Was bekomme ich dafür?
Im Sommer habe ich mit meiner Kollegin eine Kinderbibelwoche veranstaltet. 40 Kinder aus Northeim, 15 Mitarbeitende, es ist quirlig und laut, lustig und bewegend, und am Ende sind wir alle platt. Im Laufe meines Pastorinnenseins habe ich etwa 25 Kinderbibelwochen durchgeführt. Jedes Mal war es viel Aufwand, viel Stress, viel Freude. War es das wert? Wirkt es bei den Kindern, bei ihren Eltern?
Bei dieser Frage denke ich an Yvonne. Sie war bei meiner allerersten Kinderbibelwoche. Wir erzählten von Simon, er war Fischer auf dem riesigen See Genezareth und wurde ein Freund von Jesus. Jesus hat ihm seinen zweiten Namen Petrus gegeben. Später wurde er deshalb oft nur Petrus genannt. Als Yvonne einen Sohn bekam, hat sie ihn Simon genannt, wegen Simon Petrus aus der Bibel. Bei seiner Taufe erzählte sie, warum sie Simon christlich erziehen will. Sie sagte: «Ich war zehn. Ich bin nicht christlich aufgewachsen. Bei mir zu Hause war Chaos, wir waren sechs Geschwister von vier Vätern. Mein Stiefvater war Alkoholiker. In den Ferien besuchte ich eine Kinderbibelwoche, die führte die Pastorin durch. Ich war begeistert. Die Geschichten über Simon Petrus fand ich so spannend. Auch die fetzigen Lieder gefielen mir. Ich freundete mich mit dem Klavierspieler und seiner Frau an. Bei ihnen erlebte ich Wärme und Liebe. Sie wurden mein zweites Zuhause. Durch sie lernte ich Gott kennen. Am letzten Tag der Kinderbibelwoche bekam ich eine Bibel geschenkt. Ich freute mich riesig. Noch heute lese ich darin. Ich will Simon ermöglichen, Gott zu finden. Denn Jesus ist ein Halt fürs Leben.»
Grandiose Langzeitwirkung
Solche Rückmeldungen machen mich glücklich. Was für eine grandiose Langzeitwirkung! Ich finde meine Arbeit so sinnvoll. In der Psychotherapie sind in den letzten Jahren zunehmend Studien und Bücher über Sinn erschienen. Unter den Top Ten dessen, was Menschen Sinn gibt, steht ganz oben: etwas von bleibendem Wert tun. An zweiter Stelle: etwas für andere Menschen tun. Und an dritter Stelle: Religiosität. Der Glaube an Gott spielt dabei eine wichtige Rolle.
Genau diese drei Punkte zeichnen Christen aus: Sie glauben an Gott. Sie setzen sich für andere ein. Und viele tun etwas von bleibendem Wert. Man denke nur an Albert Schweitzer und sein Krankenhaus in Lambarene. An Kunstwerke wie «Das letzte Abendmahl» von Leonardo da Vinci oder den «Messias» von Georg Friedrich Händel. An die Kirchtürme, die das Stadtbild vieler Orte prägen.
Sich ein Denkmal gesetzt
Als ich eine neue Pfarrstelle in einem Dorf übernahm, war der Weg um die Kirche mit weiss-rotem Flatterband abgesperrt. «Vorsicht: herabfallende Ziegel» stand auf einem Schild. Die Kirche war komplett renovierungsbedürftig. Wir haben dann einen Förderverein gegründet, Anträge geschrieben, Gelder eingeworben. Zusammen mit unserem Baubeauftragten kletterte ich auf Gerüsten herum und diskutierte mit Heizungsbauern über die effektivste Kirchenheizung. Nicht gerade meine Kernkompetenz, aber als Pastorin musste ich bei solchen Entscheidungen dabei sein. Nach sechs Jahren hatten wir die Kirche komplett erneuert. Das war eine anstrengende Zeit – und gleichzeitig gab es eine Aufbruchstimmung in der Gemeinde, deren Schwung viele in Bewegung setzte. Wir veranstalteten Glaubenskurse und Kindermusicals. Menschen fanden zum Glauben oder erneuerten ihn. Viele engagierten sich, der Gottesdienstbesuch wuchs. Hat es sich gelohnt? Aber so was von. Wenn ich heute an diesem mit anthrazitfarbenen Schiefern gedeckten Kirchturm mit dem goldenen Löwen auf der Spitze und der wunderschönen alten Uhr vorbeifahre, wird es mir warm ums Herz. Er steht für mich für äussere und innere Erneuerung in der Kirchengemeinde. Ich habe viel eingesetzt – und zugleich fühle ich mich reich beschenkt.
Es fällt mir darum schwer zu verstehen, was Petrus Jesus einmal fragt: «Was bekommen wir dafür, dass wir alles aufgegeben haben und dir nachfolgen?» Ich finde das fast kindisch. Wie wenn ein Kind fragt: Was bekomme ich, wenn ich mein Zimmer aufräume? Geht es denn im Glauben um Lohn für erbrachte Leistung? Meine Arbeit für Gott trägt ihren Lohn doch schon in sich. Ich tue etwas von bleibendem Wert, und das gibt meinem Leben Sinn. Studien haben herausgefunden: Sinnerfüllte Menschen sind zuversichtlich und optimistisch. Sie haben einfach mehr Lebensfreude. Ausserdem: Leonardo, Händel, Albert Schweitzer – die haben sich doch in dieser Welt schon ein Denkmal gesetzt. Und im kleinen Rahmen auch ich mit meinem Kirchenumbau.
