Der Missionar in den Medien: Vom Helden zum Bösewicht

Im Jahr 1956 töteten die Auca-Indianer von Ecuador fünf junge Missionare bei dem Versuch, einen ersten Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Damals erregte sich die Öffentlichkeit in Europa sehr darüber, dass die "grausamen Wilden" fünf mutige Idealisten umgebracht hatten. In jenen Jahren fand man in Reiseberichten und Abenteuerbüchern immer wieder Schauergeschichten über Kopfjagd und Giftpfeile bei den "primitiven Indianervölkern". Zugleich wurden die Missionare bewundert, die ihr Leben in der "Grünen Hölle" riskierten, um den Eingeborenen Bildung, Medizin und Religion zu bringen. Auch Menschen, die mit den eigentlichen Zielen der Mission nicht viel anfangen konnten, achteten die Missionare als Idealisten und Wohltäter. Missionare waren Helden, denen man Respekt zollte.

„Engstirniger Zerstörer“

Knapp ein Vierteljahrhundert später klagte die populäre Illustrierte "Quick" in einem grossen Bildbericht, dass westliche Missionare nichts als Unheil in die heile Welt friedliebender, naturverbundener Menschen gebracht hätten. Durch den Einfluss der Missionare hätten die Übel der westlichen Zivilisation die ursprüngliche Harmonie unter den Indianern zerstört, ihre Gesundheit ruiniert und sie zu demoralisierten Almosenempfängern gemacht. Der Bericht in der Illustrierten bezog sich auf genau jene Auca-Indianer in Ecuador, die vor Jahren die Missionare getötet hatten.

Dies ist nur ein Beispiel, das den Wandel zeigt, der in der Beurteilung der Missionsarbeit stattgefunden hat. Was in den 70er Jahren zunächst in kleinen Blättern linker Studenten- und Dritte-Welt-Gruppen auftauchte, begegnet einem heute in renommierten Zeitungen und in Rundfunk- und Fernsehsendungen. Der Missionar wird nicht länger als idealistischer Wohltäter, sondern als engstirniger Zerstörer porträtiert. Für solche Leute hat man heute auch gleich ein entsprechendes Etikett bereit: fundamentalistische Sektierer. Aus dem Helden der früheren Jahre ist ein Bösewicht geworden!

Böse Zivilisation?

Was ist passiert? Hat sich die Missionsarbeit derartig zum Bösen gewandelt? Geht man der Frage nach, dann fällt einem auf, dass sich neben der Beurteilung der Missionsarbeit noch etwas anderes geändert hat. Bis in die 60er Jahre war allgemein ein positives, optimistisches Verhältnis zu unserer eigenen westlichen Zivilisation vorherrschend. Man war stolz auf die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik, auf Demokratie und auf den hohen Lebensstandard, den uns die Marktwirtschaft nach dem Krieg beschert hatte. Und am Horizont der Welt sah man den Hoffnungsschimmer, dass sich damit auch die Probleme der übrigen Völker nach und nach lösen liessen. Der Fortschritt würde es schon bringen!

Auch an diesem Punkt hat sich die Anschauung der Zeitgenossen gründlich gewandelt. Der Optimismus ist einer wachsenden Skepsis gewichen. Ja, je länger je mehr sieht man in der westlichen Zivilisation nicht mehr die Lösung, sondern eher die Ursache der Probleme. Das Selbstbewusstsein der westlichen Völker wird geplagt von Zweifel und Selbstanklage. Da ist einmal die Einsicht in die Untaten der Europäer während des Kolonialzeitalters. Dazu gesellt sich nun noch die Erkenntnis, dass moderne Technik nicht nur Probleme löst, sondern neue schafft, die manchmal schwerer wiegen als die gelösten.

Unter den düsteren Schatten von drohenden Umweltkatastrophen, Atomkriegen und Klimaveränderungen erscheint plötzlich das naturverbundene, unkomplizierte Leben der sogenannten "Naturvölker" als ein sonniges, von den Zivilisationsübeln ungetrübtes Paradies. Das sollte man natürlich schützen und erhalten. So lautet denn auch die Überschrift des oben erwähnten Illustrierten-Artikels über die Auca-Indianer bezeichnenderweise: "Die Vertreibung aus dem letzten Paradies." Verstummt sind dagegen Berichte über Kopfjagd, Kannibalismus oder Blutrache, ausgeblendet wird auch die harte Realität des Lebens im Urwald, denn das alles passt natürlich nicht ins gewünschte Bild des harmonischen Öko-Paradieses.

