Claudio (11) gründet Familienunternehmen - Claudio Minder – die Serie (2. Folge)

Mamma mia, Italia!
Bild: Irene Gerber, Lotzwil
Minder Gold

Volturara bei Avellino. Tief in der Provinz Irpina. Ein abgeschottetes Häusergrüppchen, 700 Meter über Meer, trotz Meeresnähe. Auf der Landkarte und von grösseren Baumaschinen links liegengelassen. Unberührte Natur, Weiden und Felder, überragt von einem 1800 Meter hohen Berg. Andere sprechen von einem Kaff, für Claudio ist es ein Idyll. "Volturara ist ein Bauerndorf. Wer hier aufwuchs und in der Ortschaft blieb wurde entweder Landwirt, Landwirt oder eben Landwirt. Wäre Julius Cäsar hier zur Welt gekommen, wäre er als Grossfarmer in die Geschichte eingegangen."

Claudio (3) und der erste Arbeitsunfall

Am 11. Februar 1980 erblickte Claudio, das vierte der sechs Kinder von Paul und Erika Minder, die flackernden Neonröhren des Bezirksspitals Uster; Schweiz. Die ersten "Jööhhhs" musste er aber bereits auf italienisch über sich ergehen lassen. Kaum auf der Welt, zog Claudio nach Italien, wo die Familie seit 1977 lebte. Denn im November 1980 wurde ein grosser Teil der Region von einem Erdbeben heimgesucht, auch das Provinzstädtchen Avellino.

"Mein Vater, ein ausgebildeter Pastor, setzte sich im Katastrophengebiet als Helfer und Sozialarbeiter ein. Die erbärmliche Not und die vielen existentiellen Fragen, die in den leidgeprüften Menschen aufgebrochen waren, bewogen uns dazu, von Sizilien in diese Gegend umzuziehen. Die ersten Wochen lebten wir wie viele andere Menschen im Wohnwagen."

Claudios Eltern organisierten Sammelküchen, teilten warmes Essen aus, richteten Schlafstellen ein, verteilten Hilfsgüter und kauften Blechbaracken, isolierten sie und richteten diese als Notunterkünfte ein. 1983 eröffnete Claudios Vater einen Kindergarten. Claudio: "Mit Hammer und Nagel stolzierte ich damals über die Baustelle und haute irgendwelche Nägel in diverse Bretter. Rückblickend gesehen, baute ich wenig auf. Eher schon stand ich im Weg. Aber zutiefst im Herzen arbeitete ich kräftig mit. So kräftig, dass ich einen 'Arbeitsunfall' hatte und zum Doktor musste. Ich war in einen Nagel getreten, der in meinem Fuss steckte."

Von den Nachwirkungen des Erdbebens kriegte er anfangs wenig mit. "Ausser dass in unseren ersten Volturara-Jahren viele Menschen zu uns nach Hause kamen und dass Vater immer wieder zu Besprechungen ging. Ich merkte, dass er beliebt ist. Weil er den Leuten hilft. Einige berichteten mir später: 'Ich hatte keine Wohnung mehr, dann hat mir dein Vater einen Wohnwagen zur Verfügung gestellt.' Die Spuren der Katastrophe waren noch während Jahren zu erkennen. Ich brachte den Leuten mit einem Leiterwagen Brennholz und andere Güter."

"La Svizzero" - der Ausländer

"Wir lebten in tiefster Provinz. Die Hühner des Nachbarn flatterten mir um die Ohren. Ganz dem ländlichen Klischee entsprechend, stand vor dem windschiefen, alten Haus unser roter, klappriger Fiat Cinquecento. Seine ursprüngliche blaue Farbe überspritzten wir mit einem matten Rot, damit man den Rost weniger gut sehen konnte.

"In den ersten Schulmonaten galt ich als Ausländer. Die Kameraden nannten mich "la svizzero". Manchmal anerkennend, manchmal foppend gemeint, sollte ich über die Schweiz erzählen, kannte aber das Land selbst nicht."

Mein "Italiano" war perfekt, und ich sah südländisch aus. Das 'Ausländersein' mischte sich trotzdem in den Alltag ein. Beim Fischen hatte ich beispielsweise nichts zu sagen. Ein Schweizer hat davon schliesslich keine Ahnung. Ging's ums Meer, hatte ich also zu schweigen. Dies wiederum hatte umgekehrt ich ihnen auferlegt, sobald wir es mit Schnee zu tun bekamen. Ich fand rasch viele gute Freunde und Kollegen, mit denen ich die Welt entdeckte - die vorwiegend aus Volturara bestand."

