Praktische Tipps für Momente der Stille
Ich sitze in meinem Wohnzimmer auf dem weichen Teppich vor meiner Couch und versuche, still zu werden. Auf dem kleinen Tisch neben mir flackert eine Kerze. Irgendwoher scheint ein Luftzug zu kommen, denn sie steht nicht still. Wie meine Gedanken. Sie hüpfen hin und her: zu all dem, was ich noch tun sollte. Die Rückmeldefrist und Steuererklärung, Vorsorgetermine und unbeantwortete Mails. Die Nöte eines meiner Kinder und die immerwährende Frage, was wir morgen essen sollen. Je leiser es um mich herum wird, desto lauter wird es in mir drin – vor allem die Sorgen, die in meinen Gedanken kreisen und meine Brust eng werden lassen. Immer wieder kommt der Gedanke, dass ich es mir eigentlich gar nicht leisten kann, hier einfach nur herumzusitzen.
Ich atme. Höre das Knattern der Heizung. Falte meine Hände zu einer Schale. Mit jedem Atemzug wird es in mir ruhiger. Und so sitze ich einfach da.
Mitten in meinem vollen, hektischen Alltag stehle ich mich ein paar Minuten davon, allein in die Stille. Aber was ist Stille eigentlich? Laut gängiger Definition ist es die Abwesenheit von Lärm. Doch ich merke, dass da noch mehr ist. Stille ist mehr, als einem Hobby ohne akustische Beschallung nachzugehen. Sie ist mehr als ruhig dazusitzen, aber gedanklich Sorgen zu wälzen. Und sogar mehr als ein paar Minuten Meditation, um bei mir selbst anzukommen. Stille, wie ich sie in der Bibel finde, ist nie Selbstzweck. Es heisst dort immer, dass jemand in die Stille geht, um Gott zu suchen. Vielleicht kann man es so formulieren: Stille ist, wenn ich mit allem aufhöre, um ganz bei Gott zu sein.
Für mich als Mama von drei Kindern in einer kleinen Stadtwohnung ist die grosse Herausforderung, mit allem aufzuhören. Alles in mir sehnt sich nach Ruhe und Alleinsein. Doch meine Umstände machen Stille fast unmöglich und es kostet mich sehr viel, hier und da ein paar wertvolle Minuten abzuzwacken. Frauen in anderen Lebenssituationen stehen vor anderen Herausforderungen. Wer viel allein ist, für den kann es schwierig sein, die Stille zu füllen oder sie auszuhalten. Doch wie finde ich inmitten des Lärms oder der Einsamkeit in die Stille? Das Gedanken- und Gefühlschaos lässt sich nicht einfach auf stumm schalten.
Genau hier wächst mein Vertrauen. Das Vertrauen darauf, dass Gott gut ist und es gut mit mir meint.
Vier Wege um innerlich ruhig zu werden
Zuallererst: Der Weg in die Stille braucht etwas Übung und wir dürfen hier geduldig mit uns sein, uns ausprobieren und kleine Schritte tun. Mit den Jahren habe ich ein paar Dinge entdeckt, die mir helfen, ruhig zu werden. Sie sind ein wenig wie Aufwärmübungen, die mich bereit machen, in der Stille und bei Gott anzukommen.
1. Im Hier und Jetzt ankommen – Sinnesmeditation
«Gott ist immer da. Das Problem ist, wir sind es meistens nicht.» Dieser Satz von Dr. Johannes Hartl erinnert mich daran, dass Stille oft damit beginnt, dass ich einfach in dem Moment ankomme. Es gibt eine kleine Meditationsübung, die mir hilft, im Hier und Jetzt anzukommen und körperlich ruhig zu werden. Dazu schliesst man die Augen, nimmt drei bewusste Atemzüge und konzentriert sich nacheinander auf jeweils drei Dinge, die man sieht, hört, riecht, schmeckt oder fühlt. Ich bin danach oft ruhiger und kann meine Gedanken auf Gott ausrichten.
2. Atemgebet
Das Atemgebet ist ein altes Gebet, das schon im 4. Jahrhundert von den Wüstenvätern und -müttern gebetet wurde. Es verbindet den Rhythmus des Atems mit einem kurzen Satz oder Bibelvers. Die bekannteste Form ist: Beim Einatmen «Herr Jesus Christus» und beim Ausatmen «Erbarme dich meiner» zu beten. In einer Zeit, in der es mir sehr schlecht ging und jede Kleinigkeit wie ein riesiges, unüberwindbares Problem wirkte, habe ich oft gebetet: «Mach Grosses gross» und «Mach Kleines klein».
3. Bildhafte Stille
Wenn ich in die Stille gehe, habe ich manchmal ein konkretes Bild vor Augen. Ich sitze in meinem Lieblingssessel mit einer Tasse Kaffee in der Hand und stelle mir vor, dass Jesus bei mir ist und wir einfach ein paar Minuten lang nebeneinandersitzen. Oder stelle mir bei einem Gebetsspaziergang vor, dass er neben mir geht. Der französische Pfarrer und Mystiker Jean-Marie Vianney erzählt dazu eine kleine Anekdote. Eines Tages sieht er einen Bauern, der längere Zeit still vor einem Kruzifix in seiner Kirche sitzt. Als er diesen fragt, was er da tue, antwortet der Bauer: «Ich schaue ihn an, und er schaut mich an.»