In dieser Vision vom unbeschwerten Paradies erscheint der Missionar natürlich als ein Störenfried, denn er verursacht Veränderungen, die das "Paradies" bedrohen. "Zivilisierung" ist plötzlich nicht mehr eine geschätzte Aktivität, sondern etwas Niederträchtiges, eben die Vertreibung aus dem Paradies. So lautet denn auch einer der häufigsten Vorwürfe gegen die Missionare, dass sie die Kultur der Völker zerstörten. Natürlich gehört die Frage nach dem Verhältnis der Mission zur traditionellen Kultur der Völker zu den kompliziertesten Fragen, mit denen Missionare sich befassen müssen.

Eine weitere Strömung, die zur Wandlung in der Beurteilung der Mission geführt hat, ist der Liberalismus. Einer seiner wichtigsten Glaubenssätze ist der Ausspruch des preussischen Königs Friedrich des Grossen: "Ein jeder soll nach seiner Façon selig werden." Aber in die Landschaft allgemeiner Toleranz passt es ganz und gar nicht hinein, anderen Völkern den eigenen Glauben als den einzig richtigen anzupreisen und sie zur Bekehrung aufzufordern. Das wird als Rückfall in ein überwundenes Zeitalter der Intoleranz angesehen.

Ein Paradies jenseits von Geld und Klassenkampf?

Eine dritte Strömung, die zur negativen Beurteilung von Missionsarbeit geführt hat, ist die sogenannte "Linke Bewegung", die zwar nicht den dogmatischen Marxismus sowjetischer Art anstrebt, aber doch den Grundtendenzen des Marxismus folgt. Diese Bewegung übt vor allem auf viele Intellektuelle eine starke Faszination aus. Manche "Dritte-Welt-Gruppen" und auch einige Zweige der Wissenschaft sind davon stark beeinflusst worden, so unter anderem die Völkerkunde. In der Theologie haben ihre Gedanken in Gestalt der "Theologie der Befreiung" Eingang gefunden. Diese Gruppierungen haben ihr Augenmerk besonders auf die sozialen und politischen Spannungen Lateinamerikas gerichtet. Deshalb hört man aus diesen Kreisen auch besonders häufig Kritik an der Missionsarbeit unter den Indianern dieses Kontinents.

In den Augen mancher linker Ideologen bilden die Jägervölker Lateinamerikas so etwas wie ein vorkapitalistisches Paradies, in dem das Zusammenleben der Menschen noch nicht von den Übeln des Kapitalismus verdorben wurde. Sie haben damit nicht ganz unrecht. Die Jägervölker kennen keine Teilung in Klassen von Arbeitern und Besitzenden, haben keinen persönlichen Besitz von Land oder Produktionsmitteln und sorgen teilweise gemeinschaftlich für ihren Lebensunterhalt, etwa bei der Jagd im Urwald. Das sind ja Zustände, die hierzulande durch den Sozialismus erst noch erreicht werden sollen.

Missionare hingegen sehen sich oft gedrängt, die Indianer mit dem Wirtschaftssystem ihrer Umgebung vertraut zu machen. Sie tun das nicht aus Liebe zum Kapitalismus, sondern um den Völkern das Überleben angesichts der vordringenden Zivilisation zu ermöglichen. Händler, Grossgrundbesitzer und Siedler haben leichtes Spiel, Indianer zu betrügen und auszunutzen, wenn diese keine Ahnung von den Spielregeln der westlichen Wirtschaft, von Geldwert und Rechnen haben. Um sich zu behaupten, müssen auch die Indianer sich in der vordringenden modernen Welt auskennen. Aber durch die Brille der linken Ideologie gesehen, ist das eben der Sündenfall, der das Paradies zerstört und die Menschen unter die Knechtschaft des Kapitalismus bringt. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade aus den Kreisen der Ethnologen und Dritte-Welt-Gruppen häufig der Vorwurf zu hören ist, die Missionare zerstörten gewachsene Wirtschaftsformen und lieferten die Indianer dann der Ausbeutung durch die Reichen und die multinationalen Wirtschaftskonzerne aus.

