Gewöhnliche Männer aussergewöhnliche Berufung Teil 1

Denn seht, eure Berufung, Brüder, dass es nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind; sondern das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, damit er das Starke zuschanden mache. Und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt, das, was nicht ist, damit er das, was ist, zunichte mache, dass sich vor Gott kein Fleisch rühme. 1. Korinther 1,26-29 Seit Beginn seines öffentlichen Wirkens in seiner Heimatstadt Nazareth war Jesus sehr umstritten. Nach seiner ersten Ansprache in der örtlichen Synagoge wollten ihn die Menschen aus seiner eigenen Gemeinde sofort töten. »Und alle in der Synagoge wurden von Wut erfüllt, als sie dies hörten. Und sie standen auf und stiessen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn bis an den Rand des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, um ihn so hinabzustürzen. Er aber schritt durch ihre Mitte hindurch und ging weg« (Lk 4,28-30). Dennoch gelangte Jesus im Grossraum Galiläa zu grosser Beliebtheit in der Bevölkerung. Als sich seine Wunder in der Region herumsprachen, versammelten sich grosse Menschenmengen, um ihn zu sehen und sprechen zu hören. Lukas 5,1 berichtet, wie »die Volksmenge auf ihn andrängte, um das Wort Gottes zu hören«. Als die Menge so gross wurde und drängte, stieg er in ein Boot und liess dessen Besitzer vom Ufer und vom Druck der Leute wegrudern. Anschliessend lehrte er die Menschen vom Boot aus. Nicht zufällig gehörte es Simon. Jesus sollte ihm den Namen Petrus geben, und er würde zur auffälligsten Person seines engsten Jüngerkreises werden. Einige nehmen vielleicht an, dass Christus seine Popularität wirkungsvoller hätte ausspielen können, wenn er seiner Botschaft maximale Wirkung verliehen hätte. Entsprechend der modernen Denkweise hätte Jesus alles Mögliche tun müssen, um seinen Ruhm auszunutzen, die Kontroversen um seine Lehren abzuschwächen und jede Taktik anzuwenden, um die ihm nachfolgende Menschenmenge zu vergrössern. Aber das tat er nicht. In Wirklichkeit tat er das genaue Gegenteil. Anstatt populistisch zu handeln und seinen Ruhm auszunutzen, be-gann er, exakt die Dinge hervorzuheben, die seine Botschaft so kontrovers machten. Als die Massen ihren Höhepunkt erreichten, war der Inhalt seiner Predigten so konfrontativ und offensiv, dass sich die Volksmenge auflöste und nur die treuesten Nachfolger übrig blieben (Joh 6,66-67). Zu ihnen gehörten auch die Zwölf, die er persönlich ausgesucht und ernannt hatte, ihn zu repräsentieren. Es waren zwölf absolut normale und durchschnittliche Männer. Doch Christi Plan für das Reich Gottes war von diesen Zwölf und nicht von einer lärmenden Menschenmenge abhängig. Er wollte durch das Handeln dieser wenigen fehlbaren Personen wirken, anstatt durch die Anziehungskraft der Massen, militärische Macht, persönliche Popularität oder Werbekampagnen. Aus menschlicher Sicht hing die Zukunft der Gemeinde und der langfristige Erfolg des Evangeliums allein von der Treue einer Hand voll Jünger ab. Es gab keinen zweiten Plan für den Fall, dass sie gescheitert wären. Jesu Strategie war für den Charakter des Reiches bezeichnend: »Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte; auch wird man nicht sagen: Siehe hier! Oder: Siehe dort! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch« (Lk 17,20-21). Die Ausbreitung des Reiches Gottes geschieht »nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht der HERR der Heerscharen« (Sach 4,6). Ein Dutzend Männer unter der Kraft des Heiligen Geistes stellen eine stärkere Macht dar, als die Volksmenge, deren anfängliche Begeisterung für Jesus anscheinend kaum mehr als schiere Neugier war. Christus suchte die Zwölf persönlich aus und investierte seine Kraft in sie. Nicht sie hatten ihn erwählt, sondern er hatte sie erwählt (Joh 15,16). Ihre Erwählung und Berufung geschah in verschiedenen Phasen. Beim flüchtigen Lesen der Schrift könnte man zu der Ansicht gelangen, dass sich Johannes 1,35-51, Lukas 5,3-11 und die offizielle Berufung der Zwölf in Lukas 6,12-16 widersprechen. Doch hier besteht kein Widerspruch. Die Stellen beschreiben einfach nur unterschiedliche Stadien der Berufung der Apostel. In Johannes 1,35-51 begegnen Andreas, Johannes, Petrus, Philippus und Nathanael dem Herrn Jesus zum ersten Mal. Dies ereignete sich zu Beginn seines Wirkens in der Wüste nahe des Jordans, wo Johannes der Täufer seinen Dienst tat. Andreas, Johannes und die anderen hielten sich dort auf, weil sie bereits Jünger von Johannes dem Täufer waren. Doch als sie hörten, wie ihr Lehrer die Aufmerksamkeit auf Jesus lenkte und sagte: »Siehe, das Lamm Gottes!«, folgten sie Jesus. Das war die erste Phase ihrer Berufung – die Berufung zur Bekehrung. Sie zeigt, wie jeder Jünger zuerst zur Errettung gerufen wird. Wir müssen Jesus als das wahre Lamm Gottes und Herrn über alle Menschen anerkennen und ihn im Glauben annehmen. Dieses Stadium der Berufung beinhaltete für die Jünger noch nicht eine vollzeitige Jüngerschaft. Die Evangelien beschreiben, wie sie ihren Lebensunterhalt weiterhin mit ihrer regulären Arbeit verdienten, obschon sie Jesus in der Hinsicht nachfolgten, dass sie seine Lehren gerne hörten und ihn als ihren Lehrer anerkannten. Deshalb finden wir sie oftmals beim Fischen und beim Ausbessern ihrer Netze, bevor Jesus sie zum vollzeitigen Dienst berief. Die zweite Phase war die Berufung zum Dienst. In Lukas 5 wird sie detailliert beschrieben. Sie geschah, nachdem Jesus vor dem Drängen der Menge in Petrus’ Boot stieg und von dort aus lehrte. Als er damit fertig war, sagte er Petrus, er solle auf die Tiefe hinausfahren und die Netze auswerfen. Petrus tat es, obwohl Zeit und Ort nicht optimal waren. (Normalerweise lassen sich Fische besser in der Nacht und in seichtem und kühlem Wasser fangen, wo sie zur Nahrungsaufnahme dicht unterhalb der Oberfläche schwimmen.) Ausserdem war Petrus erschöpft (er hatte die ganze Nacht erfolglos gefischt). Er sagte zu Jesus: »Meister, wir haben uns die ganze Nacht hindurch bemüht und nichts gefangen, aber auf dein Wort will ich die Netze hinablassen« (Lk 5,5). Der Fang liess ihre Netze reissen und beinahe zwei ihrer Boote sinken (V. 6-7)! Nach diesem Wunder sagte Jesus zu ihnen: »Kommt, mir nach! Und ich werde euch zu Menschenfischern machen« (Mt 4,19). Daraufhin »verliessen sie alles und folgten ihm nach« (Lk 5,11). Laut Matthäus verliessen Andreas und Petrus »sogleich die Netze und folgten ihm nach« (Mt 4,20). Auch Jakobus und Johannes »verliessen sogleich das Boot und ihren Vater und folgten ihm nach« (V. 22). Von da an blieben sie beim Herrn. Matthäus 10,1-4 und Lukas 6,12-16 berichten von einer dritten Phase ihrer Berufung: die Berufung ins Apostelamt. Nun erwählte Christus zwölf Männer und ernannte sie zu seinen Aposteln. Lukas beschreibt das Ereignis so: Und es geschah in diesen Tagen, dass er auf den Berg hinausging, um zu