Open Forum Davos

„Das Publikum wird im Unklaren darüber gelassen, wo die Kirche überhaupt steht“

Als Beobachter nimmt der religiöse Sozialist Willy Spieler erneut am "Open Forum Davos" teil, das der Schweizerische Evangelische Kirchenbund diese Woche mit dem Weltwirtschaftsforum WEF durchführt. Er zweifelt daran, dass die Kirche mehr wolle, als sich an diesem "Jahrmarkt der Eitelkeiten" zu beteiligen. In der Moderatorenrolle bringe sie die eigenen Positionen kaum ein, kritisiert Spieler im Interview mit der Presseagentur Kipa. Am Open Forum finden für ihn "lauter Schein-Dialoge" statt, die zu nichts führen.
Open Forum Davos 2005
Armut in der Dritten Welt
Davos im Winter.
Willy Spieler

Kipa: Das Open Forum sei ein "Beitrag zum beharrlichen Gespräch mit zum Teil entgegengesetzten Positionen", sagt man beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund. Was ist denn in Ihren Augen so verwerflich daran?
Willy Spieler: Es ist überhaupt nicht verwerflich, dass gegensätzliche Positionen miteinander konfrontiert werden. Die Frage ist einfach: Welches sind denn die Positionen, die hier aufeinander treffen? Wenn die Kirche sich schon an diesem Dialog beteiligt, dann möchte ich wissen, welche Position die Kirche selber einnimmt.

Da gibt es beispielsweise vom Reformierten Weltbund – es geht ja hier vor allem um die reformierte Kirche – das revolutionäre Papier von Accra 2004, das sich in prophetischer Weise gegen die neoliberale Globalisierung der Weltwirtschaft stellt. Aber es sieht nicht so aus, als würde die Kirche die "Schreie der Armen und das Stöhnen der Schöpfung" am Open Forum Davos vertreten.

Oder es gab in der Schweiz das "Wort der Kirchen" (2001), das nach einer breiten Konsultation zur sozialen und wirtschaftlichen Zukunft des Landes ökumenisch verabschiedet wurde. Dieses "Wort der Kirchen" enthielt auch entwicklungspolitische Vorschläge wie etwa, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für die Entwicklungshilfe aufzuwenden oder Devisen-Transaktionen steuerlich zu belasten ("Tobin Tax"). Doch von all dem ist für die Podiumsgespräche am Open Forum nichts angekündigt.

Die Kirchen bringen sich und ihre Positionen am Open Forum Davos überhaupt nicht ein?
Das ist leider so. Oder sie delegieren ihre Positionen an Leute auf dem Podium, die sie dann mehr oder weniger zufällig ebenfalls vertreten. Das Publikum wird im Unklaren darüber gelassen, wo die Kirche überhaupt steht.

Und das wäre in diesem Umfeld wichtig?
Was soll denn sonst der Stellenwert der Kirche sein? Bloss eine Diskussion veranstalten, das kann auch ein Medienkonzern – und vermutlich erst noch besser. Aber wenn es schon darum geht, Positionen auszutauschen, und dabei ausgerechnet die Position der Kirche fehlt, obwohl sie doch als Mitorganisatorin auftritt, dann weiss ich wirklich nicht, ob die Kirche mehr will, als bloss eine Beteiligung an diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten…

Das Bauen von Brücken gehört wohl auch zu den Aufgaben der Kirchen.
Natürlich. Aber die Frage ist: Brücken von wo nach wohin? Nur unverbindliche Podien veranstalten, die zu nichts führen, das ist noch kein Brückenbau. Und wenn die Kirche eine Brücke bauen will und ihre eigene Position dabei verleugnet – wo sind dann die Grundpfeiler dieser Brücke, die da gebaut werden soll?

Es ist beim Open Forum Davos nur die evangelische Kirche dabei. Hätten Sie sich vorstellen können, dass das Ganze vielleicht etwas mehr Biss hätte, wenn katholische Kreise dabei wären?
Das hängt dann natürlich auch wieder von den Teilnehmenden der katholischen Seite ab. Man hat mir übrigens gesagt, dass der Vatikan durch seine Prälaten sogar am Weltwirtschaftsforum selbst beteiligt ist. Aber davon spricht kein Mensch! Was die Vatikan-Vertreter da für eine Rolle spielen, habe ich bis heute nicht heraus bekommen… Wissen Sie, ich bin ja katholisch und will nicht pharisäerhaft auf den evangelischen Kirchenbund zeigen.

Wahr ist aber auch: Es gibt auf katholischer Seite immer wieder prophetische Gestalten, auch unter den Bischöfen, die sehr überzeugend auftreten können, und es wäre natürlich ein Gewinn, wenn solche Figuren am Open Forum mit dabei wären.

Ich habe übrigens Thomas Wipf, den Präsidenten des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, gefragt, ob der Kirchenbund im Hinblick auf eine Mitwirkung der katholischen Kirche am Open Forum auf diese zugegangen sei. Da hat er mir geantwortet, er sei von der katholischen Kirche noch nie wegen einer Beteiligung am Open Forum angefragt worden.

Und Ihres Erachtens wäre eine katholische Beteiligung wünschenswert?
Es gibt so doch eine gemeinsame Sozialethik der Kirchen. Die Accra-Erklärung des Reformierten Weltbundes spricht davon, dass Wirtschaftsgespräche "Glaubensgespräche" sind, und dass es eine Verpflichtung des Glaubens ist, die herrschende Vergötzung des Marktes anzuklagen.

Dasselbe sagt auch die katholische Kirche, wenn sie die Mechanismen in der Weltwirtschaft anklagt, die dazu führen, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Das sind für die katholische Soziallehre eben nicht Sachzwänge, sondern "Strukturen der Sünde". Man meint also dasselbe wie die evangelischen Kirchen, benennt es aber anders.

Aufgrund Ihrer Erfahrungen als Beobachter am letztjährigen Open Forum Davos schlagen Sie ein Forum "mit kirchlichem Profil und verbindlichem Dialog" vor. Was heisst das konkret?
Wenn die Kirche über eine Sozialethik verfügt und diese erst noch in verschiedenen Dokumenten verankert ist, dann müssen doch die Manager und Managerinnen davon Kenntnis erhalten! Dann muss die Kirchen auf den Davoser Podien so etwas wie eine "sozialethische Alphabetisierung" der Wirtschaft versuchen.

Und warum geschieht das nicht?
Weil die reformierte Kirche der Schweiz selber nicht weiss, was sie überhaupt will. Einerseits sagt sie, wir stehen auf der Seite der Armen. Anderseits gefällt sie sich in einer Moderatorenrolle. Doch beides zusammen geht nicht. Aber dahinter steckt vermutlich die unevangelische Angst, bürgerlich unmöglich zu werden. Man scheut den Konflikt mit diesen Wirtschaftspotentaten.

Ich bin überzeugt, dass anlässlich des Podiums mit Nestlé-Konzernchef Peter Brabeck die Gehälter der Top-Manager - oder das Gehalt dieses Top-Managers - nicht zur Sprache kommen. Und dabei gibt es doch im 2005 veröffentlichten Papier "Globalance - Christliche Perspektiven für eine menschengerechte Globalisierung" des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes den schönen Begriff der "Gier-Grenze". Der meint, dass es nicht nur ein Existenzminimum, sondern auch ein Existenzmaximum gibt, eben eine "Gier-Grenze". Wetten, dass in Davos kein Kirchenmensch darüber sprechen wird, obwohl man hier ein Gegenüber hätte, das man durchaus etwas ins Gebet nehmen könnte!

Es müsse in Zukunft "mehr Druck" auf das Weltwirtschaftsforum aufgebaut werden, meinen Kritiker wie Sie.
Die Kirche macht mit dem Open Forum das Gegenteil: Sie nimmt Druck weg. Sie will Hand in Hand mit dem WEF die Leute von der Strasse wegbringen, indem sie seichte Dialoge veranstaltet.

Wie wir das letzte Jahr beobachtet haben, finden lauter Schein-Dialoge statt, die überhaupt zu nichts führen. Die so genannte Wirtschaft ist mit Leuten vertreten, die sich dadurch in Szene setzen, dass sie kritischen Fragen virtuos ausweichen. Wie das diesjährige Open Forum angelegt ist, erwarte ich einmal mehr "das grosse Zappen durch die Weltprobleme", wie es die Neue Zürcher Zeitung vor einem Jahr formuliert hat. Nichts wird vertieft, nichts wird verbindlich.

Eine eher negative Vorbilanz…
Auf dem Programm stehen acht Podiumsdiskussionen, die notdürftig unter das Rahmenthema "Grenzen respektieren - überschreiten - verschieben" gezwängt werden. Man hätte sich jedoch besser auf ein einziges Thema beschränkt. Zum Beispiel auf das Thema Wasser, ausgehend von einem kürzlich von Kirchenvertretern Brasiliens und der Schweiz erarbeiteten Papier, das sich eindringlich gegen die Privatisierung des Wassers wendet.

Und das hätte man mit Leuten wie Peter Brabeck vertiefen können. Doch auf dem einzigen Podium, das sich mit der Wasserfrage befasst, ist die Kirche gar nicht vertreten. Die Kirchenleute schlagen sich in die Büsche, und das mutet doch eher peinlich an…

Der Publizist Willy Spieler (68) ist Redaktor von "Neue Wege. Zeitschrift des Religiösen Sozialismus" und lebt in Zürich. Der liberale Katholik nimmt gemeinsam mit der evangelischen Theologin Ina Praetorius (Wattwil SG) im Auftrag der Kommission für Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit der reformierten Gesamtkirchgemeinde Bern am Open Forum Davos in der Rolle als Beobachter teil.

Open Forum Davos www.sek-feps.ch/index2.php?idcatside=203
Homepage WEF www.weforum.org
Hintergrund zum Open Forum Davos 2005
Livenet-Bericht vom Open Forum Davos 2004

Autor: Josef Bossart

Datum: 24.01.2006
Quelle: Kipa

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