Sollen individuelle Werte über dem Lebensrecht stehen?
360 Kinder wurden in Deutschland seit der Eröffnung der ersten Babyklappe im Jahr 2000 bis 2009 in einer solchen Einrichtung abgegeben. Doch die Babyklappen stehen unter permanenter Kritik, weil die betroffenen Kinder nie wissen, wer ihre Mutter war. Der Deutsche Ethikrat hat unlängst empfohlen, aus diesem Grund die Babyklappen zu schliessen. In Deutschland zählt man über 90 solcher Einrichtungen. Daneben gibt es die Möglichkeit für Mütter, das Kind «anonym» zu gebären, also ohne die eigene Identität preiszugeben, und zur Adoption freizugeben. Beides wird vom Ethikrat und andern Kritikern hinterfragt.
Regierung will das Dilemma auflösen
Um dem Dilemma zu entgehen, dass man die individuellen Rechte des Kindes über sein Lebensrecht stellt, hat die deutsche Bundesregierung jetzt per Gesetz die «vertrauliche Geburt» möglich gemacht. Ab 2014 können Mütter ohne Namensangabe in einer Klinik ihr Kind gebären und zur Adoption frei geben. Allerdings müssen sie dabei ihre Identität beim Bundesamt für Familie hinterlegen. Das Kind hat dann ab dem 16. Altersjahr das Recht, die Identität der Mutter zu erfahren. Widerspricht die Mutter, muss ein Familiengericht entscheiden.
Da sich die Kirchen insbesondere für die Babyklappe eingesetzt haben, soll es diese trotz dem Widerstand von Ethikrat und Kinderschutzorganisationen und gegen den Willen der Familienministerin weiterhin geben.
Der ethische Konflikt
Dass es diese Möglichkeiten weiterhin geben muss, zeigt zum Beispiel die Arbeit des christlichen Vereins Kaleb in Dresden. Er begleitet anonym gebärende Frauen und offeriert ihnen die Möglichkeit, ihren Namen bei einem Notar zu hinterlegen. Doch nur jede fünfte Frau geht darauf ein. «Wir hätten uns nicht gemeldet, wenn wir gewusst hätten, dass wir etwas ausfüllen müssten», zitiert eine Kaleb Sozialarbeiterin schwangere Mütter. Was wäre dann aber mit ihren Kindern geworden? Muss es nicht letztlich darum gehen, möglichst vielen der unerwünschten Kinder das Leben zu ermöglichen? Zählt das Wissen um ihre Herkunft mehr als ihr Recht auf Leben? Ethiker winden sich um diese Frage, indem sie geltend machen, man wisse nicht schlüssig, wie sich die Mütter ohne die angebotenen Möglichkeiten entscheiden würden. Befinden sie sich vielleicht selbst im Wertekonflikt, der längstens gesellschaftlich sanktioniert ist, seit es die Fristenlösung gibt, welche das Selbstbestimmungsrecht der Mütter über das Lebensrecht des Kindes stellt? Hier ist ein Umdenken der Verantwortungsträger in Politik und Gesellschaft dringend angesagt.
Datum: 24.04.2013
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Der Sonntag