beten; und er verbrachte die Nacht im Gebet zu Gott. Und als es Tag wurde, rief er seine Jünger herbei und erwählte aus ihnen zwölf, die er auch Apostel nannte: Simon, den er auch Petrus nannte, und Andreas, seinen Bruder, und Jakobus und Johannes und Philippus und Bartholomäus und Matthäus und Thomas und Jakobus, des Alphäus Sohn, und Simon, genannt Eiferer, und Judas, des Jakobus Bruder, und Judas Iskariot, der zum Verräter wurde. Ihre Apostelschaft begann mit einer Art Praktikum. Christus sandte sie aus. In Mk 6,7 heisst es, dass sie jeweils zu zweit ausgesandt wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren sie noch nicht so weit, um allein hinauszugehen, deshalb formte Christus Zweier-Teams, in denen sie sich gegenseitig unterstützen konnten. In dieser Ausbildungsphase blieb der Herr nahe bei ihnen. Er war wie ein Adler, der die ersten Flugversuche seiner Jungen beobachtete. Sie meldeten sich immer wieder bei ihm zurück und berichteten den Stand der Dinge (vgl. Lk 9,10; 10,17). Und nach einigen evangelistischen Einsätzen kehrten sie ganz zum Herrn zurück und blieben länger bei ihm, um belehrt zu werden, zu dienen, Gemeinschaft zu pflegen und sich auszuruhen (Mk 6,30-34). Dann gab es da noch die vierte Phase ihrer Berufung, die nach der Auferstehung begann. Judas gehörte der Gruppe nun nicht mehr an; er hatte sich nach dem Verrat an Jesus erhängt. In seinem Auferstehungsleib erschien Jesus den restlichen Elf und sandte sie mit dem Auftrag, alle Nationen zu Jüngern zu machen, in die ganze Welt. Dies war in Wirklichkeit die Berufung zum Märtyrertod. Am Ende liess jeder von ihnen sein Leben um des Evangeliums willen. Die Geschichte dokumentiert, dass ausser einem alle Jünger wegen ihres Zeugnisses getötet wurden. Nur von Johannes wird berichtet, er habe ein hohes Alter erreicht; er wurde um Christi willen verfolgt und anschliessend auf die kleine Insel Patmos ins Exil geschickt. Trotz der Schwierigkeiten, denen sie begegneten, triumphierten sie. Inmitten von grosser Verfolgung und sogar Martyrium erfüllten sie ihre Aufgabe. Entgegen allen Erwartungen gingen sie siegreich in die Herrlichkeit ein. Und das fortbestehende Zeugnis des Evangeliums, das nunmehr zweitausend Jahre umfasst und in nahezu jeden Winkel der Erde reicht, bezeugt die Weisheit der göttlichen Strategie. Kein Wunder, dass wir von diesen Männern fasziniert sind. Wir wollen das Studium der Zwölf mit einem Blick auf die dritte Phase ihrer Berufung beginnen – ihre Erwählung und Ernennung zu Aposteln. Achten wir einmal auf die Details im Lukas-Evangelium. Der Zeitpunkt Zunächst ist der Zeitpunkt dieses Ereignisses von Bedeutung. Lukas macht dies in seinen Eingangsworten zu Lukas 6,12 deutlich: »Und es geschah in diesen Tagen.« Die Luther-Übersetzung von 1984 gibt diese Stelle wie folgt wieder: »Es begab sich aber zu der Zeit.« Lukas spricht nicht von der Uhrzeit oder von bestimmten Tagen eines bestimmten Monats. »Zu der Zeit« und »in diesen Tagen« bezeichnen einen Zeitabschnitt, eine bestimmte Phase im Wirken Jesu – einen Zeitraum in seinem Dienst, in dem sich der Widerstand gegen ihn zuspitzte. »In diesen Tagen« bezieht sich auf die unmittelbar vorangegangene Schilderung. Dieser Abschnitt im Lukas-Evangelium berichtet von dem heimtückischen Widerstand der Schriftgelehrten und Pharisäer gegen Christus. In Lk 5,17 erwähnt Lukas die Pharisäer und in 5,21 die »Schriftgelehrten« zum ersten Mal. (Die Schriftgelehrten werden zusammen