Tibet-Experte warnt vor Dalai-Lama-Euphorie

Flagge eines Dalai-Lama-Anhängers.

Der britische Tibet-Experte Paul Williams hat vor einer Dalai-Lama-Euphorie in Europa gewarnt. "Seine Verehrer sollten bedenken, dass er ihnen nicht mitteilt, was er selbst für die letzte Wahrheit hält", sagte Williams in einem Interview der Tageszeitung "Die Welt". Dazu fehle es den meisten Europäern nach Ansicht des geistlichen Oberhaupts der Tibeter an der nötigen Reife.

Der Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der Tibeter, wird im kommenden August die Schweiz besuchen. Er soll an zwei Tagen in der Eishalle von Malley bei Lausanne unterrichten. Paul Williams sieht das kritisch: "Als guter buddhistischer Lehrer passt er sich dem Niveau seines Publikums an", so Williams, der selbst Buddhist war. In Wahrheit beinhalte der Buddhismus eine höchst komplexe Lehre, betonte Williams. Als Beispiel nannte der britische Tibetologe den Glauben an die Wiedergeburt und die Erleuchtung.

"Feurige Jesus-Liebe"

Williams hatte sich vor 30 Jahren zum tibetischen Buddhismus bekehrt, übersetzte Bücher des Dalai Lama und wirkte als spiritueller Lehrer, bevor er wieder Christ wurde. Nach seinen Worten dürften Ex-Christen, die zum Buddhismus übertreten, eines Tages bemerken, dass sie viel tiefer in der christlichen Tradition verwurzelt sind, als sie ahnen. „Jedenfalls fragte ich mich manchmal, ob Gott vielleicht doch existiere, obwohl Buddhisten bekanntlich nicht an Gott glauben“, so Williams. Beim Besichtigen alter Kathedralen habe er die Sehnsucht gespürt, wieder dazuzugehören. Wenn er eine anrührende Passion des Komponisten Johann Sebastian Bach (1685-1750) gehört habe, sei ihm aufgegangen, „dass ich als Buddhist diese Musik nicht angemessen würdigen kann“. Zur Begründung sagte Williams: „Weil der Geist, aus dem Bach komponierte, feurige Jesus-Liebe war.“ Jesus sei für tibetische Buddhisten aber „allenfalls ein sehr mittelmässig Erleuchteter“. Ausserdem billige der tibetische Buddhismus schöner Musik keinen spirituellen Wert zu.

Christentum und Buddhismus unvereinbar

Die Auffassung, wonach Christentum und Buddhismus miteinander vereinbar seien, bezeichnete der Experte als "eine der grossen Mythen unserer Zeit". Die spirituellen Wege beider Religionen schlössen sich gegenseitig aus. So hielten tibetische Buddhisten Jesus allenfalls für einen sehr mittelmässigen Erleuchteten. „Die spirituellen Wege sind unterschiedlich, ja unvereinbar.“ Im Blick auf Äusserungen des Dalai Lama, Christen sollten ihrer Tradition treu bleiben, sagte der Professor, dies sage das geistliche Oberhaupt des tibetischen Buddhismus nicht, weil er alle Religionen für gleichwertig halte: „Er ist von der absoluten Überlegenheit des Buddhismus überzeugt.“ Der Dalai Lama betrachte jedoch „grosse Teile der Menschheit als zu unreif und unklug, um Buddha zu verstehen“. Deshalb empfehle er der Masse, „ihrer schlichten Religion treu zu bleiben“.

Zur Frage, ob Jesus optimistischer sei als Buddha, sagte Williams: „Allerdings! Jesus verheisst zum Beispiel, dass sich geliebte Menschen nach dem Tod wiedersehen werden.“ Buddha hingegen lehre, dass der Einzelne mit seinem Tod für immer verschwinde. Die Wiedergeburten hätten nichts mit der vorherigen Person gemein.

Dalai Lama kann auch autoritär sein

Auch das öffentliche Urteil über den Dalai Lama selbst werde zuweilen durch Einseitigkeit bestimmt, gab Williams zu bedenken. Zwar sei dieser eine "faszinierende Persönlichkeit". Aber das Bild des stets lächelnden Sympathieträgers bedürfe der Korrektur. "Bei Tibetern lächelt er weit weniger und spricht autoritärer - nicht, weil er unehrlich wäre, sondern weil die Menschen Unterschiedliches von ihm erwarten".

Einfluss von Gandhi auf Dalai Lama

Die pazifistische Gesinnung des Dalai Lama führt Williams auf den Einfluss des indischen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi (1869-1948) zurück. Die tibetische Geschichte selbst stecke wie die von anderen Völkern auch voller Gewalt.

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Quellen: Kipa/Die Welt/Livenet

Datum: 16.02.2009

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