Filmreise in die mystische Innerschweiz
Edwin Beeler kennt Geschichten um «Arme Seelen» aus seiner eigenen Kindheit. Als Kind war er Ministrant in der Katholischen Kirche. Seine Verwandten hätten ihn immer wieder aufgefordert: «Bete für die armen Seelen.»
Seine Erfahrungen aus der Kindheit haben ihn zu diesem Thema motiviert: «Meine Wurzeln liegen in dieser Welt. In den 70er-Jahren habe ich mich davon abgenabelt, aber jetzt hat es mich wieder eingeholt», erklärte der Regisseur. Beeler zitiert den französischen Schriftsteller und Regisseur Jean Cocteau: «Filme machen ist dem Tod bei der Arbeit zuschauen.» Für die im Film interviewten Menschen gehört der Tod zum Leben, ist selbstverständlicher Teil ihres Alltags.
«Keine biblische Lehre»
Für urban geprägte Menschen wirkt die Volksfrömmigkeit dieser Menschen auf den ersten Blick fremd. Als der Journalist und Theologe Erwin Koller den Film «Arme Seelen» an der Filmvorführung vom 16. Januar 2011 in Zürich vorstellte, wies er darauf hin, dass die in der katholischen Volksfrömmigkeit verbreitete Lehre von den unerlösten Seelen «keine biblische Lehre» sei. Sie gehe vielmehr auf den christlichen Gelehrten Origenes zurück.
«Vom Nachesäge lersch lüüge»
Der in der Innerschweiz verbreitete Volksglaube, wo «Arme Seelen» solange an ihren Wirkungsstätten wandeln bis sie von ihren Sünden erlöst sind, wirft Fragen auf. Diese Kritik bringt der Regisseur durch Sepp Stadelmann auch in den Film ein. Mit zum Teil ironischen Kommentaren räumt Stadelmann ein, dass er «Geistergeschichten» nur vom Hörensagen her kenne und fügt an: «Vom Nachesäge lersch lüüge!» Es könne auch sein, dass ein Marder und nicht ein Geist die Dinge im Estrich durcheinander gebracht habe.
Film als Zeitdokument
Man würde dem Film jedoch Unrecht tun, wenn man die Geschichten als Lügengeschichte abtun würde. Sie wirken selbst auf skeptische Zuschauer glaubwürdig. Auch für Edwin Beeler stehen die Menschen «mit beiden Füssen auf dem Boden». Er habe «die Erfahrung gemacht, dass diese Menschen sehr mit dem Leben verbunden und in ihrem Alltag ‚geerdet‘ sind». Als Historiker verstehe er seinen Film als «Zeitdokument» und eine «ethnologische Reise» in bestimmte Gebiete der Innerschweiz, «wo es noch allerletzte Reste einer Erzähltradition gibt, die tief in der Welt von Sagen und Brauchtum der katholischen Mentalität wurzelt».
Über eigene Vergänglichkeit nachdenken
Der Film «Arme Seelen» geht jedoch weit über die katholische Volksfrömmigkeit hinaus und fordert dadurch auch kritische Menschen zum Nachdenken heraus. Ruhige Sequenzen mit eindrücklichen Landschaftsaufnahmen geben Raum, über den eigenen Tod und die eigene Vergänglichkeit nachzudenken. Zu Beginn des Films ist im Hintergrund ein Text aus dem elften Kapitel des Johannesevangeliums zu hören: «Jesus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.»
Glaube als Vertrauen
Mit diesem Vertrauen an einen Gott, der über den Tod hinaus Hoffnung gibt, endet der Film auch: Die beiden Älpler Josef Stadler und Remigi Bissig philosophieren zusammen über den Glauben: «Mit dr Frömmeni (mit dem Frommsein) hat der Glaube nichts zu tun.» Es folgt eine kurze Pause, wo beide nachdenken. «Nein mit dem Vertrauen. Vertraue auf den Herrn.»
Für mich als «Städter» ist «Arme Seelen» trotz vieler kritischer Fragen zur katholischen Volksfrömmigkeit ein ruhiger, sehenswerter Film, der zum Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit und zur Hoffnung geradezu herausfordert.
Zum Thema:
Kinodaten des Films «Arme Seelen»
Datum: 18.01.2011
Quelle: Livenet.ch