mit den Pharisäern in Vers 17 als »Gesetzeslehrer« bezeichnet.) Die Hauptgegner Jesu werden uns also zum ersten Mal in Lukas 5,17 vorgestellt. Ihr Widerstand wird bis zum Ende des fünften und Anfang des sechsten Kapitels geschildert. Lukas beschreibt den zunehmenden Konflikt zwischen Jesus und den religiösen Führern des Judentums. Sie stellten sich gegen ihn, als er einen Gelähmten heilte und ihm seine Sünden vergab (5,17-26); als er mit Zöllnern und Sündern ass und trank (5,27-39); als er seinen Jüngern erlaubte, am Sabbat Ähren zu pflücken und zu essen (6,1-5); und schliesslich, als er am Sabbat die verdorrte Hand eines Menschen heilte (6,6-11). Lukas erzählt eine Begebenheit nach der anderen und betont dabei den wachsenden Widerstand der religiösen Führer. In Lukas 6,11 erreicht der Konflikt seinen Höhepunkt. Die Schriftgelehrten und Pharisäer »wurden mit Unverstand erfüllt und besprachen sich untereinander, was sie Jesus tun sollten«. Markus und Matthäus schildern es sogar noch anschaulicher. Sie berichten, dass die religiösen Führer Jesus töten wollten (Mt 12,14; Mk 3,6). Markus sagt, dass sie sogar die Herodianer an ihrer Verschwörung beteiligten. Die Herodianer waren eine politische Gruppierung, die die Herodes-Dynastie unterstützten. Normalerweise waren sie keine Verbündeten der Pharisäer, doch gegen Jesus hatten sich diese beiden Gruppen zusammengeschlossen und schmiedeten bereits Mordpläne. Genau an dieser Stelle schiebt Lukas die Erwählung und Ernennung der zwölf Apostel ein. »Und es geschah in diesen Tagen« – als die Feindseligkeit gegen Christus einen mörderischen Siedepunkt erreicht hatte. Der Hass der religiösen Elite war auf seinem Höhepunkt angelangt. Jesus konnte das Herannahen seines Todes bereits spüren. Bis zur Kreuzigung waren es nun keine zwei Jahre mehr. Er wusste, dass er den Kreuzestod erleiden, von den Toten auferstehen und nach vierzig Tagen zu seinem Vater auffahren würde. Deshalb war ihm auch bewusst, dass sein irdisches Werk in die Hände anderer gegeben werden musste. Nun war es an der Zeit, seine offiziellen Repräsentanten darauf vorzubereiten. Im Wissen um die hasserfüllte Feindschaft der religiösen Führer sowie seine unvermeidliche Kreuzigung wählte Jesus zwölf Schlüsselfiguren aus, um die Verkündigung des Evangeliums zur Errettung Israels und zur Gründung der Gemeinde fortzuführen. Zeit war von ausschlaggebender Bedeutung. Bis zum Ende seines irdischen Wirkens dauerte es nicht mehr lang (schätzungsweise etwa achtzehn Monate). Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, seine Apostel auszuwählen. Ihre intensivste Ausbildungsphase würde augenblicklich beginnen und in ein paar Monaten beendet sein. Aus diesem Grund konzentrierte Christus seinen Dienst von nun an auf diese wenigen Männer und nicht mehr auf die Volksmenge. Sein sich abzeichnender Tod durch die Hände seiner Gegner kündigte den Wendepunkt an. Als er die Zwölf zu seinen offiziellen Repräsentanten erwählte, welche die Evangeliumsbotschaft mit seiner Vollmacht predigen sollten, fällt eine weitere Tatsache ins Auge. Unter ihnen befand sich nicht ein einziger Rabbi, Schriftgelehrter, Pharisäer, Sadduzäer oder Priester. Nicht ein einziger der ausgesuchten Männer gehörte zum religiösen Establishment. Die Berufung der zwölf Apostel war ein Gericht gegen das institutionalisierte Judentum. Ein Verzicht auf jene Männer und deren Organisationen, die vollständig korrupt geworden waren. Deshalb ernannte