4. Kleine Rituale
Neben diesen Übungen helfen mir kleine Rituale, in der Stille anzukommen. Es ist, als ob mein Körper dann weiss, dass er gleich auf Ruhe umstellen kann. Für mich heisst das: Kaffee in meinem Lieblingssessel. Oft forme ich dabei mit meinen Händen eine Schale und zünde eine Kerze an. Manche finden in Bewegung zur Ruhe, für sie ist ein Spaziergang hilfreich. Anderen hilft ein vorformuliertes Gebet wie ein Psalm, eine angeleitete Liturgie oder ein Musikstück oder das Schreiben, um ruhig zu werden.
Bewusst Zeit freischaufeln
Was ich bei all dem merke: Stille passiert nicht von allein. Ich muss sie mir erkämpfen, bewusst freischaufeln und mich oft auch überwinden, vor allem, wenn ich es länger vor mir hergeschoben habe. Früher bin ich oft ein, zwei Tage für stille Zeiten weggefahren. Im Moment reichen mein Lebensalltag und meine Kraft nur für kleine Momente zwischendurch. Manchmal sind das nur zwei Minuten, während meine Kinder morgens die Zähne putzen. Doch mitten in den gestohlenen Augenblicken, im vollen, lauten Alltagschaos merke ich, wie sehr Gott sich über diese Zeit mit mir freut.
Da ist kein beleidigtes «Kommst du auch endlich mal wieder vorbei», kein Vorwurf, dass ich nach ein paar Minuten schon wieder gehen muss, sondern, wenn ich zu ihm komme – egal wie kurz –, werde ich von ihm mit «Wie schön, dass du da bist, ich habe mich so auf dich gefreut» begrüsst.
Was ich in der Stille lerne
Meistens passiert in meinen stillen Augenblicken nichts Weltbewegendes. Ich fühle mich selten anders, habe keine neue Erkenntnis, und nur vereinzelt spricht Gott in diesen stillen Momenten zu mir. Doch auch wenn ich nicht viel davon sehe, glaube ich, dass diese Zeiten etwas in mir wieder zurechtrücken. Mir passiert es nämlich sehr leicht, dass ich mich in meinem Tun und Sorgen verliere. Dann schwanke ich zwischen dem Gefühl «Alles ist mir möglich, wenn ich mich nur genug bemühe» und der Überforderung, weil ich den Eindruck habe, für alles um mich herum verantwortlich zu sein. Doch in der Stille lerne ich, Frieden zu schliessen. Frieden mit meinen Grenzen und mit meinen Möglichkeiten. Ich erkenne (und bekenne): Ich bin nicht Gott. Ich habe mein Leben und das Leben meiner Liebsten nicht in der Hand. Ich tue das, was in meiner Macht steht, und dann höre ich auf – manchmal bewusst, manchmal, weil ich keine andere Wahl habe. Aber ganz oft merke ich genau dann, wenn ich am Ende meiner Möglichkeiten bin: Gott ist es noch lange nicht. «Seid still und erkennt, dass ich Gott bin.» (Psalm 46,10)
Wachsendes Vertrauen
Das zweite, was ich in der Stille lerne, ist harren. Harren ist ein altes Wort, das ich sehr mag, weil es mich daran erinnert, dass Warten und Still sein etwas Aktives ist. Ich schlage nicht irgendwie die Zeit tot, sondern kratze all meinen Glauben und mein Vertrauen, das ich finden kann, zusammen. Ich höre auf mit meinem Tun, meinen Worten, meinem Planen und Sorgen. Und warte auf den, der versprochen hat bei mir zu sein, auch wenn ich nicht sofort alles sehen kann und geduldig warten muss. In der Stille drückt sich mein Vertrauen in Gott aus und gleichzeitig glaube ich, dass genau hier mein Vertrauen wächst. Das Vertrauen darauf, dass Gott gut ist und es gut mit mir meint. Wenn ich das in den kleinen Alltagssorgen und Momenten einübe, dann auch, weil ich lernen will, in den grossen Nöten mein ganzes Vertrauen auf ihn zu setzen. «Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.» (Psalm 42, Vers 12)
Seit ein paar Wochen trage ich diesen kurzen Vers mit mir herum: «Denn so spricht der Herr, der Heilige Israels: Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke. Aber ihr habt nicht gewollt.» (Jesaja Kapitel 30, Vers 15) Ja, ganz oft will ich nicht still sein. Ich will Gott nicht vertrauen müssen, sondern alles alleine in der Hand haben. Ich will sehen, was ich arbeite, und nicht ruhig werden müssen. Aber genau das ist der Grund, warum ich diese Stille so sehr brauche. Weil sie mich von der Illusion befreit, dass ich alles alleine schaffen könnte und auch, dass in meiner Zeit mit Gott immer etwas dabei «herauskommen» muss. Und so suche ich die stillen Momente und lerne, es zu geniessen, einfach ein bisschen neben Jesus zu sitzen und mit ihm zusammen zu sein.
Zurück im Alltag
Nach ein paar Minuten klingelt es an der Tür. Die Kinder sind von ihrem Sporttermin zurück und ich bin wieder in meinem lauten Alltag. Sporttaschen werden in die Ecke geworfen und es wird nach einem Abendessen gerufen, weil alle am Verhungern sind. Ich öffne die Augen und stöhne kurz auf. Mir fällt mein Gedanke vom Anfang wieder ein: dass ich mir diese stillen Minuten eigentlich nicht leisten kann. Aber vielleicht, denke ich, kann ich es mir nicht leisten, diese Minuten nicht zu haben.
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Datum: 10.08.2025
Autor:
Anne Gorges
Quelle:
Magazin Joyce 03/2025, SCM Bundes-Verlag