Damit schöpfte er das Potenzial der politischen Rechten maximal aus. Ihre Entschlossenheit, die Gunst der Stunde zu nutzen, gab am späteren Vormittag auch den Ausschlag für die Wahl des seriösen, wirtschaftsnahen FDP-Kandidaten Hans-Rudolf Merz; er erreichte im zweiten Wahlgang 127 Stimmen. Die Chancen seiner Konkurrentin, der Bernerin Christine Beerli, waren wegen der bereits gewählten vier Westschweizer gesunken. Damit hat der siebenköpfige Bundesrat nur noch eine Frau. In der heiss umstrittenen Wahl Blochers war die kleine evangelische Fraktion gespalten, was ihr Sprecher Heiner Studer vor dem Plenum auch offenlegte: Im Unterschied zu den drei EVP-Vertretern, die angesichts der Kandidatur Metzler für den zeitweiligen Verzicht der FDP eintraten, wählten die zwei EDU-Nationalräte Blocher anstelle von Metzler. Das Zünglein an der Waage spielen konnten die Evangelischen so nicht… Die übrigen Regierungsmitglieder wurden klar im Amt bestätigt, die beiden Sozialdemokraten Moritz Leuenberger und Micheline Calmy-Rey mit (wahltaktisch bedingten) Traumresultaten von 211 und 206 Stimmen. Damit sitzen ab Januar zwei Söhne reformierter Pfarrer aus dem Kanton Zürich in der Schweizer Landesregierung. Neu ist neben der Nordwestschweiz, Graubünden und dem Tessin auch die Zentralschweiz nicht mehr im Bundesrat vertreten. Zum letzten Mal war 1872 ein Mitglied des Bundesrats abgewählt worden. Die Abwahl von Ruth Metzler-Arnold, die ihre Arbeit nicht schlecht machte, wird noch lange zu reden geben. Der frischgebackene Zürcher FDP-Nationalrat Ruedi Noser meinte bedauernd, so hart könne Politik sein. Die grüne Sprecherin Cécile Bühlmann sagte vor der Wahl Merz-Beerli, dass es bei drei von vier bisherigen Bundesrätinnen „Dramen abgesetzt“ habe. Sie äusserte sich befremdet darüber, „wie mit den Frauen in der Politik umgesprungen wird, in den dreissig Jahren, seit es Frauen in der Politik gibt“. Die Schweizer Frauen bräuchten ein Zeichen, dass sich das politische Engagement für sie lohne. Die Bundesversammlung folgte ihr nicht. Wie der Politexperte Iwan Rickenbacher, früher selbst CVP-Generalsekretär, im Schweizer Fernsehen bemerkte, haben die Christlichdemokraten mit der Abwahl Metzlers eine späte Quittung erhalten für ihre Taktik Anfang 1999, als sie vor den Parlamentswahlen zwei neue Bundesräte wählen liessen. Der weitere Verlust an Wähleranteilen in diesem Herbst liess den arithmetischen Anspruch der CVP-Führung auf zwei Bundesratssitze vollends verfallen. Die Partei, die die politische Mitte für sich beansprucht, wehrte sich durch ihren Fraktionschef Jean-Michel Cina vergeblich gegen eine „einseitig dominierte Regierung“; die CVP, nur noch mit Joseph Deiss vertreten, wird künftig zwischen einer massierten, zum Sparen entschlossenen Rechten und einer dadurch herausgeforderten Linken zu politisieren haben. Christoph Blocher gab sich bei der Annahme der Wahl staatsmännisch und ernst. Die anstehenden Probleme des Landes seien grösser als gemeinhin angenommen. Er plädierte für eine offene, transparente Lösungssuche unter den vier in die Konkordanz eingebundenen Regierungsparteien. So könnten tragfähige Kompromisse ausgehandelt werden. Die Lage der öffentlichen Finanzen sei so schlecht, dass er seinen Kanton bitte, keine öffentliche Wahlfeier zu veranstalten, sagte der Neugewählte, der als erfolgreicher Chef der Ems-Chemie ein Milliardenvermögen erworben hat. Der 63-jährige Industrielle versprach, sein Bestes zu geben, und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass Gott das Gelingen schenken werde. Mit Blocher zieht der Mann in den Bundesrat ein, der die Schweizer Politik in den letzten 15 Jahren wie kein anderer geprägt, belebt und polarisiert hat. Die Wahl hat Ausnahmecharakter, denn bisher wurden konziliante Kandidaten kantigen Persönlichkeiten in aller Regel vorgezogen. Für den EVP-Nationalrat Heiner Studer stellt sich angesichts der verdoppelten SVP-Vertretung die Frage, ob die Partei nun ihren Stil ändern und auf populistische Stimmungsmache verzichten wird. Anders als 1999 schaffte es die Linke in diesem Herbst nicht, Blochers Einzug in die Regierung zu verhindern. Das Vorhaben, mit der FDP eine Mitte-Links-Regierung zu bilden und die SVP in die Opposition zu schicken, scheiterte – es hätte angesichts des Vormarsches der Rechtspartei in vielen Kantonen dem so genannten Wählerwillen nicht entsprochen. Dass die drei ‚Kommunisten’ aus Protest leere Wahlzettel einlegten (ihr Waadtländer Sprecher Zisyadis sprach von einer völlig anti-demokratischen Wahl) und damit dem ‚milliardaire’ vom Zürichsee halfen, dürfte ihnen noch böse Kommentare eintragen. Wie konstruktiv und fair das Miteinander der regierenden Parteien, die viel beschworene Konkordanz, künftig ausgestaltet wird, bleibt abzuwarten. Blocher und Schmid, Merz und Couchepin bilden eine explizit bürgerliche Mehrheit im Siebnergremium. Wie Heiner Studer gegenüber Livenet sagte, gelten die beiden Neugewählten als Fachleute im Sanieren von Finanzen. Studer erwartet handfeste, sinnvolle Vorschläge zur Sanierung des Bundeshaushalts. Blocher und Merz werden daran zu messen sein, ob sie wirkungsvoller agieren als bisherige Kassenwart Kaspar Villiger, der heute mit grossem Applaus verabschiedet wurde.Eine Frau abgewählt, eine nicht gewählt
Evangelische nicht geeint
Zwei Pfarrersöhne
Politik ein hartes Geschäft
CVP: Gepokert und verloren
Massierte Rechte
Blocher: bitte keine Zürcher Wahlfeier
Kantig erfolgreich
Bürgerliche Mehrheit
Wie wird Konkordanz künftig funktionieren?
Livenet-Artikel zum Ausgang der eidgenössischen Parlamentswahlen:
Datum: 11.12.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch