USA: Gottesdienst im Zeitalter der Fünf-Dollar-Gallone

US-Christen zeigen sich angesichts der hohen Benzinpreise erfinderisch.
Gebet an einer Tankstelle.
US-Kirche mit Parkplatz.
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Der morgendliche Berufsverkehr auf der grossen, nach Washington führenden Verkehrsachse war so dicht wie immer. Doch an diesem Sommermorgen war etwas anders als sonst in der «Rush hour». An der Tankstelle traf sich eine Gruppe von Bürgern, stieg aus ihren Autos und versammelte sich um eine der Zapfsäulen. Die Männer und Frauen fassten sich bei den Händen, senkten den Blick zu Boden. Und begannen zu beten.

Der Reverend ihrer Kirchengemeinde, der die frühmorgendliche Andacht unter Motorgedröhn und Hupkonzert leitete, erhob seine Stimme. Er flehte den Herrn an, seine Kinder zu behüten vor den Folgen eines Übels, das überall im Lande die Menschen heimsuche und in Verzweiflung stürze.

Blick nach oben

Des Reverends Blick ging nach oben - nicht nur, weil seine Gemeinde von dort Hilfe erwartete, sondern weil sich die Heimsuchung über ihren Köpfen, in dicken Lettern vor dem blauen Morgenhimmel abhob. Diese Schrift kündete von Unheil: 4,29. Es ist der Preis einer Gallone (ca. 3,8 Liter) Normalbenzin, und er steht für ein Übel, unter dem seit Monaten ganz Amerika stöhnt mit Ausnahme der Mineralölkonzerne, die Rekordgewinne verzeichnen.

Der kometenhafte Anstieg der Benzinpreise ist ein wahres Menetekel in einem Land, wo ein Leben ohne Auto fast undenkbar ist. Viele Amerikaner haben kaum Aussicht, auf andere Art zur Arbeit zu kommen, ihre Kinder zu Freizeitveranstaltungen zu bringen oder Freunde zu treffen.

Beten um niedrige Benzinpreise

So sind Zusammenkünfte wie jene im frühmorgendlichen Washington nichts Ungewöhnliches: Immer häufiger sieht man gläubige Amerikaner, die sich an Tankstellen versammeln und um ein Ende dieser wirtschaftlich so bedrohlichen Entwicklung und um ein Fallen der Benzinpreise bitten. Die Hoffnung auf göttlichen Beistand in der Sprit-Krise ist nicht nur Beleg für die tiefe Religiosität vieler US-Bürger. Sie zeigt auch, wie gering die Erwartung ist, dass Politiker einen Ausweg aus dem Dilemma finden.

Auch für Kirchen ein Problem

Die hohen Benzinpreise sind auch für Amerikas Kirchen ein gravierendes Problem. Schliesslich können nur in wirklich städtischen Gemeinden die Gläubigen zu Fuss oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Gottesdienst kommen, wie beispielsweise in der Innenstadt von Washington, die über ein effizientes Netz von U-Bahn- und Buslinien verfügt.

Drei Veranstaltungen pro Abend

Viele Kirchengemeinden zeigen sich im Angesicht der Krise höchst einfallsreich. So hat die St. Stephen Baptist Church in Louisville (Kentucky) mit ihren 14‘000 Mitgliedern einen radikalen Einschnitt im Terminkalender vorgenommen. Das Gros der Veranstaltungen von Chorproben bis zu Bibellesungen wurde auf den Mittwochabend konzentriert. So können Gläubige drei Veranstaltungen an einem Abend besuchen, anstatt dreimal pro Woche eine kostenträchtige Anfahrt in Kauf zu nehmen.

Tankgutscheine

In Eastlake (Ohio) verteilt eine Kirche an Bedürftige, die zum Gottesdienst kommen, 25 Dollar-Gutscheine, die an der Tankstelle eingelöst werden können. In Flushing (Michigan) habe Gott, so berichtet die «Washington Post», der Reverend Mary Lloyd von der Community Hope Church of God eingegeben, jedem erstmaligen Teilnehmer eines Gottesdienstes einen 5-Dollar-Benzingutschein auszuhändigen - ein Angebot, vom dem seit Mai 36 Gläubige Gebrauch gemacht hätten.

In Bedrängnis

Die katholische Diözese von Providence hat aus einem Wohltätigkeitsfond mehr als 17‘000 Dollar zur Verfügung gestellt, mit dem einkommensschwächeren Gemeindemitgliedern Tickets für die örtlichen Buslinien gesponsert werden sollen. Der Sprecher der Diözese, Mark Guilfoile, machte deutlich, dass Vorstellungen davon, wer gering- und wer besserverdienend sei, durch die Krise ins Wanken geraten. Mit einem Einkommen von 50‘000 Dollar jährlich gerate man inzwischen durchaus in Bedrängnis, wenn damit drei oder vier Kinder versorgt werden müssten.

Busverkehr zur Kirche

Viele Kirchengemeinden haben neue Busse gekauft oder geleast, um Gläubigen die Fahrt zur Kirche zu ermöglichen. Nicht überall kann man sich so behelfen wie bei der Lone Star Cowboy Church in Texas. Dort standen bislang drei bis vier Pferde während des sonntäglichen Gottesdienstes auf dem Parkplatz angebunden. Inzwischen sind es 15 bis 20 - immer mehr Gläubige in der ländlichen Region kommen auf die traditionelle Weise des amerikanischen Westens zur Predigt. Mit einem PS.

Datum: 24.07.2008
Quelle: Kipa

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