Mission im Kreuzfeuer der Kritik

So gibt es Munition genug, mit der die Kritiker ihre Geschütze laden, um sie gegen die Missionsarbeit abzufeuern. Sie tun das vor allem mit einer Fülle von Medienberichten, von einfachen Zeitungsmeldungen bis hin zu ganzen Büchern und Fernsehdokumentationen, in denen die Missionare scharf angegriffen werden. Durchweg kann man den Kritikern jede Menge persönliches Engagement bescheinigen, aber haben sie wirklich recht?

Über manche der vorgebrachten Anschuldigungen kann man allerdings nur den Kopf schütteln, etwa wenn behauptet wird, die Missionare seien gar nicht an den Menschen, sondern an Bodenschätzen interessiert, sie würden die Indianer als billige Arbeitskräfte ausnutzen oder sie für zweifelhafte medizinische Experimente missbrauchen oder sie erhielten vom amerikanischen Geheimdienst Geld für wichtige Informationen. Derartiger Unsinn findet zwar leider immer wieder den Weg in die Medien, wird aber auch durch häufige Wiederholungen nicht wahr. Mehr als “das stimmt nicht” kann man dazu nicht sagen.

Andere kritische Anschuldigungen kann man nicht so einfach abtun. Wenn zum Beispiel gesagt wird, die Missionare hätten keinen Respekt vor den einheimischen Kulturen oder würden in blindem Eifer mehr zerstören als aufbauen, dann müssen die Missionen vor allem dafür sorgen, dass die Kritiker damit nicht recht haben. Es besteht ja durchaus die Gefahr, dass Missionare in unbesonnenem Übereifer Elemente einer Kultur zerstören, die nicht im Gegensatz zum Kern des christlichen Glaubens stehen; dass sie aus Besserwisserei manche Errungenschaften der westlichen Zivilisation durchzusetzen versuchen, die mit dem Evangelium nichts zu tun haben; oder dass sie in engstirnigem Fanatismus und in abstossender Weise für ihren Glauben eifern. Hier kann die Kritik in der Öffentlichkeit, selbst wenn sie in gehässiger Form vorgebracht wird, auf wirkliche Missstände hinweisen und muss darum von den Missionaren ernsthaft geprüft werden.

Oft hat die Kritik ihren Ursprung aber nicht so sehr in den Tatsachen an sich, sondern darin, dass die Kritiker die Dinge durch die Brille ihrer ideologischen Voreingenommenheit sehen und daher zu einem negativen Urteil kommen. Deshalb scheint es mir wichtig, dass die Missionen ihre Sicht der Dinge klarstellen. Das wird selten den Effekt haben, dass die Kritiker überzeugt werden und verstummen; meist ist dazu der weltanschauliche Graben zu tief. Aber die Christen brauchen Antworten auf die aufgeworfenen Fragen, damit sie durch die Kritik nicht verunsichert werden oder sie gar gedankenlos übernehmen und den Missionaren in den Rücken fallen.

Auseinandersetzung nicht nur an der Front

Allerdings werden auch innerhalb der Christenheit immer häufiger Fragen laut, die den Sinn von Missionsarbeit anzweifeln. Es ist ja kein Geheimnis, dass auch im traditionell christlichen Mitteleuropa lebendiger Glaube längst zur Mangelware geworden ist. Probleme, mit denen sich die Gemeinden und Kirchen hier in der Heimat auseinandersetzen müssen, gibt es genug. Da sind sich viele nicht mehr so sicher, welchen Stellenwert Mission eigentlich noch haben könnte. So hört man auch aus dem Raum der christlichen Gemeinden Argumente, die gegen die Weltmission sprechen. Es geht auch nicht um den Nachweis, dass Missionare keine Fehler machen. Gezeigt soll lediglich werden, dass die Mission bei vielen Punkten, an denen heutzutage Anstoss genommen wird, durchaus plausible Argumente auf ihrer Seite hat.

Quelle: „Mission unter Beschuss“, Hänssler-Verlag 1996. Copyright beim Herausgeber, Andreas Holzhausen.

Datum: 24.04.2002
Autor: Andreas Holzhausen
Quelle: Hänssler Verlag

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