Eduardo Camino: Reichtum an sich ist, glaube ich, nichts Schlechtes, daher brauchen sich Reiche nicht allein wegen ihres Besitzes von Gottes Liebe und seinem Heilsplan ausgeschlossen fühlen. Zur Verdeutlichung hier eine Unterscheidung: Armut ist sowohl Mangel an materiellen Mitteln als auch eine Tugend. Ersterer muss abgeholfen werden, letztere muss zu leben gelernt werden. Gott bedient sich aller Umstände und Situationen, um dem Menschen seine Berufung zu zeigen. Petrus hat er beim Fischen berufen, Matthäus am Zöllnertisch, Paulus bei seiner Verfolgung der Christen. In diesem Sinne ist Reichtum weder ein besseres noch ein schlechteres Umfeld als andere. Im Buch wird der Reichtum im Rahmen der Berufung erörtert, denn ich glaube, die Erfordernisse der Tugend der Armut erscheinen deutlicher und sind daher besser zu leben, wenn es einem gelingt, sie in das einzubinden, was der Ganzheit des Daseins Sinn verleiht. Nein, diese Aufforderung Jesu bei der Berufung des Matthäus "alles aufzugeben", hat die selbe Bedeutung wie etwa bei der Berufung des Petrus, Andreas und Johannes. Im Falle des Jünglins war der Reichtum keine Behinderung, Gott zu begegnen, wie ja auch nicht die Fischerboote und Netze der Apostel, die vor ihrer Nachfolge des Meisters Fischer waren. Das muss natürlich etwas näher erklärt werden, was in meinem Buch auch geschieht, wo es um die Möglichkeit geht, ob Matthäus und die anderen Apostel wieder ihren alten Beruf ausüben sollen. Für Gott sind die materiellen Reichtümer dieser Welt nichtig. Zur Bestätigung unseres Glaubens müssen wir im Rahmen des Möglichen ihn natürlich richtig einsetzen. Verliebte schenken sich keine verwelkten Blumen und auch keine Drahtstücke. Das ist auf persönlicher Ebene vereinbar mit der Forderung der Freigiebigkeit materieller Güter, denn die konkreten Erfordernisse dieser Tugend hängen von der sozialen Position und den Umständen jedes Einzelnen ab. Ja. Ausserdem ist in unserer materialisierten Gesellschaft gerade diese Tugend vertiefungswürdig. Lassen sie mich hierzu noch etwas anfügen. Die Gebote habe ich immer als eine göttliche Hilfe betrachtet für den Menschen, der nach der Erbsünde verstandesmässig verwirrt und im Willen geschwächt war. Daher finde ich diese doppelte göttliche Hilfe für unsere existenziellen Dimensionen sehr auffallend: die leibliche und die der materiellen Güter. Daher hat Gott in beiden Fällen je zwei Gebote gegeben, nämlich das sechste und neunte sowie das siebte und zehnte. Da die Desorientierung in jenen Dimensionen so gross werden kann, wollte er uns innerlich und äusserlich helfen. Man kann nicht nur, sondern das muss man auch. Wer mehr hat, hat auch grössere Verantwortung. Wie überall gilt auch hier das Beispiel mehr als das Wort. Das Beispiel ist für die Evangelisierung wesentlich. Eine gewisse Erhabenheit, über den materiellen Dingen zu stehen ist oft aussagestärker als Worte oder logische Schlussfolgerungen. Hier meine ich nicht die stoische Tugend der Armut, sondern jene, die ansteckend ist und die Schönheit und Freiheit in der Freigiebigkeit reflektieren und übermitteln. Angesichts einer scheinbaren Sicherheit, die immer mehr in der Position des Mehrhabens gesucht wird, fällt eine Freiheit auf, die, wenn sie so gelebt wird, sich als enorme befreiende Kraft offenbart.Ist Gott und Reichsein miteinander vereinbar?
Inwiefern kann Reichtum Ort der Begegnung für die Berufung sein?
Sie sagen, Reichtum behindert die Begegnung mit Gott nicht. Finden sie nicht, dass die Bibel beim „reichen Jüngling“ eher gegenteilig gedeutet werden muss?
In einer Fussnote schreiben sie, "der Reichtum muss immer in der Kirche aufleuchten". Ist das ihrer Meinung nach in Wirklichkeit auch so?
Sind Armut und Freigiebigkeit für das Christentum wesentlich?
Kann man vom Reichtum her evangelisieren?
Datum: 18.11.2002
Quelle: Zenit