, die sich aus der Verbundenheit mit Gott nährt. Jetzt und wieder jetzt und wieder jetzt.

Der Autor Henri Nouwen schreibt: «Es mag seltsam klingen, wenn ich sage, dass Freude das Ergebnis unserer Wahl ist. Wir stellen uns oft vor, dass manche Leute glücklicher sind als andere und dass deren Freude von den Begleitumständen ihres Lebens abhängt. Doch wir können wählen, nicht so sehr, was die Umstände unseres Lebens betrifft, sondern die Art und Weise, in der wir auf diese Umstände reagieren.» (Nouwen: Was mir am Herzen liegt, Meditationen, Herder Verlag, 2016, S. 25.)

3. Wie Freude wächst: in Gelassenheit

Ich bin von Natur aus «ein flatterndes Huhn» und meine Emotionen erreichten früher schneller Spitzenausschläge nach oben und unten, als ich es willentlich beeinflussen konnte. Mir wurde die Gelassenheit also nicht in die Wiege gelegt und ich habe bei dieser Haltung noch viel Luft nach oben. Die Haltung der Gelassenheit übersetze ich daher für mich so: Ich habe mich Jesus gelassen. Und zwar immer wieder neu in einer konkreten Lebenssituation. In der Gelassenheit gebe ich dem Leben, einer Situation oder einem Menschen die Erlaubnis, genauso zu sein, wie er oder sie ist, und zwar unabhängig davon, ob sie mir gefallen oder nicht. Das übe ich in der Verbundenheit mit Jesus Tag für Tag. Wenn ich so lebe, wächst in mir Freude.

Bevor ich mit diesem Abschnitt begonnen habe, hat mich die Frühlingssonne nach draussen gelockt und ich war im Park joggen. Doch schon nach wenigen Minuten zogen dunkle Wolken auf und dann prasselte der Hagel auf mich herab. Ich suchte Unterschlupf unter einem Baum. Da bemerkte ich, dass in meinem Inneren Ärger darüber aufkommen wollte, dass ich nicht wie erwartet im Sonnenschein meine Runde drehte, sondern nun unter einem Baum hockte. Ich hielt inne und versuchte, mein Herz weit und offen zu halten, anstatt mit dem Wetter zu hadern. Ich schaute dem Naturdrama zu. Nach und nach bedeckten die kleinen Hagelkörner den Boden. Was für eine Kraft lag darin! Und welch ein «Konzert» veranstaltete dieser Hagel. Es war erstaunlich!

So hockte ich im Unterholz und begann, mich an diesem ungewollten, kraftvollen Wetterphänomen zu freuen, das ich noch nie so aufmerksam verfolgt hatte. Fünf Minuten vergingen, dann verzog sich das Unwetter und ich joggte weiter. Als ich wieder am Schreibtisch sass, kam die Sonne hervor. Da musste ich lachen. Ja, so ist es immer mal wieder im Leben. Eigentlich ständig und immer wieder anders als erwünscht – im Grossen und im Kleinen –, und das darf sein. Darüber muss ich mich nicht ärgern. Ich darf darüber schmunzeln und wieder froh meiner Wege gehen. Humor gehört auf jeden Fall zur Gelassenheit. Und beides gehört zur Freude.

4. Zur Freude gehört: mich selbst zu mögen

Zu wachsender Freude gehört es, in Bezug auf mich selbst gelassen zu bleiben. Wenn ich mit mir nicht im Reinen bin und ständig an mir herumnörgele, kann die Freude nicht aufblühen. Dafür ist es unabdingbar, dass ich mich selbst mag, mich selbst lieb habe.

Während des Schreibprozesses für das Buch, das diesem Artikel zugrunde liegt, kam ich an einer Stelle einfach nicht weiter. Meine Motivation blieb auf der Strecke, ich haderte mit mir und meinem Unvermögen, suchte nach Gründen dafür. Genau zu dieser Zeit besuchte ich einen Schweigekurs und in einem Begleitgespräch kam mein Frust zur Sprache. Der Kursleiter stellte einige Fragen und fragte dann schmunzelnd: «Birgit, bist du nicht ein bisschen zu hart mit dir? Geht es nicht etwas barmherziger?» Ich konnte damit zunächst gar nichts anfangen. Seine Worte hörten sich für mich wie Weichspüler-Fragen an. Wieso fragte er das? Es brauchte eine Weile, bis ich merkte: «Der Kursleiter hat ja recht! Das stimmt ja! Ich gehe gerade ständig hart mit mir ins Gericht und begebe mich immer wieder in Zwickmühlen.»

Unmittelbar nach dem Gespräch und meinen Erkenntnissen meldete sich nochmals kurz mein innerer Richter: «Birgit, also das hättest du nun wirklich selber bemerken müssen! Das ist doch nichts Neues bei dir!» Ich hatte es aber nicht bemerkt. Ich bin eben, wie alle anderen auch, angewiesen auf andere. Und wenn ich mich zu meiner Hilfsbedürftigkeit stelle, kommen Erleichterung und Freude auf: Lebensfreude und Schaffensfreude und das tiefe Wissen: «Es ist gut, dass ich bin, wie ich bin. Ja, ich habe mich lieb.» Tief in meinem Herzen spürte ich es und schrieb mit Freude weiter.

Während einer Pilgerwanderung chattete ich einige Male mit meiner Freundin Christina hin und her. Wie so oft waren mir während des fortlaufenden Gehens Einsichten aus der Tiefe meines Herzens aufgegangen. Ich schrieb ihr: «Weisst du, Christina, ich finde es eine schwere Aufgabe, Birgit zu sein.» Da antwortete sie: «Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht. Also ich finde es eine schwere Aufgabe, Christina zu sein.» Nun war ich verwundert. Denn das wiederum hätte ich von ihr nämlich nicht gedacht. Diese Offenheit miteinander und voreinander, das schenkt uns eine ganz besondere Freude, weil wir sein können, wie wir sind. Diese Selbstannahme ist nie ein für alle Mal in der Tasche. Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Dag Hammerskjöld schrieb die Worte:

Ja sagen zum Leben
heisst auch ja sagen
zu sich selbst.
Ja – auch zu der Eigenschaft,
die sich am widerwilligsten
umwandeln lässt von Versuchung
zu Kraft.

Unterwegs und auf der Suche

Dankbarkeit. Ein Leben, das sich auf die Gegenwart konzentriert. Gelassenheit. Und die Bereitschaft, mich selbst so anzunehmen, wie ich bin. Diese vier Lebenseinstellungen haben mir geholfen, meinen Weg der Freude und meinen Weg zur Freude zu finden. Ich bin immer noch unterwegs und auf der Suche, aber zugleich auch so froh, dass mir dabei auch schon so viel Freude geschenkt worden ist.

Ähnliche Impulse gibt es im Magazin AUFATMEN. Infos zum günstigen Jahresabogutschein des Magazins findest du hier.

Buch zum Thema:
Birgit Schilling: Freude, die bleibt – wie Gott unsere Herzen mit Glück erfüllt

Zum Thema:
Den Glauben entdecken
Oft gehört, neu verstanden: Freude – Lebenselixier der Christen
Serie «Heiliger Geist»: Freude – unabhängig von äusseren Umständen

Datum: 25.05.2025
Autor: Birgit Schilling
Quelle: Magazin Aufatmen 02/2025, SCM Bundes-Verlag

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