Die Narbe

Einst baute in Avellino jemand ein merkwürdiges Haus in der Form eines Schiffes. Inklusive Deck und Mast. Alles aus Zement. Der Erbauer selbst war beim Erdbeben ums Leben gekommen, ein Teil des Gebäudes zerfallen. Wir organisierten uns in Banden und 'bekämpften' uns in dem Gemäuer. In einer Schlacht bewarfen wir uns mit Äpfeln. Bald 'schlichen' sich jedoch Steine unter die Wurfgeschosse. Dann ein Knall, und mein Kopf schnellte nach hinten. Es war, als gingen tausend Lampen an in meinem Kopf. Ich taumelte und setzte mich verwirrt hin. Meine Atmung wurde schneller. Ich spürte, wie das Blut pulsierend durch meine Adern an den Schläfen schoss.

Ein Stein hatte mich über dem Auge getroffen, die Narbe sieht man heute noch. Damals klaffte eine schlimm blutende Wunde. Als ich die Orientierung wiedergefunden hatte, rannten wir querfeldein nach Hause. Einige der Jungen waren abgehauen, andere begleiteten mich. Ich blutete so stark, dass ich auf diesem Auge - ausser einem roten Schleier - nichts mehr sah. Mein weisses T-Shirt war rot getüncht. Durch mein Blut. Wir, vor allem ich, wurden angestarrt. Entsetzen, dass ein so blutdurchtränkter Mensch noch durch die Strassen Volturaras läuft. Halb schluchzend, stolperte ich in unsere Wohnung.

Das Feuer

Angst hatte ich in meiner Jugend selten, aber wenn, dann richtig. Im Sommer 1992 zum Beispiel. Es geschah nachts, in der Schweiz. Unser Auto brannte aus. Wahrscheinlich ein Kabelbrand. Der Wagen war an einer Strasse parkiert. Diese führte bergab, genau zu unserem Haus. Als der Wagen zu brennen begann, lösten sich die Bremsen. Der Wagen geriet in Bewegung und schlitterte und schepperte funken stiebend auf unser Haus zu. Auf dem Vorplatz wurde er langsamer, kam dem Haus aber näher und näher. Im Ausrollen stiess er gegen das Gebäude, die Stossstange berührte die Türe. Die Feuerwehr war schnell da und hatte die Lage bald unter Kontrolle. Ausser meiner Angst. Von da an fürchtete ich mich in jeder Nacht, dass das Haus und die Wohnung plötzlich brennen würden. Ich betete jeden Abend, dass es nicht geschehen würde. Das Schlimme war, dass der Wagen noch drei Tage vor dem Haus stand, bis er weggeräumt wurde.

Claudio (11), der Geschäftsführer

Mit elf Jahren wurde Claudio Geschäftsführer. "Ich wollte in einem Gummiboot auf dem Meer paddeln. Das Meer hatte ich, ein Gummiboot nicht. Um an das Geld zu kommen, wurde ich zum Kleinunternehmer: In den Sommerferien startete das "Autowaschunternehmen Claudio Minder". Auf eine Holztafel schrieb ich "Auto lavaggio". Das Schild befestigte ich an einem Pfosten, den ich strategisch gut sichtbar in unserem Vorgarten einschlug. Darauf stand:

"Autowaschen:
Innen 4000 Lire
Aussen 5000 Lire"

Die Werbung wirkte. Bei Hochbetrieb - meist samstags - wusch ich bis zu vier Autos an einem Tag. Mit der Dollar-, respektive Lira-Brille hiess das: 15'000 Lire. 15 Franken. Cash.

Mein Unternehmen kämpfte aber mit einem massiven Problem: Wenn ich das Wagendach von beiden Seiten gewaschen hatte, blieb in der Mitte ein schmutziger Streifen übrig. Ich war - körperlich gesehen - noch zu klein um bis zur Mitte des Wagendachs zu waschen. Mein Vater musste diesen Part jeweils übernehmen, womit er mein Teilzeitangestellter war." Eine seiner Schwestern fand ebenfalls Beschäftigung im "Familienunternehmen". "Ich baute die Infrastruktur meines Unternehmens aus, indem ich spezielle Bürsten und Hochglanzmittel kaufte. Das Geschäft lief gut. Gegen Ende der Ferien konnte ich mein Gummiboot kaufen. Heute ankert das Boot bei meinen Eltern in Italien auf dem Dachboden."

Eines Morgens - der vorhergehende Tag war anstrengend gewesen- hatte Claudio absolut keine Lust, wieder Autos zu waschen. Als der erste Kunde kam, erklärte er ihm, dass er heute keine Autos waschen könne, denn der Wasserdruck sei zu niedrig. Da würden die Autos nicht sauber werden.

Gold in Sicht

Das Buch «Gold in Sicht – mein Leben als Mr. Schweiz» ist unter www.claudiominder.ch bestellbar. Falls Sie neu Livenet- und Jesus.ch – Partnermitglied oder Junior-Member werden, erhalten Sie das Buch gratis - zusätzlich zum Dankeschön-Geschenk. Bitte bei der Anmeldung unter http://www.livenet.ch/Support/Mitgliedschaft.php im Feld Bemerkungen „Buch Claudio Minder“ vermerken.

Datum: 24.06.2003
Quelle: Livenet.ch

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