Das Musical "Jesus Christ Superstar" ragt unter den populären neueren Deutungen der Passionsgeschichte heraus. Ein ganz menschlicher Jesus, von einer attraktiven Maria Magdalena angehimmelt und umsorgt, von seinen Anhängern zum Superstar stilisiert, doch angesichts seiner Feinde zunehmend unsicher und verzagt: Das Werk von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice war und ist eine Provokation. Besonderen Anstoss erregte, dass die Rockoper, 1972-78 in London ununterbrochen gespielt, den Verräter von Jesus neu zu deuten suchte - lange vor dem Wirbel 2006 um die apokryphe Schrift, die mit Judas in Verbindung gebracht wird. Die Auseinandersetzung mit der rätselhaften Gestalt des Verräters war auch für Helga Wolf, die in Thun das Musical zum zweitenmal inszeniert, ein "Spezialkapitel". Denn Judas ist für Webber und Rice der Gegenspieler von Jesus, der es besser wissen will, nicht einfach der Bösewicht. Im Gespräch mit Livenet betont Wolf, das Musical sei "sehr stringent nach der Bibel geschrieben", aber kein Passionsspiel. Die Ideale der Hippiebewegung und ihre humanistische Utopie der Gewaltlosigkeit stehen im Hintergrund. Nach Webber gelte es, den Stoff ins Aktuelle zu übersetzen - und da findet Wolf reichlich Parallelen: Pilatus ist ein strafversetzter Beamter, der mit der Sache nichts zu tun haben will; Herodes der Völlerei verfallen "wie Siemens-Manager, die sich Flüge nach Rio genehmigen und nur ihre eigenen Interessen kennen". Helga Wolf stammt aus einer Familie praktizierender Katholiken. Sie hat die Evangelien intensiv studiert, aber auch neuere Literatur, bis hin zum Judasbuch des Auferstehungsleugners Lüdemann, gelesen. Das Bühnenbild kombiniert vor der grandiosen Thunersee-Alpen-Landschaft die Weite der Arena (Öffentlichkeit) mit vier einengenden Wachttürmen (Bespitzelung). Dramatisch in Szene setzen will Wolf den manipulierten Umschwung in der Volksmeinung: vom Jubel beim Einzug in Jerusalem zum "Kreuzige ihn!" vor Pilatus. Die Kreuzigung selbst, das Aufrichten des Kreuzes mit dem Gefolterten, mag die Regisseurin nicht zeigen - sie hat mit ihrem Team eine kreative Variante gefunden, die sie vier Wochen vor der Première nicht verrät. Was macht Jesus zum "Superstar"? Er muss sich dadurch abheben, "dass er mehr weiss als die andern. Er ist geistig weiter", sagt Wolf - der Schwierigkeit wohl bewusst, dies auf der Musicalbühne zum Ausdruck zu bringen. Das Musical von Webber und Rice blendet die göttliche Seite von Jesus und seine Beziehung zum Vater im Himmel aus. Er vertreibt die Händler aus dem Tempel, tut aber kein Wunder und erleidet den Tod als Unterlegener. Ob er damit in einer Zeit, die sich dem Übernatürlichen wieder öffnet, noch der Superstar ist? Die Thuner Aufführung des Musicals wird mit der Show gleichwohl genug Stoff zum Nachdenken liefern - denn Jesus fasziniert auch noch, wenn er auf Superstar reduziert wird. Jesus Christ Superstar" auf der Thuner Seebühne: Alle Infos und Tickets Vieldeutiger Judas
"Kein Passionsspiel"
Ebenen des Konflikts
Der Superstar - unterwegs ans Kreuz
Datum: 04.06.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch