„Gott kann mit den Schwachen viel bewirken“
Livenet: Wie selbstverständlich nehmen wir in unserer Gesellschaft Freizeit in Anspruch. Anders ergeht es Eltern von behinderten Kindern…
Erika Zimmermann: Ja, Familien mit behinderten Kindern sind sehr belastet – während 365 Tagen im Jahr. Sie brauchen zwischendurch Erholung. Wir ermöglichen sie ihnen. Wegen der grossen Nachfrage können wir den Eltern maximal 4-5 Wochen geben.
Das beschert dem Sunnemätteli Spitzenzeiten.
Ja, während der Schulferien sind beide Gruppen voll belegt. Wir haben starke Schwankungen. Im Lauf des Jahres nutzen insgesamt 120 Kinder unsere 16 Plätze. Wir sind an jedem Wochenende des Jahres offen – für Kinder von 2-18 Jahren.
Was ändert mit dem 18. Geburtstag?
Die meisten Jugendlichen gehen mit 18 in eine Institution für Erwachsene. Jene Eltern, die sie daheim behalten, haben vielfach ein Problem. Verwandte können die Kinder, die wir hier aufnehmen, kaum betreuen.
Gibt es andere Entlastungsheime in der Schweiz?
Die Schwankungen in der Belegung und die finanziellen Herausforderungen machen es schwer, eine solche Institution zu führen. Auch deswegen sind wir meines Wissens das einzige Heim, das sich darauf spezialisiert, Entlastung für Wochen und wenige Tage anzubieten.
Wie gehen die Betreuerinnen und Betreuer mit ihrer Aufgabe um?
Sich auf 120 Kinder einzustellen, ist eine grosse Herausforderung. Fast jeden Tag ein Eintritt oder Austritt: ich staune, wie flexibel, belastbar und geschickt im Organisieren sie sind.
Sie haben die Finanzierung angesprochen.
Die öffentliche Hand deckt unsere Kosten nicht. Wir sind nach wie vor auf Spenden angewiesen, für fast 10 Prozent unseres Aufwands von 2,2 Millionen Franken. Die Entlastung ist bisher gesetzlich nicht verankert. Für die intensive Betreuung reichen die staatlichen Beiträge nicht. Die Heilsarmee steht als Trägerschaft hinter dem Heim. Und sie kommt für die Hälfte der Kosten des Neubaus auf, zahlt über 4 Millionen Franken.
Erika Zimmermann, wie kamen Sie ins Sunnemätteli?
Beim Abschluss der Offiziersschule 1993 wünschte ich im Sozialwerk der Heilsarmee zu arbeiten. Ich wurde hierher versetzt, weil man damals begann, behinderte Kinder zur Entlastung ihrer Eltern vorübergehend aufzunehmen. Die Heilsarmee brauchte dafür eine Krankenschwester. Während sechs Jahren, bis 1999, wurde eines der beiden Häuser für Entlastung verwendet; im anderen lebten noch normal begabte Kinder.
Wie fanden Sie in die Arbeit hinein?
Ich musste mich hineinleben, da ich zuvor nie mit Behinderten gearbeitet hatte. Il fallait se débrouiller – wie die Welschen sagen. Wer sich zur Arbeit in der Heilsarmee verpflichtet, wird an einen Ort hingestellt. Als Bernerin kam ich ins Zürcher Oberland. Nun bin ich schon 15 Jahre da.
Die Heilsarmee signalisiert mit dem 8,5-Millionen-Bau, dass sie sich weiter um die Behinderten und ihre Eltern kümmert. Was bringt der Neubau?
Ein langer Prozess liegt hinter uns. Im neuen Heim werden alle Behinderten auf einem Geschoss ohne Stufen leben; das erleichtert die Betreuung ungemein. Von den alten Häusern Abschied zu nehmen, fällt mir schwer. Ich habe hier gewohnt und gearbeitet. Ein Haus kann man abreissen, aber ein Schmerz bleibt.
Welche Worte der Bibel bestärken Sie in der Arbeit mit Behinderten?
Wie Paulus einmal schreibt, hat Gott die (für die Menschen) Schwachen erwählt. Ein behindertes Kind hat einen ganz grossen Wert in Gottes Augen – wie ein gesundes. Er kann mit den Schwachen viel bewirken. Ihr Leben ist lebenswert. Auch wenn sie nicht reden können, strahlen sie eine enorme Lebensfreude aus. Sie sind für alles Schöne, was wir ihnen bieten, dankbar und bringen das zum Ausdruck.
Datum: 21.08.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch