Den Tod studieren

«Perimortale Wissenschaft» und der Umgang mit dem Sterben

Die Universitäten entdecken das Sterben. Ab dem Wintersemester 2020/21 wird die Universität Regensburg den Studiengang «Perimortale Wissenschaft» anbieten. Fakultätsübergreifend wird es dabei um Wege im Umgang mit Sterben, Altern und Abschiednehmen gehen.
Sterbebegleitung - Frau an Krankenbett
Universität Regensburg

Wer noch nichts von «perimortal» gehört hat, muss sich nicht wundern. Es ist ein Kunstbegriff, der die Phase um den Tod herum bezeichnen soll. Dass dieser Lebens- bzw. Sterbensabschnitt jetzt Raum an der Universität und in der Forschung bekommt, liegt am katholischen Moraltheologen Rupert Scheule (50) und seinen Kollegen. Für ihn ist es klar, dass die Kirchen immer noch als «Kompetenzzentren für Sterben und Abschied, Tod und Trauer» gelten. Er unterstreicht gegenüber dem Sonntagsblatt: «Wir haben einen grossen weisheitlichen Schatz im Umgang mit diesen grossen Fragen.»

Masterstudiengang Sterben

Ab Wintersemester 2020/21 können um die 30 Bachelorabsolventen den neuen Masterstudiengang belegen. Gedacht ist er in erster Linie für Interessenten aus Pädagogik, Sozialer Arbeit, Medizin und Theologie – aber auch für andere Fachrichtungen. Auch die Anbieter sind breit und interdisziplinär aufgestellt. Die katholische Moraltheologie ist genauso an Bord wie Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften und neben der Universität die Palliativstation der Uniklinik und Verbände von Bestattern. Sie alle wollen das Sterben zum Thema der Forschung machen. Was ist ihre Motivation dabei?

Sterben als Zukunftsthema

Tatsächlich ist Sterben das Zukunftsthema in einer alternden Gesellschaft. In Deutschland sterben jährlich 900'000 Menschen. Seit 1972 werden deutlich weniger Menschen geboren als sterben. Nach Japan hat Deutschland inzwischen die zweitälteste Gesellschaft der Welt. Auch wenn wir immer älter werden, ist es mehr als eine platte Information, dass die absolute Sterberate der Menschen immer noch bei 100 Prozent liegt. Sterben betrifft jeden.

Genau hier setzt perimortale Wissenschaft an und denkt über eine ganzheitliche Betreuung am Lebensende nach – denkt überhaupt einmal übers Lebensende selbst nach. Dabei ist es unabdingbar, über die verschiedenen Fachbereiche hinweg zusammenzuarbeiten. Es geht eben nicht ums Klischee: «Es geht aufs Ende zu, jetzt ist der Pfarrer zuständig.» Sterben, Tod und Trauer werden als Einheit betrachtet und sollen «aus der Nische gesellschaftlicher Tabuisierung zurück in die allgemeine Wahrnehmung» integriert werden, wie es die Universität Regensburg beschreibt.

Sterben als menschlicher Normalzustand

Dass die Initiative von einem Theologen ausgeht, ist dennoch bezeichnend. Denn Sterben ist immer noch ein gesellschaftliches Tabu. Vor einigen Generationen hatte jeder Teenager bereits mehrere Todesfälle in seiner Familie und Umgebung hautnah miterlebt – und die Toten in der Regel auch gesehen. Heute findet das Sterben hinter verschlossenen Türen in Kliniken statt. Es passiert, aber es ist kein Teil unseres Alltags, unserer Lebenswirklichkeit mehr. Viele werden 40 oder 50 Jahre alt, bis sie zum ersten Mal an einem Sterbebett sitzen – in der Regel dem der eigenen Eltern.

Eine gewisse Normalität tut diesem Thema also gut. Aber eine Normalität, die über die Gestaltung und Verarbeitung der letzten Stunden von Menschen hinausgeht. Ein Psalmdichter drückt dies so aus: «Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind's achtzig Jahre; und worauf man stolz ist, das war Mühsal und Nichtigkeit, denn schnell enteilt es, und wir fliegen dahin. […] Lehre uns unsere Tage richtig zählen, damit wir ein weises Herz erlangen!» (Psalm Kapitel 90, Vers 12).

Sterben als Schlüssel zur Weisheit

Natürlich ist es nicht Ziel des neuen Studiengangs, diesen biblischen Ansatz eins zu eins umzusetzen. Doch es ist ein guter Schritt in Richtung Enttabuisierung des Todes. Und dazu gehört in jedem Fall auch das Reden über die Fragen, wie man mit dem Tod umgeht, wie man Sterbende begleitet, wie man Hinterbliebene tröstet – und immer wieder die Frage nach dem «Danach». Genau auf diese Fragen hat der christliche Glaube tragfähige Antworten zu bieten. Antworten, die weit übers Sterben hinausgehen. Und Antworten, die das Leben heute verändern.

Das wird auch in den USA deutlich, wo ein ähnlicher Studiengang bereits besteht. Dessen Dozentin, Norma Bowe, besucht mit ihren Studierenden auch Bestatter, Hospize oder eine Obduktion. Es geht ihr darum, Sterben zu lernen. Als Folge beschreibt die Autorin Erika Hayasaki, «dass nach dem Seminar viele der Mittzwanziger ihr Leben änderten. Sie trennten sich von ihren Partnern, wechselten ihr Studienfach. Oder riefen einfach nur ihre Eltern an.» Sie tun also all das, was vielen erst dann einfällt, wenn es eigentlich zu spät ist. Der evangelische Theologe Fricke aus Regensburg freut sich darüber: «Dann ist aus der Kunst des Sterbens eine Kunst des Lebens geworden.»

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Datum: 31.10.2019
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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