Mitspracherecht im Himmel
Aber klar, ich habe gut reden. Ich lebe im freien Europa und habe nichts zu leiden wegen meines Glaubens. Im Gegenteil: Menschen interessieren sich dafür, sind neugierig. Ich darf predigen, im Radio von Gott erzählen, Vorträge halten, Bücher schreiben. Oder eben diesen Artikel. Ich werde nicht verfolgt und nicht verspottet. Zu Zeiten von Petrus und für die Christen im römischen Reich war das ganz anders. An Jesus zu glauben, war lebensgefährlich. Das ist es auch heute in manchen Ländern. Dass manche verfolgte Christen sich fragen: «Lohnt es sich, am Glauben dranzubleiben?», kann ich sehr gut verstehen. Jesus geht dann auch sehr liebevoll auf die Frage von Petrus ein. Was ist der Lohn des Glaubens? Jesus sagt: «Ich versichere euch: Wenn Gott die Welt neu macht und der Menschensohn in all seiner Herrlichkeit auf dem Thron sitzen wird, dann werdet ihr ebenfalls auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten, weil ihr mir nachgefolgt seid.»
Offenbar war das für die Menschen zur Zeit von Jesus ein erstrebenswertes Ziel. In einer Welt, in der Israel von den Römern beherrscht wurde, oder heute in Ländern, wo die Bevölkerung despotisch unterdrückt wird, da wünschen Menschen sich Autonomie, Freiheit, mitbestimmen zu dürfen. Im Himmel wird es keine Willkürherrschaft geben. Ihr zählt, und ihr dürft mitreden, sagt Jesus.
Unser Glaube hat diese Ewigkeitsperspektive. Jesus malt den Himmel mit leuchtenden Farben. Es ist da wie bei einer Hochzeit, wie eine rauschende Party. Geborgen bei Gott, ohne Leid und Tränen, ohne Krebs und ohne Krieg. Bei jeder Beerdigung sage ich am Grab: «Wir hoffen auf unseren Herrn Jesus Christus, der spricht: 'Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.'» Und jedes Mal spüre ich, wie viel Kraft diese Worte haben.
Keine Lohnbuchhaltung
Bei Trauergesprächen erzählen mir Angehörige oft, was für ein guter Mensch der oder die Verstorbene war: «Sie war immer für die Familie da.» – «Wenn man Hilfe brauchte, war er zur Stelle.» Landläufig herrscht bei vielen die Vorstellung, dass Gott so eine Art Lohnbuchhaltung mit Soll und Haben führt und man sich den Himmel mit guten Taten «verdienen» könne. Aber so ist es nicht. Gott sei Dank. Denn wer weiss, ob es am Ende wirklich reichen würde? Es könnte ja sein, dass es dann heisst: zu wenig. Gewogen und zu leicht befunden. Tatsächlich gibt es in alten jüdischen Schriften die Vorstellung, dass der Mensch im Endgericht gewogen wird.
Aber das Tolle ist: Dann nimmt Jesus mich an der Hand und stellt sich neben mich, auf meine Seite der Waagschale. Was ich versäumt habe, das gleicht er aus. Was ich vermasselt habe, dafür steht er ein. Und so hat meine Waagschale bei Gott auf jeden Fall das richtige Gewicht.
Das befreit mich von allem christlichen Leistungszwang. Ich gebe mein Bestes, aber das bringt mich nicht in den Himmel. Muss es auch nicht. Denn es liegt nicht an meinen Leistungen. Es liegt nicht an dem, was ich für Gott tue. Das hat seinen Lohn oft schon in sich. Es liegt allein an Jesus. Er hat es versprochen, und daran halte ich mich fest. Schon allein für diese Hoffnung lohnt sich der Glaube.
«Das Kreuz muss mit»
Ich habe das manchmal an Sterbebetten erlebt. «Nachdem Sie mit dem Opa gebetet hatten, wurde er ganz ruhig und konnte dann friedlich einschlafen.» – «Sie haben mit unserer Mutter gesprochen und mit ihr gebetet. Danach konnte sie loslassen und gehen.» Weil Gott die Menschen berührt hat und sie sich in seine Arme fallen lassen konnten.
Manchmal verschenke ich an Kranke Handschmeichlerkreuze. Menschen brauchen ja oft etwas zum Anfassen. Dieses Kreuz mit der Hand umschliessen, das hilft, darauf zu vertrauen: Meine Kraft ist Jesus. Es verstärkt das Gefühl: Jesus ist hier, bei mir. Im Leben und im Sterben. Kürzlich besuchte ich eine Frau im Krankenhaus. Sie hatte einen Schlaganfall, konnte nicht mehr gut sprechen. Am Schluss gab ich ihr das Kreuz in die Hand und betete mit ihr das Vaterunser. Ein paar Tage später sollte sie in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. Die Schwiegertochter sortierte alles aus, was sie dort nicht brauchte, da sagte die Patientin auf einmal in sehr bestimmtem Ton: «Das Kreuz muss mit!» Es hat mich sehr berührt, als die Schwiegertochter mir das später erzählte. Denn das ist alles, was wir brauchen: dass wir in Freud und Leid und in unserer letzten Stunde sagen: Das Kreuz muss mit.
Luitgardis Parasie ist Pastorin und Autorin und lebt in Northeim. Ähnliche Impulse gibt es im Magazin LEBENSLAUF. Infos zum günstigen Jahresabogutschein des Magazins findest du hier.
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Datum: 26.10.2025
Autor:
Luitgardis Parasie
Quelle:
Magazin Lebenslauf 06/2025, SCM Bundes-Verlag