Sohn Gottes

Der Sohn ist in unvergleichlicher Weise dem Vater verbunden

Zum Verständnis dessen, was das Neue Testament über den Sohn Gottes sagt, bedarf es der Klarheit darüber, was es unter einem Sohn oder Söhnen versteht.* Ein Sohn kommt von seinem Vater her; er ist ihm artverbunden, artgleich, und er ist ihm lebensverbunden, lebensnah.

Jesus nennt sich den Sohn (zum Beispiel Joh. 5,17ff.; Joh. 8,34-36). Er kommt in einzigartigem Sinn vom Vater her; er ist in unvergleichlicher Weise ihm verbunden, er ist wie kein anderer ihm lebensnah. Niemand wirkt wie er die Werke des Vaters. Niemand ist wie er eingeweiht in sein Tun. Niemand steht so unmittelbar vor ihm. Niemand kennt den Vater wie er. Ja, wer ihn kennt, kennt ihn nur durch ihn: »Niemand kennt den Vater als nur der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will« (Matth. 11,27).

Der eingeborene Sohn bedeutet: der einzige Sohn, dem der ganze Reichtum des Vaters zufällt

Den Eindruck der Jünger von dem unvergleichlichen Sohnsein ihres Meisters gibt uns das Johanneswort wieder:»Und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen (= einzigen) Sohnes vom Vater« (Joh. 1,14).

Ein einziger Sohn bekommt das Erbe ungeteilt, ihm fällt die ganze Fülle zu. Die Söhne (die Menschenkinder) haben jeder einen Strahl des göttlichen Lichts mitbekommen - der Sohn den vollen Lichtglanz. Die Söhne tragen jeder in sich ein Stück des göttlichen Reichtums, der Sohn beherbergt in sich die ganze Gottesfülle, alle Züge seines Wesens. Den Söhnen wird im einzelnen etwas gegeben von der Hoheit des Vaters, von seiner Siegesgewalt über die finsteren Mächte - der Sohn hat die volle Majestät, die Siegesgewalt auf der ganzen Linie.

Weil Christus diese Fülle gegeben ist, kann kein Mensch den ganzen Christus in sich verkörpern, sondern jeder nur ein Stück von ihm. Erst die Gemeinde, die Gesamtperson, die aus vielen verschiedenartigen und verschieden begabten Personen besteht, kann in etwa seinen Reichtum fassen.

Sohn Gottes hiess in der vorchristlichen Gemeinde der erwartete Erlöser

Endlich, Jesus nennt sich ausdrücklich den Sohn Gottes (Joh. 3,18; 5,25; 9,35 und andere Stellen) und bejaht es, wenn andere ihn so nennen (Matth. 16,26; 26,63; Joh. 1,49). Sohn Gottes hiess in der vorchristlichen Gemeinde der erwartete Erlöser.

Man bezeichnete ihn so auf Grund zweier Bibelworte: Psalter 2 und 2. Samuel 7,14. An beiden Stellen ist vom kommenden Erlöser gesagt, dass er unbeschränkte göttliche Vollmacht haben wird zur Weltherrschaft und Weltvollendung. Er wird in der Rede Gottes »mein Sohn« genannt.

Der Markusbericht über die Taufe Jesu zieht an einer Stelle plötzlich den Schleier von der Periode seines Lebens, die sonst für uns ganz in Dunkel gehüllt ist. Paulus sagt: »Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan« (Gal. 4,4), das heisst, Christus hatte anfangs, wie alle seine Zeitgenossen auch, keine unmittelbare Gotteserkenntnis, oder er hatte eine solche nur stellenweise; denn das heisst: unter dem Gesetz sein.

Er war darauf angewiesen, sich aus der Bibel, aus den Worten der Propheten, Licht zu holen über Vergangenheit und Gegenwart, über Gottes Absichten und über die bevorstehende Erlösung. Er wird wohl zuerst wie so viele andere auch ausgeschaut haben nach dem kommenden Erlöser. Er wird anfangs gar nicht daran gedacht haben, dass er es sein könnte. Bis dann in ihm die Frage sich erhob und immer wieder kam und immer unausweichlicher vor ihm stand.

Welche Kämpfe und Nöte muss sie ihm bereitet haben! Wie schwierig und dunkel waren die Bibelworte vom kommenden Christus, wie verworren die Erwartungen der Zeitgenossen! Und nun kommt nach dem langen, bangen Fragen die Antwort: Ja, du bist es. Du bist mein geliebter Sohn, dich habe ich erwählt (Mark. 1,11).

Welch eine Hilfe für uns zu wissen, dass auch der Sohn Gottes ein Suchender gewesen ist; dass er nicht als Aussenstehender zu uns spricht: »Suchet, so werdet ihr finden.«

Die Taufe Jesu

Die Taufe ist die Stunde der Berufung Jesu, der Augenblick, in dem ihm die volle Klarheit gegeben wird: er ist der erwartete Sohn.

Dieses Gewaltige zu verarbeiten und in seiner ganzen Tragweite so zu erfassen, braucht er die vierzig Tage in der Wüste. Das Erleben ist so stark, dass er die ganze Zeit nicht an Essen und Trinken denkt. Die Versuchung, die darauf kommt, ist um so schwerer, weil sie sein noch junges und unerfahrenes Sohnesbewusstsein irrezuführen sucht: »Bist du Gottes Sohn, so ...« Nach Kampf und Sieg folgt eine Zeit der Ruhe.

So führt Gott seine Diener. Das sehen wir auch im Leben Jesu. Nach dem Kampf in der Wüste hat er das tiefe, klare und ruhige Bewusstsein seines Sohnseins. Sein Auge reicht jetzt in Weiten, die auch ihm früher verschlossen waren. »Ehe Abraham wurde, bin ich« (Joh. 8,58). »Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war« (Joh. 17,5).

Der Sohn sieht den Abstand zwischen sich und den andern und rechnet sich doch ganz zu ihnen

Jesus sieht mit hellem Blick den Abstand zwischen sich und uns, zwischen seinem Sohnsein und unserem Sohnsein, und er lässt die Grenzen, die hier vorliegen, durchaus nicht verwischen. Aber er rechnet sich doch auch ganz zu uns.

Der Sohn sieht in den Söhnen seine richtigen Brüder, seine nahen Verwandten, auf die er nichts kommen lässt, für die er jederzeit eintritt ... und denen er selbst mit dem Einsatz seines Lebens dient (Matth. 20,25-28; 25,34-36). Wer ihm auch nur einen seiner Brüder kränkt, hat sich den Mühlstein an den Hals verdient.

* Siehe auch den Artikel zu «Sohn».

Datum: 09.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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