Jesus nicht einen einzigen anerkannten religiösen Führer. Stattdessen nahm er Personen ohne theologische Ausbildung – ein paar Fischer, einen Zöllner und andere gewöhnliche Männer. Seine Auseinandersetzung mit denen, die sich für Israels religiösen Adel hielten, währte schon lange. Sie ärgerten sich über ihn, lehnten ihn und seine Botschaft ab und hassten ihn. Das Johannes-Evangelium drückt es so aus: »Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an« (Joh 1,11). Die religiösen jüdischen Führer bildeten den Kern derjenigen Menschen, die ihn verwarfen. Nahezu anderthalb Jahre zuvor forderte Jesus in einem seiner ersten offiziellen Auftritte Israels religiöses Establishment heraus – zu der Zeit, als die Pilger nach Jerusalem strömten, um zum Passahfest zu opfern. Jesus ging zum Tempelberg, trieb mit einer Geissel aus kurzen Stricken die Wechsler und das Vieh aus dem Tempel, schüttete ihr Geld aus und warf die Tische um (Joh 2,13-16). Dies war ein verheerender Schlag gegen das institutionalisierte Judentum. Jesus entlarvte den religiösen Adel als Diebe und Heuchler und verurteilte ihren geistlichen Bankrott. Ihr Abfall vom Glauben wurde aufgedeckt, und ihre Sünden wurden öffentlich gerügt. Er prangerte Bestechlichkeit und Betrug an. So begann er seinen Dienst. Es war ein massiver Angriff auf die Religion des jüdischen Establishments. Jetzt, viele Monate später, auf dem Höhepunkt seines Wirkens in Galiläa und weit entfernt von Jerusalem, hatte der Groll, den diese frühe Begebenheit erzeugt haben musste, seinen Siedepunkt erreicht. Nun wollten diese religiösen Führer sein Blut sehen. Und sie begannen, ein Mordkomplott zu schmieden. Sie hatten ihn vollkommen verworfen: Sie lehnten sein Evangelium ab, verachteten seine Gnadenlehren, verschmähten Busse und Jesu Vergebung und wiesen den Glauben zurück, den er verkörperte. Ungeachtet der vielen Wunder, die bezeugten, dass er der verheissene Messias war, akzeptierten sie die Tatsache nicht, dass er Gott im Fleisch war – und das obwohl sie sahen, wie er Dämonen austrieb, jede nur denkbare Krankheit heilte und sogar Menschen aus den Toten auferweckte. Sie hassten ihn und seine Botschaft. Er stellte eine Bedrohung für ihre Macht dar. Und sie wollten ihn unbedingt tot sehen. Als für Jesus nun der Zeitpunkt kam, zwölf Apostel auszuwählen, nahm er natürlich niemanden aus dem Establishment, das ihn töten wollte. Stattdessen wandte er sich an seine eigenen Nachfolger und entschied sich für zwölf einfache, normale Männer aus der Arbeiterklasse. Die Zwölf Wenn Sie schon einmal die grossen europäischen Kathedralen besichtigt haben, dann könnten Sie annehmen, die Apostel seien überlebensgrosse Heilige mit glänzendem Heiligenschein gewesen und stellten eine erhabene Geistlichkeit dar. In Wirklichkeit waren sie aber ganz normale Männer. Es ist eine Schande, dass sie so häufig als prachtvolle Marmorstatuen in den Himmel gehoben oder auf Gemälden wie eine Art römische Gottheit dargestellt wurden. Das beraubt sie ihres Menschseins. Schliesslich waren sie völlig normale Männer – in jeder Hinsicht menschlich. Wir dürfen nicht vergessen, wer sie wirklich waren. Vor kurzem las ich eine Biografie von William Tyndale, dem Wegbereiter für die englischen Bibelübersetzungen. Er meinte, es wäre falsch, dass das einfache Volk die Bibel nur in Latein hören konnte und nicht in seiner eigenen Sprache. Die damaligen Kirchenführer wollten die Bibel jedoch nicht in der Sprache des Volkes haben, da sie (ähnlich wie die Pharisäer zur Zeit Jesu) den Verlust ihrer kirchlichen Macht fürchteten. Doch gegen ihren Widerstand übersetzte Tyndale das Neue Testament ins Englische und veröffentlichte es. Der Preis dafür war Verbannung, Armut und Verfolgung. Im Jahr 1536 wurde er schliesslich erdrosselt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Eines der wichtigsten Motive Tyndales, die Schrift in die Sprache des Volkes zu übersetzen, war eine Umfrage unter englischen Geistlichen, die grösstenteils nicht wussten, wer die zwölf Apostel waren. Nur ein paar wenige konnten mehr als vier oder fünf mit Namen nennen. Den heutigen Kirchenführern und Christen mag es ebenso ergehen. Die Art und Weise, in der die institutionalisierte Kirche diese Männer heilig sprach, hat ihnen im Grunde ihr Menschsein genommen und liess sie unnahbar und als nicht von dieser Welt erscheinen. Seltsam, denn als Jesus sie erwählte, geschah dies nicht aufgrund aussergewöhnlicher Fähigkeiten oder überragender Geistlichkeit. Er scheint bewusst Männer ausgesucht zu haben, deren bedeutendstes Merkmal ihre Normalität war. Was qualifizierte sie zur Apostelschaft? Offenbar war es keine ihrer Fähigkeiten oder Begabungen. Sie waren Galiläer, d.h. sie gehörten nicht zur Elite. Galiläer galten als ländliche, ungebildete Personen der Unterschicht. Sie waren einfache Bürger – Nobodys. Noch einmal: Sie wurden nicht auserwählt, weil sie vornehmer oder begabter waren als andere Israeliten zu jener Zeit. Sicherlich gibt es einige moralische und geistliche Voraussetzungen, die Männer erfüllen müssen, die diese oder irgendeine andere Leitungsposition in der Gemeinde übernehmen wollen. Der Massstab für geistliche Leiterschaft in der Gemeinde ist sogar extrem hoch. Sehen Sie sich nur einmal die Voraussetzungen für einen Ältesten oder Gemeindeleiter in 1. Timotheus 3,2-7 an: Der Aufseher nun muss untadelig sein, Mann einer Frau, nüchtern, besonnen, sittsam, gastfrei, lehrfähig, kein Trinker, kein Schläger, sondern milde, nicht streitsüchtig, nicht geldliebend, der dem eigenen Haus gut vorsteht und die Kinder mit aller Ehrbarkeit in Unterordnung hält – wenn aber jemand dem eigenen Haus nicht vorzustehen weiss, wie wird er für die Gemeinde Gottes sorgen? – nicht ein Neubekehrter, damit er nicht, aufgebläht, dem Gericht des Teufels verfalle. Er muss aber auch ein gutes Zeugnis haben von denen, die draussen sind, damit er nicht in übles Gerede und in den Fallstrick des Teufels gerät. In Titus 1,6-9 finden wir eine ähnliche Auflistung. Hebräer 13,7 deutet ebenfalls an, dass Gemeindeleiter besonders gute moralische und geistliche Vorbilder sein müssen, denn sie werden Gott Rechenschaft über ihr Verhalten abzulegen haben, und andere sollten ihrem Glauben folgen können. Das ist ein sehr, sehr hoher Massstab. Übrigens ist er für Gläubige in der Gemeinde nicht niedriger. Leiter dienen als Vorbild für alle. Es gibt keinen »niedrigeren« Massstab, der für den normalen Gläubigen akzeptabel wäre. In Matthäus 5,48 sagte Jesus zu allen Gläubigen: »Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.« Offen gesagt: Keiner kann diesen Massstäben gerecht werden. Aus menschlicher Sicht ist niemand »qualifiziert«, wenn der Massstab absolute Vollkommenheit ist. Keiner ist für das Reich Gottes geeignet, niemand ist von Natur aus würdig, Gott zu dienen. Wir haben alle gesündigt und erlangen nicht Gottes Herrlichkeit (Röm 3,23). Es gibt auch nicht einen gerechten Menschen (Röm 3,10). Selbst der reife Apostel Paulus bekannte: »Denn ich weiss, dass in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt« (Röm 7,18). In 1. Timotheus 1,15 bezeichnete er sich sogar als den grössten aller Sünder. Somit gibt es keine Menschen, die diese Voraussetzungen in sich erfüllen. Gott selbst muss Sünder erretten, sie heiligen und anschliessend in brauchbare Werkzeuge verwandeln. Die Zwölf waren wie wir alle; sie wurden unter unwürdigen und unqualifizierten Menschen ausgewählt. Wie Elia waren sie Männer mit »gleichen Gemütsbewegungen wie wir« (Jak 5,17). Sie waren nicht dadurch so überaus brauchbar, weil sie in irgendeiner Weise anders gewesen wären als wir. Dass sie in Gefässe zur Ehre verwandelt wurden, war einzig und allein das Werk des Töpfers. Viele Christen verlieren leicht den Mut, wenn ihr geistliches Leben und Zeugnis unter Sünde oder Versagen leiden. Wir neigen oft zu der Annahme, ein nutzloser Nobody zu sein – und wären wir uns selbst überlassen, träfe dies auch zu! Aber genau solche nutzlosen Nobodys gebraucht Gott, denn ihm steht nichts anderes zur Verfügung. Der Teufel will uns sogar einreden, unsere Fehler würden uns für Gott und seine Gemeinde unbrauchbar machen. Aber die Erwählung der Apostel bezeugt, dass Gott die Unwürdigen und Unqualifizierten gebrauchen kann. Diese Zwölf stellten die Welt auf den Kopf (Apg 17,6). Und dies nicht aufgrund von ausserordentlicher Begabung, ungewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten, mächtigem politischen Einfluss oder irgendeinem besonderen sozialen Status. Sie stellten die Welt deshalb auf den Kopf, weil Gott in ihnen wirkte und sie somit dazu befähigte. Gott erwählt die Demütigen und Niedrigen, die Sanftmütigen und Schwachen, damit kein Zweifel über den Ursprung ihrer Kraft besteht, wenn durch ihr Leben die Welt verändert wird. Es ist nicht der Mensch, sondern Gottes Wahrheit und Kraft in dem Menschen. (Einige Prediger haben es heute nötig, daran erinnert zu werden. Es ist nicht ihre Klugheit oder Persönlichkeit. Die Kraft liegt in dem Wort – in der Wahrheit, die wir predigen –, nicht in uns.) Und mit Ausnahme einer Person – eines aussergewöhnlichen Menschen, der Gott im Fleisch war, des Herrn Jesus Christus – ist Gottes Wirken auf Erden die Geschichte von unwürdigen Menschen, die er zu seinem Gebrauch ebenso sorgfältig formte wie der Töpfer den Ton. Die Zwölf bildeten da keine Ausnahme. Natürlich nehmen die Apostel eine besondere Stellung in der Heilsgeschichte ein. Zu Recht können sie als Glaubenshelden angesehen werden. Die Offenbarung beschreibt, dass ihre Namen die zwölf Grundsteine der Stadtmauern des himmlischen Jerusalems zieren werden. Auf diese Weise lässt ihnen auch der Himmel ewige Anerkennung zukommen. Allerdings tut dies der Wahrheit keinen Abbruch, dass sie genauso normale Menschen waren wie Sie und ich. Wir dürfen sie nicht als bunte Fensterbilder aus Kirchen in Erinnerung halten, sondern so nüchtern, wie die Bibel sie darstellt. Wir müssen sie aus ihrer realitätsfernen Verklärtheit herausholen und sie als wirkliche Menschen kennen lernen. Sie waren reale Männer und nicht hoch erhobene Figuren aus dem Pantheon religiöser Rituale. Ebenso wenig dürfen wir die Bedeutung ihres Amtes unterschätzen. Aufgrund ihrer Erwählung wurden die zwölf Apostel zu Israels wahren geistlichen Führern. Dadurch wurde die religiöse Elite des Israels symbolisch entthront. Die Apostel wurden zu den ersten Predigern des Neuen Bundes. Sie waren die Ersten, denen die christliche Botschaft anvertraut wurde, repräsentierten das wahre Israel Gottes sowie ein bussfertiges und gläubiges Israel. Ausserdem wurden sie zur Grundlage der Gemeinde mit Jesus Christus als dem Eckstein (Eph 2,20). Durch die Tatsache, dass sie so normal waren, werden diese Wahrheiten sogar noch aufgewertet statt geschmälert. Das steht in vollkommener Übereinstimmung mit der grundsätzlichen Vorgehensweise des Herrn. In 1. Korinther 1,20-21 lesen wir: »Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortstreiter dieses Zeitalters? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil in der Weisheit Gottes die Welt durch die Weisheit Gott nicht erkannte, hat es Gott wohlgefallen, durch die Torheit der Predigt die Glaubenden zu erretten.« Genau deshalb befanden sich unter den zwölf ausgewählten Männern keine Philosophen, herausragenden Schreiber, berühmten Diskussionsführer oder angesehenen Lehrer und niemand, der sich je als grosser Redner hervorgetan hatte. Durch die Kraft des Heiligen Geistes wurden sie zu grossen geistlichen Leitern und Predigern, aber nicht aufgrund von angeborenen rhetorischen Fähigkeiten, Führungsqualitäten oder intellektuellen Voraussetzungen. Ihren Einfluss verdanken sie ausschliesslich einer Sache: der Kraft der von ihnen gepredigten Botschaft. Vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, war das Evangelium eine törichte Botschaft, und die Apostel schienen einfache Prediger zu sein. Ihre Lehrtätigkeit und ihre Lehren waren unter der Würde der Elite. Schliesslich waren sie nur Fischer und sonstige Nobodys aus der Arbeiterschicht – Tagelöhner, Gesindel. So wurden sie von ihren Zeitgenossen beurteilt. (Durch die ganze Geschichte hindurch galt für die wahre Gemeinde Christi dasselbe – sogar innerhalb der heutigen evangelikalen Bewegung. Wo sind die beeindruckenden grossen Geister, die herausragenden Schreiber und brillanten Redner, die die Welt schätzt? In der Gemeinde werden sie grösstenteils nicht gefunden.) »Denn seht, eure Berufung, Brüder, dass es nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind« (1Kor 1,26). »Sondern das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, damit er das Starke zuschanden mache. Und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt, das, was nicht ist, damit er das, was ist, zunichte mache, dass sich vor Gott kein Fleisch rühme« (1Kor 1,27-29). Gottes bevorzugte Werkzeuge sind Nobodys, damit sich kein Mensch vor Gott rühmen kann. Anders ausgedrückt: Gottes Erwählung stellt sicher, dass er die Ehre bekommt. Er nimmt schwache menschliche Werkzeuge, damit niemand ihnen die Kraft zuschreibt, sondern Gott, der in ihnen wirkt. Eine solche Strategie ist denen zuwider, deren ganzes Lebensziel darin besteht, Menschen zu ehren. Mit Ausnahme von Judas Iskariot waren diese Männer anders. Sicherlich hatten sie genauso mit Stolz und Überheblichkeit zu kämpfen wie jeder gefallene Mensch. Doch ihr Leben wurde vom Anliegen angetrieben, Christus zu ehren. Da dieses Anliegen dem Einfluss des Heiligen Geistes unterworfen war – und nicht angeborenen Fähigkeiten oder menschlichen Begabungen –, hatte ihr Dienst eine solch unauslöschliche Auswirkung auf die Welt.Fortsetzung: Gewöhnliche Männer, aussergewöhnliche Berufung Teil 2

Datum: 02.07.2007
Autor: John MacArthur
Quelle: 12 ganz normale Männer

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