«Für Juden und Muslime würde das Leben unzumutbar erschwert»
Das Kölner Landgericht sorgte im letzten Juni für Aufsehen: Die Beschneidung eines Jungen wurde als Körperverletzung gewertet. Daraufhin folgten massive Proteste von Juden und Muslimen. Seither wird in Deutschland diskutiert und gestritten: Soll die Beschneidung verboten werden? Der Bundestag stimmt heute Mittwoch darüber ab. Der Vorschlag der Bundesregierung sieht vor, den bei Juden und Muslimen üblichen Eingriff von Geburt an zu ermöglichen. Daneben liegt den Parlamentariern ein alternativer Entwurf von Oppositionspolitikern vor, der Beschneidung erst ab dem 14. Lebensjahr erlaubt.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wirbt unmittelbar vor den abschliessenden Beratungen für die Regierungspläne. Es solle gewährleistet werden, was in Deutschland für Juden und Muslime immer möglich gewesen sei, sagte die Ministerin am Mittwochmorgen im ZDF-«Morgenmagazin»: «Es gibt keinen Staat, in dem Beschneidung verboten ist.» Aus den Reihen von Union und FDP wird mit breiter Zustimmung für den Entwurf der Regierung gerechnet. SPD, Grüne und Linkspartei sind bei dem Thema gespalten. In einem Gespräch mit der «Neuen Osnabrücker Zeitung» kritisierte Unions-Fraktionsvize Günter Krings (CDU) den Antrag aus der Opposition: «Damit würde jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland unzumutbar erschwert.»
«Man darf über die Juden schimpfen»
Die Beschneidungs-Debatte hat nach Ansicht des Mainzer Rabbiners Julian-Chaim Soussan die öffentliche Wahrnehmung des Judentums in Deutschland verändert. «Man hat von Rechts wegen die Erlaubnis bekommen, auch mal über die Juden zu schimpfen», sagte er dem Evangelischen Pressedienst. «Zum ersten Mal kann man Vorwürfe gegen Juden erheben, ohne als Antisemit abgestempelt zu werden.» Von dieser Möglichkeit machten nun verschiedene Kräfte Gebrauch. Viele Rabbiner-Kollegen seien angezeigt worden, weil sie angekündigt hatten, auch weiterhin beschneiden zu wollen.
Juden und Muslime lassen ihre Söhne aus religiösen Gründen beschneiden, Christen nicht. Die drei Weltreligionen berufen sich auf unterschiedliche Quellen. In der Tora, der religiösen Schrift der Juden, wird die Beschneidung als Ritual beschrieben, das den Bund mit Gott begründet. Gott sagt zu Abraham: «Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden. Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch.» (Genesis 17,10 ff.) Vorgeschrieben wird die Beschneidung für den achten Tag nach der Geburt. Dies wird bei den Juden bis heute praktiziert, es sei denn, das Kind hat bei der Geburt eine Krankheit, die das verbietet.
Paulus beendete Beschneidung bei Christen
Im Koran ist die Beschneidung nicht ausdrücklich erwähnt. Sie wird aber als Teil der sogenannten Sunna, der vom Propheten Mohammed überlieferten Tradition, betrachtet. Einen festen Zeitpunkt für die Beschneidung gibt es im Islam nicht. Sie kann bis zur Geschlechtsreife stattfinden. Im frühen Christentum tauchte die Frage auf, ob bekehrte Nicht-Juden beschnitten werden sollen. Im Neuen Testament sagt der Apostel Paulus, dass weder Beschnittensein noch Unbeschnittensein für den Glauben etwas bedeute (Gal. 6,15). Die Tradition der Beschneidung wurde damit für Christen beendet.
Update:
Der deutsche Bundestag hat am Mittwoch das Beschneidungsgesetz beschlossen. Die Mehrheit der Parlamentarier stimmte für den Entwurf der Bundesregierung, der religiös motivierte Beschneidungen von Jungen von Geburt an erlaubt.
Mehr zur Beschneidungs-Debatte:
«…dann werden die Juden Europa einfach verlassen»
Briefwechsel zwischen den Präsidenten von Deutschland und Israel
Datum: 12.12.2012
Autor: Tobias Müller
Quelle: Livenet / epd