Schuldgefühle und Zweifel

Depression und Glaube

Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist.
verzerrt

aus Psalm 69

Wenn gläubige Menschen an einer Depression erkranken, so leiden sie nicht nur an den allgemeinen Symptomen, sondern besonders daran, dass der Glaube, der ihnen sonst Halt gab, jetzt verdunkelt wird. Oft bringen sie ihr Versagen in einen Zusammenhang mit ihrem Glaubensleben.

Symptome, die das Glaubensleben erschweren

1. Die traurige Verstimmung, der Verlust von Freude und Interesse, führt auch zum Verlust der Freude an Gott und seiner Schöpfung.

2. Grübeln und Zweifeln, innere Unruhe und sinnloses Gedankenkreisen, können dazu führen, dass einem der Glauben selber wankt.

3. Selbstvorwürfe und Schuldideen erlebt der Betreffende als Schuld vor Gott. Das kann die Angst mit sich bringen, vielleicht grundsätzlich verloren zu sein.

4. Kraftlosigkeit und eine Unfähigkeit, sich zu entscheiden, erschweren auch die christlichen Aktivitäten, die sonst selbstverständlich sind.

5. Die Angst und der Rückzug vor anderen Menschen lässt auch die Gemeinschaft mit anderen Christen zusammenbrechen, die der Kranke jetzt umso nötiger hätte.

6. Sorgen und Mangel an Perspektive nehmen die sonst vorhandene Zuversicht durch den Glauben.

7. Der Betroffene ist allgemein leichter reizbar und reagiert überempfindlich. Dieses Verhalten interpretieren er selber und seine Umgebung mitunter als nicht mehr christlich.

8. Hoffnungslosigkeit und Todeswunsch werden manchmal durch aus dem Zusammenhang gerissene Bibelverse unterstützt.

Ein selbstgemachter Schuldkatalog

Im Grunde genommen fasst der gläubige Mensch die allgemeinen depressiven Klagen in eine religiöse Sprache:

1. «Depression ist Sünde.» Ein guter Christ ist also nicht depressiv.
2. «Ich werde von Gott gestraft, weil ich gesündigt habe.»
3. «Ich spüre Gottes Gegenwart nicht mehr.»
4. «Ich habe keine Kraft mehr für Bibellese und Gebet.»
5. «Ich habe so Angst vor anderen Menschen. Ich wage mich nicht mehr in die Kirche oder in einen Hauskreis.»
6. «Verglichen mit anderen tue ich ja nichts für Gott. Ich bin ein nutzloses Werkzeug.»
7. «Für einen Menschen wie mich gibt es keine Hoffnung mehr.»

Schuldig – aber wem gegenüber?

Schuldgefühle sind eine menschliche Grundreaktion. Sie treten immer dort auf, wo jemand seine Ideale nicht erfüllt und dieses Versagen schuldhaft erlebt. Diese Gefühle begleiten eine Depression in drei Viertel der Fälle. Eine Untersuchung über «Depression und Glaube» ergab folgende Übersicht:

Ich fühle mich schuldig vor
– mir selbst 20,8%
– der Familie 18,2%
– vor Gott 16,4%
– unbestimmt/unklar 6,3%
– Menschen allgemein 5,5%
– sonst etwas 5,5%
– niemand 27,3%

Glauben, der sich bewähren darf

Du machst mich wieder lebendig
und holst mich wieder herauf aus den Tiefen der Erde ...
Du tröstest mich wieder.

aus Psalm 71

Sosehr wie eine Depression das Leben der Gläubigen zusätzlich belasten kann, so sehr kann sich der Glaube auch als eine grosse Stütze erweisen. Denn im Hintergrund bleibt zumeist eine Hoffnung bestehen, die sich gegen die bedrängende Hoffnungslosigkeit stellt. Eine Angst vor Strafe verhindert manchen Suizid, und der Todeswunsch während der Depression wird zur Ewigkeits-Sehnsucht, ohne dass jemand Hand an sich selber legen muss. Bodenlose Verzweiflung und Suizid sind beim gläubigen Menschen also weniger wahrscheinlich.

Kraft aus dem Lesen, Hören, Singen

Ausser diesen präventiven Wirkungen wird der Glauben auch vielmals als eine Quelle der Kraft erfahren, und dies trotz aller Verzagtheit, allem Zweifel und aller Kraftlosigkeit, die diese Zeit normalerweise prägen. Bibelstellen aus den Losungen oder vom Kalender geben ebenso Orientierung wie selbergelesene Psalmen oder Teile aus dem biblischen Buch Hiob. Lieder hellen das Gemüt auf, und mancher Besuch eines Mitchristen ist eine Ermutigung im finsteren Tal.

Wer diese Phase im Glauben durchlebt hat, kann oft umso gestärkter daraus hervorgehen. Er hat eine vermehrte Abhängigkeit von Gott erfahren, sein persönlicher Glaube wurde vertieft, und er ist zu einer reiferen Haltung gegenüber dem Leiden und gegenüber Leidenden durchgedrungen.

Zusammenfassend kann man darum sagen: Es ist im Gespräch wichtig, einerseits die Nöte des gläubigen Menschen in seiner Depression ernst zu nehmen, zugleich aber auch die stützenden Anteile seines Glaubens zu aktivieren. Die Zusammenarbeit mit einem Seelsorger ist sehr zu empfehlen.

Datum: 29.11.2004
Autor: Samuel Pfeifer
Quelle: seminare-ps.net

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