Praktizierte Nächstenliebe der Amish versetzt Amerika in Staunen

Die Amishen versuchen die Bibel konsequent im Alltag umzusetzen.

Fünf Mal ist es an Schulen in Nordamerika seit Ende August zu tödlichen Gewalttaten mit Schusswaffen gekommen. Das Massaker in der vergangenen Woche an der kleinen Schule von Nickel Mines im US-Bundesstaat Pennsylvania schockte die amerikanische Öffentlichkeit dabei besonders.

Fünf Tote forderte der Anschlag – die höchste Opferzahl dieser Serie. Doch dies ist nicht der Grund, für die besondere Aufmerksamkeit, welche die Öffentlichkeit dieser Tragödie schenkt. Die ermordeten Kinder gehörten der religiösen Minderheit der Amish an. Die Nachkommen europäischer Glaubensflüchtlinge des 17. Jahrhunderts lehnen Waffen wie Militärdienst ab, sie gelten geradezu als Musterbeispiele der Gewaltlosigkeit. Bewusst haben sie sich entschieden, auf jeden technischen Fortschritt – sei es Elektrizität oder Telefon – zu verzichten.

Vergebungsbereitschaft weckt Bewunderung

Die Art und Weise, wie die Angehörigen dieser Minderheit mit der Katastrophe umgehen, erweckt im Land der überfüllten Gefängnisse und der in vielen Bundesstaaten praktizierten Todesstrafe Verwunderung. Für die Amish steht Vergebung im Mittelpunkt, was sie einer staunenden Öffentlichkeit demonstrieren. Im Sprachschatz der Amish, die eine altertümliche Form von Deutsch sprechen, kommt der Begriff "Rache" nicht vor. "Diese Menschen kennen keinen Hass und kein gewaltsames Ausleben von Konflikten", sagt Larry Hertzog, der im kleinen Ort Smyrna, ganz in der Nähe der Amish-Gemeinden, die Polizei-Station leitet.

Wenn bei ihnen ein Jugendlicher problemanfällig zu sein scheine, kümmere sich die ganze Gemeinde um ihn und gehe auf seine Ängste und Sorgen ein. In all seinen vielen Dienstjahren, so erinnert sich Hertzog, habe es mit den Amish nie Probleme gegeben.

In Lancaster County leben etwa 25.000 Amish. Den Auftrag der Nächstenliebe nehmen sie wörtlich. Mitglieder der Gemeinde haben die Witwe des Mörders, der sich nach der Bluttat selbst tötete, aufgesucht, sie umarmt und zu einer Spendenaktion für sie und ihre drei Kinder aufgerufen, die ebenso unschuldig sind wie Anna Mae Stolzfus, Marie Liz Miller, Lena Miller, Naomie Rose Ebersol und Marian Fisher, die toten Amish-Kinder. Als der Mörder am Wochenende zu Grabe getragen wurde, waren fast die Hälfte der Anwesenden Mitglieder der Amish.

Diskussion um Schusswaffenbesitz

In den USA ist als Folge des Massakers erneut die Diskussion über die Rolle der Schusswaffen im amerikanischen Selbstverständnis aufgeflammt. Kein anderes Volk auf der Welt ist statistisch gesehen derart bis an die Zähne bewaffnet. Intensiver wird in den USA aber auch die Frage diskutiert, warum immer wieder Schulen zum Schauplatz derart ungerichteter Gewalttaten werden. Eine Erklärung wird darin gesehen, dass Anschläge auf Kinder ein grösseres kollektives Entsetzen auslösen, als wenn andere Tatorte gewählt würden.

Kinder der Amish besonders schutzlos

Unter allen amerikanischen Kindern waren die der Amish besonders schutzlos: Ihre Kindheit vollzieht sich behütet vor jeder Form der Gewaltdarstellung. Fernseher, vor denen andere amerikanische Kinder jede Woche mehrere Stunden lang Gewaltdarstellungen konsumieren, gibt es in ihrer Welt ebenso wenig wie brutale Videospiele.

Für das Miteinander der Amish mit den "English" – so nennen die Angehörigen der Gemeinschaft die anderen Mitbürger – wird das Massaker keine Zäsur darstellen. Ganz im Gegenteil, glaubt Larry Hertzog: "Sie werden uns noch mehr Respekt, noch mehr Nächstenliebe entgegenbringen." Und wie der Polizist so fragen sich viele Amerikaner, welcher Teil ihrer Gesellschaft der zivilisierte und welcher der zurückgebliebene ist.

Mehr zum Thema: Amisch kommt von Amman

Datum: 11.10.2006
Quelle: Kipa

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