Eine sichere Gesellschaft braucht mehr als Kampfflugzeuge
«Es gibt keine Sicherheit ohne Freiheit», lautet eine Kernthese des emeritierten Westschweizer Theologieprofessors Shafique Keshavjee. Der Einzelne und die Gemeinschaft müssten von allem befreit sein, was diese Freiheit verhindere. Dieser Gedanke sei zutiefst in der jüdisch-christlichen Tradition enthalten: «Der Gott der Bibel befreit von Unterdrückung und von der Macht des Todes. Doch diese Freiheit ist zerbrechlich, sie wird unentwegt von aussen (Spannungen und Konflikte ...) und von innen (Ängste, Neid, Hass, Zwist, Unwissen und Vorurteile) bedroht.»
Sicherheit und Verantwortung
Wenn eine Gesellschaft aber in echter Freiheit leben wolle, brauche es eine Entwicklung dieser Freiheit – hin zu «mehr Liebe und mehr Verantwortung». Shafique Keshavjee nannte dazu die Stichworte «Zehn Gebote, Bergpredigt und Menschenrechte». Die Entwicklung des Menschen zur Freiheit sei das grosse Thema von Moses und den Propheten, Jesus und den Aposteln gewesen. Ausserdem habe sich in der jüdisch-christlichen Tradition «das Wachstum der Freiheit in gewachsener Liebe und Verantwortung, insbesondere gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft» konkretisiert.
Sicherheit und Vertrauen
Sicherheit ist gemäss der Bibel mit weiteren wichtigen Begriffen verbunden: Sie öffnet einen «Raum für Vertrauen: Vertrauen in Gott, Vertrauen innerhalb der Familie, Vertrauen in die politischen und religiösen Autoritäten, Vertrauen in das Unternehmen, Vertrauen in die verschiedenen Akteure der Gesellschaft.» Denn Sicherheit schafft einen «Raum für gegenseitiges Vertrauen, in dem jeder aufgefordert ist, in allen Lebensbereichen Freiheit und Solidarität, Gerechtigkeit und Milde, Individualität und Gemeinschaft mehr und mehr auszuleben», betonte der Westschweizer Theologe. Und: «Eine vertrauensbasierte Gesellschaft wächst daran, dass sie die Kompetenzen des Einzelnen wertschätzt und seine Unzulänglichkeiten begrenzt, indem sie die Macht unter vielen verteilt und die Risiken von Machtmissbrauch reduziert.»
Daraus leitete er ein Fazit an die Politiker ab: «Sicherheitsgetriebene Politik wird immer danach trachten, Vertrauen aufzubauen, gerade im Wissen um die inneren und äusseren Bedrohungen. Nach dem Vorbild des dreieinigen Gottes wächst dieses gegenseitige Vertrauen daran, dass Werte, die ein Spannungsfeld bilden (Einheit – Vielfalt, Freiheit – Solidarität, Gerechtigkeit – Milde), sorgfältig ausgewogen werden.»
Warnung vor falscher Sicherheit
Laut Shafique Keshavjee gibt es aber keine Sicherheit ohne die Kritik an falschen Sicherheiten. Die gesellschaftliche Sicherheit wächst, «wenn Ungerechtigkeiten und bösartige Handlungen mit Gerechtigkeit und Milde bestraft werden». Und sie wächst auch, «wenn das unvermeidliche, jedem von uns innewohnende Misstrauen durch noch stärkeres Vertrauen überwunden wird.»
Der Theologe warnte indirekt davor, gesellschaftliche Sicherheit nur in einer starken Armee oder Polizei zu finden, denn: «Unsere Nation, unser Geld, unsere militärische Schlagkraft, unsere Gesetze – dies sind gute Sicherheiten, wenn sie zum Schutz der Menschen und insbesondere der Schwächsten dienen. Doch sobald sie zum Selbstzweck werden, werden sie zu falschen Sicherheiten, die wir vergöttern.»
Datum: 30.01.2014
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet